"Löscht die Flamme"

Die gescheiterten Versuche, 1936 die Ankunft der Olympischen Flamme in Nazideutschland zu verhindern

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Am Montagmittag findet im antiken Olympia erneut die berühmt-berüchtigte „Entzündungs-Zeremonie“ der Olympischen Flamme statt, Auftakt des üblichen Fackellaufs, der diesmal in Peking enden wird. Wieder einmal wird die „wunderbare Idee des Dr. Goebbels“ – wie sie schon von der Zeitung Estia im August 1935 beschrieben wurde – in vulgärer Weise den Geist und die Geschichte des antiken Olympia mit einer geschmacklosen Zeremonie verletzen, die überhaupt nichts mit der Antike zu tun hat und uns lediglich an die Vorstellung erinnert, welche die Nazis der Vorkriegszeit vom klassischen Griechenland hatten: Umzüge von Jungfrauen, Nackte unter der Sonne, Altäre, Priester und Oberpriester, Leintücher und Tuniken, Spiegel und Fackeln. Eine immer wieder repetierte Katastrophe, schlimmer noch als die Brände, die im vergangenen Sommer den Hügel des Kronos schwarz färbten.

Und wieder werden wir die fürchterliche Anrufung der antiken Götter hören, in einer Inszenierung, die an die Cinecitta in den 50ern erinnert: „Apollon, Gott der Sonne und des Lichtes, schicke deine Strahlen und entzünde die heilige Fackel für die gastfreundliche Stadt Peking. Und Du, oh Zeus, schenke Frieden allen Völkern der Erde und bekränze die Sieger des heiligen Wettkampfes.“

Aus Leni Riefenstahls "Olympia"

Tatsächlich hat die Form, welche die Olympischen Spiele in den letzten Jahrzehnten angenommen haben, der vom Dritten Reich auf Befehl Hitlers und Goebbels 1936 in Berlin ausgerichteten Olympiade viel zu verdanken. Damals wurde mit einem bis dahin unbekannten Einsatz der Medien zum ersten Mal der gigantische Propagandaapparat in Gang gesetzt, den wir gewohnt sind, alle vier Jahre zu sehen. Die nationalsozialistische Erfindung der „Entzündung“ in Olympia und der Fackellauf der Flamme bis nach Berlin waren dabei sicher die beeindruckendste Inspiration. Deswegen wurden sie wohl auch ohne jede Hinterfragung von allen Imitatoren der Olympiade von 1936 in der Nachkriegszeit übernommen.

Es war allerdings der Bürgermeister von Athen selbst, der uns vor kurzem daran erinnerte, dass die nationalsozialistische Olympiade Ausgangspunkt aller jüngeren Olympiaden ist. Er hatte die Eingebung, in Athen eine „Ausstellung der olympischen Fackeln“ zu organisieren. Natürlich verleiht man der Goebbelschen Idee mit einer solchen Ausstellung besonderes Gewicht. Herr Kaklamanis geht sogar soweit, im Faltblatt zur Ausstellung schreiben zu lassen, dass „1936 zum ersten Mal das Symbol des Friedens im antiken Olympia entzündet wurde.“ Das Symbol des Friedens von Hitler? Die erste Fackel von 1936 war eine Schöpfung des Rüstungskonzerns Krupp, was man auf ihrem stählernen Griff lesen kann.

Festnahmen wegen der Fackel

Die erste Entzündung der Olympischen Flamme am 20. Juli 1936 und der Fackellauf nach Berlin verliefen allerdings nicht ungetrübt. In Griechenland herrschte bereits das Polizeistaatsregime von Metaxas, der drei Tage nach dem offiziellen Beginn der Olympischen Spiele von Berlin seine Diktatur ausrufen würde. Die Kommunistische Partei Griechenlands hatte angeprangert, dass „der Hitlerismus in unserem Land nach politischer Ausdehnung (strebt)“ und dazu ansetze, „seine räuberischen, unterjochenden Ziele unter der Vermarktung der Olympischen Idee“ zu verstecken (Parteizeitung Rizospastis, 28.6.1936). Die griechische Linke unterstützte zu der Zeit die Olympiade der Völker in Barcelona, die als demokratisches Gegengewicht zur nationalsozialistischen Fiesta organisiert wurde, und einige bekannte griechische Athleten hatten, trotz drohender persönlicher Folgen, ihre Teilnahme angekündigt. Im Zusammenhang damit steht der Artikel „Die griechischen Athleten sollten nicht an der Hitleriade teilnehmen“ (Rizospastis, 29.6.1936), in dem die treffende Vorhersage gemacht wird, dass „die Olympischen Spiele von Berlin trotz ihrer Camouflage eine nationalsozialistische Propagandaunternehmung schlechtester Qualität" darstellen.

