Erik Jan Hanussen - Hokus-Pokus-Tausendsassa

Vor 75 Jahren ermordeten die Nazis ihren Propheten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wie schon seit über einem Jahr üblich, warteten die Zuschauer auch am 24. März 1933 im stets ausverkauften Berliner Varieté „Scala“ auf Deutschlands berühmtesten „Hellseher“ Erik Jan Hanussen, der in seinen „Experimental-Vorträgen“ vor täglich 5000 Zuschauern deren Gedanken las und in die Zukunft sah. In seiner „astropolitischen“ Wochenzeitung „Hanussens Bunte Wochenschau“, die es inzwischen auf eine sagenhafte Auflage von 140.000 Exemplaren gebracht haben soll, hatte er dem neuen Reichskanzler Adolf Hitler eine große Zukunft vorausgesagt. Auf seinem im Volksmund „Yacht der sieben Sünden“ genannten Boot veranstaltete der populäre Magier überschwengliche Feste, ebenso in seinem neuen luxuriös ausgestatteten „Palast des Okkultismus“. Am Eröffnungsabend, dem 26. Februar 1933, hatte er seinen Gästen eine spektakuläre Voraussage geboten: Der Reichstag würde brennen - was am Folgetag geschah. An diesem 24. März jedoch wartete das Publikum vergeblich auf seinen Propheten. Wochen später fand man im Wald die von Tieren angefressene Leiche des großen Magiers – an dem nichts war, wie es schien. Die wohl bizarrste Geschichte aus den Anfangstagen des „Dritten Reichs“ ist selbst 75 Jahre nach dem Tod des Hellsehers, etwa um Mitternacht des 24. März 1933, ein mehr als heikles Politikum.

Der Mann, den die Welt als Dänen „Hanussen“ kannte, hieß eigentlich Hermann Steinschneider. Geboren wurde “Hary“ 1889 in Wien Ottakring als Sohn von Schmierenkomödianten und wuchs im Varieté-Milieu auf. Schon ab seinem 14. Lebensjahr versuchte er sich als Chansonnier und Schauspieler und ging auch zum Zirkus, wo er Tricks wie das Zerbeißen von Glas, Kettenzerreißen, Entfesselung, Feuerschlucken, Schwerterschlucken und allerlei Fakirkunststücke erlernte. Weiter unterhielt er kurz das größte „elektrisch betriebene“ Karussell Europas, dessen Elektrizität in Wirklichkeit von unter einer Plane versteckten Kindern simuliert wurde. 1913, mit knapp 24 Jahren, wurde er Redakteur eines Wiener Boulevardblättchens unterster Kategorie, „Der Blitz“. Hier erpresste er Wiener Gastronomen und andere Geschäftsleute. Zahlten diese kein „Schweigegeld“, so hatten sie mit vernichtenden Stories und Kritiken in den Fortsetzungsromanen von „Faun“ (Steinschneiders damaliges Pseudonym) zu rechnen. Dabei verdiente er viel Geld und sammelte auch wertvolle Erfahrungen mit der Wiener Justiz. Im Oktober 1913 wurde er in dem Berliner Lokal „Nachtasyl“ als „singender Kellner“ engagiert – allerdings nur deshalb, weil er den Wirt erpresst hatte.

Zauberkunst

Etwa 1910 erwachte Steinschneiders Interesse am Okkultismus, zuerst für die Hypnose, und er wurde „Telepath“. 1911 gab er zusammen mit seinem Lehrer, Prof. E.K. Hermann in Wien seinen ersten „Experimentalabend“. Steinschneider behauptete, echte telepathische Phänomene zu zeigen; seine Gegner bezichtigten ihn der Anwendung von Tricks. Er selbst stellte sich seit 1913 eher als Gegner der Trickzauberei dar, enthüllte in Vorträgen, Zeitungsbeiträgen und zwei Broschüren (1917, 1920) ausführlich, wie es funktionierte und demaskierte falsche Hellseher. Resignierend musste er feststellen, dass die Wahrheit keinen interessierte! Im Oktober 1913 trat er als konventioneller Zauberkünstler in einem Vorstadt-Varieté im Norden Berlins auf, was ein Lacherfolg geworden sein soll. 1914, nach Lehrstunden bei Joe Labéro und Eugen de Rubini, debütierte Steinschneider dann – zuerst im Wiener Café Louvre - mit Vorstellungen, die auf dem „Muskellesen“ beruhten.

Im ersten Weltkrieg verblüffte Hary seine Kameraden und Vorgesetzten, weil er - gegen Bezahlung - offenbar in der Lage war, die Zukunft vorauszusagen: Was immer Hary auch über die Heimat prophezeit hatte, es bestätigte sich nach wenigen Tagen via Postkarte der Angehörigen. Der Trick war simpel: Hary hatte bei der Feldpost einen Bekannten, der gegen 50%ige Beteiligung interessante Schreiben abfing, Hary über deren Inhalt informierte und einige Tage zurückhielt. Da Hary hierdurch wertvoll erschien, wurde er befördert und es blieben ihm gefährliche Einsätze erspart. Er verlegte sich dann auf das „Wünschelruten-Gehen“ und unterrichtete diesbezüglich sogar das Militär. In einer Fantasieuniform stand er seit 1917 einer eigens geschaffenen „Wünschelruten-Kompagnie vor. Er betätigte sich auch erfolgreich als „Kriminaltelepath“, machte sich damit aber auch die Polizei zum Feind. Seine meist durch geschicktes Raten und psychologische Kenntnisse erzielten Erfolge, die er sich stets durch Anerkennungsschreiben bestätigen ließ, ließ er pressewirksam übertreiben; gern stellte er polizeibekannte Erkenntnisse als eigene dar und strich Erfolgsprämien ein.

