Ayurveda statt Kreti und Pleti

Die neuen Nobel-Kitas: Normalbürger müssen draußen bleiben, dürfen aber zahlen

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Die soziale Schere in Deutschland weitet sich immer mehr. Frei nach dem Motto „Sauna und Ayurveda statt Kreti und Pleti“ hat jetzt in München eine neue „Premium-Kindertagesstätte“ ihre Pforten geöffnet. Kosten pro Kind und Monat: 1000 Euro. Zusammen mit neuen Nobel-Privatgrundschulen ist es damit der oberen Mittelschicht möglich, ihre Sprösslinge abgeschirmt von sozialen Hässlichkeiten aufzuziehen. Pikant: Der Normalbürger bleibt zwar außen vor, zahlt aber mit seinen Steuergeldern. Für Münchens Sozialbürgermeisterin Christine Strobl (SPD) ein „völlig neues Problem, das sich in dieser Schärfe so noch nicht gestellt hat“.

„Edel-Kindertagesstätte“, so bezeichnete eine Münchner Tageszeitung die kürzlich eröffnete private Einrichtung an der Schwanthaler Höhe. Wer hier sein Kind abgibt, der kann auf ein exklusives Betreuungsangebot zählen. Da gibt es eine hauseigene „Kindersauna bei 60 Grad und fünf Minuten Aufenthalt“, biologisch wertvolle Ernährung, Kneippanwendungen, „Outdoor-Programme“, Yoga-Kurse und ayurvedische Massagen. Erzogen wird zweisprachig, die Eltern können zwischen Englisch oder Französisch wählen.

Wer hier sein Kind abgibt, muss aber auch tief in die Tasche greifen, die Unterbringung in der Kindergrippe kostet im Monat rund 1000 Euro und da ist noch kein Mittagessen dabei. Die 29-jährige Gründerin der Kindertagesstätte war früher Gebietsleiterin bei einer Kosmetikfirma und ihre Geschäftsidee wurde von einer Hamburger Wirtschaftszeitung mit einem Existenzgründerpreis ausgezeichnet. Neben einem Gründerzuschuss von 50.000 bringt der Preis auch eine fünfzehn Monate lange „journalistische Begleitung“ mit sich. Auf einer Internetseite berichtet die Gründerin regelmäßig über das Projekt und ihre psychische Befindlichkeit der Gründerin.

Bezuschusst werden die baulichen Maßnahmen für die Nobel-Kindertagesstätte mit rund 330.000 Euro von Seiten des Stadt München und dem Land Bayern - so regelt es das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG). Hinzu kommen Zuschüsse zum laufenden Betrieb. Eine Sozialklausel ist im Rahmen dieser Förderung ebenso wenig vorgesehen wie im neuen Kinderförderungsgesetz der Bundesregierung. Damit darf zwar die Verkäuferin beim Discounter über ihre Steuerabgaben die Nobelkindertagesstätte mitfinanzieren, ihr Kind aber muss vor der Tür bleiben - der Zugang zu Kindersauna und Anti-Stress-Yoga regelt sich schlicht über den Preis. Für Sozialbürgermeisterin Strobl eine problematische Angelegenheit: „Müssen wir das finanzieren, was sich nicht jeder leisten kann?“ Sie will nun die Rechtsabteilung der Stadt mit einer Prüfung beauftragen.

Und wenn man mit gegrillten Bouletten Geld verdienen kann, warum dann nicht mit Kindern? Ähnlich wie Fast-Food-Ketten schießen derzeit Kita-Ketten aus dem Boden. Damit neu in Sortiment: „Qualitativ hochwertige Ganztageskinderbetreuung“, meist zu Kosten von fast drei Hartz-IV-Regelsätzen pro Monat. Der Grund dafür ist eine Gesetzesänderung aus dem Jahre 2005, wonach nicht nur gemeinnützige, sondern auch gewerbliche Kindertagesstätten in den Genuss staatlicher Subventionen kommen. In dem Bemühen der Bundesregierung, mehr Kinderbetreuungsplätze zu schaffen, wird nun also der Steuerzahler für die Gewinnerziehungsabsicht der gewerblichen Kita-Betreiber zur Kasse gebeten. Denn ohne die Steuergroschen auch des kleinen Mannes rechnen sich die Nobel-Einrichtungen für die Besserverdienenden nicht.

Wenn das ayurveda-gestählte englisch- oder französischsprechende Kleinkind aus der Luxuskindertagesstätte hinauswächst, droht im freilich die stinknormale Grundschule mit den Rabauken aus den unteren sozialen Etagen. Im Zuge der Ökonomisierung aller Lebensbereiche ist dies in München allerdings kein Problem mehr, nach der Nobel-Krippe und dem Nobel-Kindergarten steht mittlerweile im Bürgerviertel Bogenhausen auch eine Nobel-Grundschule zur Verfügung. Der Träger ist hier gesetzesbedingt eine gemeinnützige GmbH, hinter der eine Berliner Aktiengesellschaft steht. Die verdient ihr Geld mit Dienstleistungen und Zulieferprodukten für die Privatschulen-Kette, die mittlerweile Ableger in vielen Großstädten hat.

Die Betreuung ist auch hier ganztägig und zweisprachig, in kleinen Gruppen sollen die individuellen Fähigkeiten gefördert werden. Zwar betont die Schule, sie wolle keine Eliteschule sein und erhebt gestaffelte Schulgebühren, die laut „Gebührenrechner“ bei einem Einkommen von zum Beispiel 40.000 Euro bei rund 210 Euro im Monat liegen. Hinzu kommen freilich noch die Aufnahmegebühr, diverse Kosten für Schulbücher, Mittagessen oder Ausflüge.

Auch bei den Privatschulen geht die Rechnung nur mit staatlichen Zuschüssen auf. Und funktioniert bei den Nobel-Kitas der Monatsbeitrag als Auswahlkriterium, so ist es hier ein „Assessment“, dem die Grundschüler unterworfen werden und das 50 Euro kostet: „Der Test dient dazu, sich ein erstes Bild vom Kind zu machen und einiges über seine Fähigkeiten zu erfahren um herauszufinden, in welcher Entwicklungsstufe es sich befindet und ob die Muttersprache altersgerecht entwickelt ist“, ist auf der Homepage der Schule zu lesen. Die Privatschule setzt bei Eltern „außerdem ein hohes Interesse an Bildung voraus“ - ob ein Arbeiter- oder Immigrantenkind aus München-Milbertshofen diesen Test erfolgreich besteht, ist eher fraglich. Man sei an keine Weltanschauung gebunden, doch im Werbefilm heißt es zu den Zielen, die Kinder „sollen die wohl wichtigste Eigenschaft einer unternehmerischen Persönlichkeit erhalten: Optimismus“.

Über die Privatisierung und Ökonomisierung von Kinderbetreuung und Grundschule etablieren sich so neue exklusive Bildungszonen, in denen die Kinder zweisprachig und mit individueller Förderung auf die Karriere und den Job-Wettbewerb vorbereitet werden - und dies wird flächendeckend angestrebt, wie Kita- und Schul-Ketten betonen. Sie bedienen die Bedürfnisse einer oberen Mittelschicht, die es sich leisten kann. Die Exklusivität wird durch Finanzkraft oder Milieutest garantiert, aber durch Steuermittel finanziert. Damit wächst statt Chancengleichheit die soziale Kluft: Für die Kinder der Gutbetuchten gibt es Fremdsprachen und Yoga, für die anderen im schlimmsten Fall die „Supernanny“ auf dem Bildschirm.