Rückschlag für Abmahnanwälte und Abfrageprovider?

Mögliche Konsequenzen aus der gestrigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung

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Das, was das Bundesverfassungsgericht gestern vorläufig verbot – nämlich die Weitergabe von Vorratsdatenspeicherungsdaten zur Verfolgung von Bagatelldelikten - könnte potentiell Auswirkungen auf das Geschäft mit Filesharing-Abmahnungen haben.

Derzeit ist die Speicherpraxis vieler Provider unklar: Bei Alice oder Arcor deutet die Ausklammerung dieser Anschlüsse bei den Abfragen von Abmahnanwälten an die Staatsanwaltschaften darauf hin, dass sie sich an das geltende Datenschutzrecht halten und keine Verbindungsdaten speichern. Andere wiederum berufen sich darauf, dass sie zwar erst zum 1.1.2009 Vorratsdaten speichern müssen, aber jetzt schon dürfen – nur möglicherweise mit einer kürzeren Frist als die im Gesetz vorgesehenen sechs Monate. Wieder andere deklarieren die von ihnen gespeicherten Daten nicht als Verbindungsdaten, sondern speichern gesetzeswidrig, aber von manchen Datenschutzbeauftragten geduldet.

Werden Daten gespeichert, dann erhalten die Provider über verschiedene Staatsanwaltschaften Post von Abmahnanwälten, welche die Datensätze zu IP-Nummern abfragen, die angeblich beim rechtswidrigen Anbieten von urheberrechtlich geschützten Werken erwischt wurden. Bisher mussten Provider bei Anfragen von Staatsanwaltschaften auch dann Daten herausgeben, wenn es sich bei den vorgeworfenen Straftaten nicht um besonders schwere handelte. Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könnte sich das ändern.

Begründet ein Provider dann nämlich seine Daten mit der Vorratsdatenspeicherung, darf er solche Anfragen zwar dann noch beantworten, wenn es um wirklich schwere Straftaten geht, die sonst nicht aufgeklärt werden könnten – aber nicht mehr bei Filesharingvorwürfen. Rechtlich anders sieht es möglicherweise dann aus, wenn der Provider die von ihm gespeicherten Verbindungsdaten nicht als Vorratsdaten deklariert. In diesem Fall wäre eine rechtmäßige Weitergabe an die Staatsanwaltschaft denkbar. Diese Auffassung vertrat beispielsweise das Bundesjustizministerium in einer gestern versandten Pressemitteilung, bezog sich dabei aber nur auf legal zu Abrechnungszwecken gespeicherte Verbindungsdaten, die einer letztinstanzlichen Entscheidung zufolge bei Flatrates nicht notwendig sind und deshalb den Datenschutzgesetzen widersprechen.

Für denjenigen, der sich gar nicht erst in den Gefahrenbereich unberechtigter Urheberrechtsverletzungsvorwürfe bringen möchte, wäre es also sinnvoll, seinen Provider per Einschreiben und mit Fristsetzung unter Androhung der bekannten Musterklage zum Einstellen der Speicherung von Verbindungsdaten aufzufordern.

Beruft sich der Provider dann darauf, dass ihm das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung dies erlauben würde, darf er seine Daten nicht mehr aufgrund von Filesharinganfragen weitergeben. Damit er das auch wirklich nicht macht, sollte ihm dies freilich unmissverständlich mitgeteilt werden – per Einschreiben und noch besser mit einer beigelegten strafbewehrten Unterlassungserklärung. Das geht auch ohne Rechtsanwalt – allerdings kann darin nur die Nichtweitergabe der eigenen Daten verlangt werden, keine grundsätzliche Änderung der Weitergabepraxis. Gibt der Provider nach Abgabe solch einer Unterlassungserklärung noch von Abmahnanwälten via Staatsanwaltschaft angeforderte Daten heraus, lässt sich die in der Unterlassungserklärung festgelegte Summe einfordern, welche die von professionellen Abmahnern üblicherweise verlangten Beträge der Höhe nach deutlich übertreffen sollte.

Beruft sich der Provider dagegen nicht auf das Gesetz oder reagiert gar nicht, kann die Speicherpraxis durch Einreichen der Musterklage unterbunden werden. Bisher wurde diese Musterklage, der die Telekom in einem Formschreiben angeblich (aber ohne rechtliche Grundlage dafür) "gelassen" entgegensieht, selten eingelegt, weil viele Verbraucher den Aufwand angesichts der kommenden Vorratsdatenspeicherung in keinem Verhältnis zum Ertrag sahen. Diese Situation hat sich durch die gestrige Anordnung geändert.

Hinzu kommt, dass seit dem Bekanntwerden der bemerkenswert hohen Abfragegebühren auch das Vorliegen einer Straftat nach § 44 des Bundesdatenschutzgesetzes in Frage kommt: Denn bei einer Höhe von bis zu 40 Euro pro einzelnem Datensatz1 sind kaum Abfragen denkbar, die sich für den Provider nicht lohnen. Da bei Flatrates sonst kaum Gründe vorstellbar sind, die eine Speicherung von Verbindungsdaten (außerhalb des gesetzlich geforderten Rahmens als Vorratsdaten) als notwendig erscheinen lassen, liegt hier also möglicherweise ein auf einen Verstoß gegen Datenschutzrecht beruhendes Geschäftsmodell vor, das mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft wird.

Würde das Bundesverfassungsgericht allerdings wider Erwarten nach der Vorlage des Berichts der Bundesregierung im Herbst entscheiden, dass auch die Weitergabe von Daten für alle "mittels Telekommunikation begangenen" Straftaten zulässig ist, dann könnten auch vorher gespeicherte Daten weitergegeben waren.