Bild: Archiv Wilfried Kugel

Nach dem 1. Weltkrieg unternahm er Reisen in den nahen Osten und durch Asien, wo er als der „Zauberer“ bekannt geworden sein soll. 1918 nahm Hermann Steinschneider den Künstlernamen Erik Jan Hanussen an. Durch Vorstellungen im „Wiener Konzerthaus“ vor Erzherzogin Bianka und Erzherzog Leopold Salvator wurde er in Wien berühmt. Der Erzherzog wurde Hanussens Protektor.

Kraftakte

Hanussen traf 1923 in Wien auf den „stärksten Mann der Welt“: Der aus Polen stammende Siegmund (Zisha) Breitbart konnte angeblich Eisenstäbe verbiegen, unglaubliche Gewichte stemmen und Ketten zerbeißen. Breitbart war tatsächlich ungeheuer stark und bereits zu Lebzeiten insbesondere in der jüdischen Bevölkerung eine länderübergreifende Legende, ließ sich gar als „moderner Samson“ und als „König der Ostjuden“ feiern. Auch, wenn viele seiner Stunts authentisch waren, so war sich der populäre Zirkusmann nicht für (Fakir-)Tricks zu schade, da seine Kräfte als übermenschlich gelten sollten. Genau wie Hanussen bediente er mit Täuschung den menschlichen Wunsch nach echter Sensation.

Hanussen wußte die Sensation zu kontern: Statt eines Hünen präsentierte er ein schmächtiges Mädchen, die „Eisenkönigin“ bzw. „Königin des Willens“(!) „Martha Farra“, die „unter seiner Hypnose“ ähnliche Kräfte wie Breitbart entwickeln sollte. Sie zerbiss ebenfalls Ketten, ließ auch Steine auf ihrem Körper zertrümmern und legte sich auf das Fakir-Nagelbett. Offenbar eine neue Idee war, dass sie sich unter eine Platte legte, auf die zentnerschwere Gewichte gelegt wurden, unter anderem ein Amboss, auf den dann noch eingeschlagen wurde. Hanussen hatte herausgefunden, dass ein Brustkorb eben einfach erstaunlich viel aushalten kann, wobei manchmal mit versteckten Stützen nachgeholfen wurde (so wie auch bei Breitbart). Mit dieser Nummer verdiente man bestens.

Breitbart und Hanussen wurden erbitterte Rivalen, die sich gegenseitig vor Gericht des Betrugs bezichtigten. Den Wiener Behörden wurde es zuviel. Weil Breitbart tätlich gegen Hanussen vorgegangen war, wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt. Hanussen wurde 1923 als unerwünschter Ausländer (er besaß die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft) aus Österreich für 10 Jahre ausgewiesen. Die Kontroverse wurde bei einem Gastspiel in Berlin pressewirksam hochgekocht: auf einem Plakat des Circus Busch vom Oktober 1923 tritt „Meister“ Hanussens Medium Farra einem am Boden liegenden Koloss in die Kehle. Das Duo bekam nun einen mehrmonatigen Vertrag am New Yorker „Hippodrome“. Auf dem New Yorker Times Square ließ Hypnotiseur Hanussen sein Medium Martha Farra pressewirksam sogar einen Elefanten anheben. Auch Breitbart wurde in New York im gleichen Haus engagiert: man hatte „Krieg der Eisenbeißer“ aus Wien importiert. Dort setzten sich die Schlägereien zwischen Hanussen und Breitbart fort. Hanussen reiste schließlich nach Deutschland zurück. Martha Farra blieb in den USA, Breitbart machte in den USA eine erfolgreiche Karriere als Bodybuilding-Idol.

Freakshow

Zurück in Deutschland präsentierte Hanussen 1925 in Berlin „Omikron, das lebende Gasometer“: Ein Mann war scheinbar in der Lage, Gas zu produzieren, mit dem man einen Gasherd betreiben konnte. Während der Zeit der Weltwirtschaftskrise kamen sinnigerweise Hungerkünstler in Mode, die sich in Glaskäfigen ausstellen ließen und nur Wasser zu sich nahmen. Der gewiefte Showman steigerte die Idee um femininen Sexappeal, in dem er erstmals eine hübsche Hungerkünstlerin, Lola, unter permanenter Bewachung in den Glaskäfig schickte. Nachdem die heimliche Ernährung wegen des Bewachungskomitees immer schwieriger wurde, drehte das Mädchen am 32.Tag durch und zerschlug panisch das Glas. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hanussen jedoch schon bestens an ihr verdient. Dann engagierte er den schlesischen Bergmann Paul Diebel, der sich mit Pfeilen beschießen ließ und mit raffinierten Tricks scheinbar seine Blutung unterdrücken oder umgekehrt Blut weinen und schwitzen konnte. Da gerade Therese Neumann ebenfalls blutend „ihre Stigmatisierung erfuhr“, war Presseaufmerksamkeit kein Problem. Diebel verstieg sich sogar zu einer bizarren „Kreuzigungsnummer“. Auch Hanussen selbst versuchte sich als schmerzresistenter Fakir, durchstach sich die Wangen und verspeiste kochendes Siegelwachs.