Der Protest der Kommunistischen Partei Griechenland blieb nicht auf Worte beschränkt. So beschreibt Christos Tsintzilonis den Beschluss der kommunistischen Jugendorganisation OKNE, ein Durchkommen der Olympischen Flamme nach Hitlerdeutschland zu verhindern:

Alle Organisationen, durch deren Einflussgebiete die Flamme getragen werden sollte, wurden aufgerufen, sie auf griechischem Boden auszulöschen, und es wurde verkündet, dass die Organisation, der es gelänge, die Flamme auszulöschen, einen Preis erhalte.

Zitiert nach: OKNE 1922-1943,Verlag Synchroni Epochi - Odigitis, Athen 1989

Das Buch enthält ebenfalls die Beschreibung von Kostas Loules über den Fackellauf durch die Stadt Larissa:

Die Olympische Flamme sollte auch durch Larissa getragen werden. Deswegen mobilisierten sowohl das Gebietskomitee als auch die OKNE-Organisation in Larissa all ihre Kräfte, um die Flamme auszulöschen. Alle Voraussetzungen und Kräfte für das Gelingen des Unternehmens waren vorhanden. Es wurden drei Aktionsgruppen gebildet. Der erste Versuch sollte vor dem Friedhof stattfinden, ein zweiter auf der Brücke über den Pinios und der dritte in Yiannouli. Der Fackelträger durch Larissa war der damalige Fußballer Thanasis Tsourelis. Während der Besatzung der Nazis kämpfte er im Widerstand. Wir konnten unser Ziel trotz aller getroffenen Vorsichtsmaßnahmen nicht erreichen, weil die Polizei drei Tage vor dem Tag, an dem die Olympische Flamme eintreffen sollte, vorbeugende Festnahmen durchführte. Sie nahm etwa 70-80 Menschen fest. Darunter sogar Leute, die überhaupt nichts mit der OKNE zu tun hatten, nur um die Bevölkerung einzuschüchtern. Damit dezimierte und schwächte sie unsere Organisation und schaffte es so, unsere Pläne zu durchkreuzen.

Aus Leni Riefenstahls "Olympia"

Der Autor bemerkt, dass es unbestätigte Informationen über weitere gescheiterte Versuche entlang des Isthmus von Korinth und außerhalb von Athen gegeben habe.

Tatsächlich hat es auch in anderen Ländern, durch die 1936 die Flamme getragen wurde, Proteste gegeben. Vor allem in Jugoslawien, wo sich eine bedeutende demokratische Bewegung gegen die Spiele entwickelt hatte, deren Höhepunkt war eine am 5. April 1936 in der Zeitung Politika nach einem Kampf der Journalisten zur Überwindung der Zensur veröffentlichte gemeinsame Erklärung der 100 bekanntesten Sportler des Landes. Über die ganze Länge des Fackellaufes fanden viele antinationalsozialistische Demonstrationen statt. In Banja Luka griff die Polizei gewalttätig ein, um die Olympische Fackel zu retten.

Auch der Weg der Flamme durch die Tschechoslowakei wurde von antinationalsozialistischen Protesten begleitet. Besonders in Prag, wo sich viele deutsche politische Exilanten niedergelassen hatten, kam es zu ernsten Auseinandersetzungen und die Flamme wurde gelöscht. Bemerkenswert ist, dass in Wien die Ausschreitungen von den Anhängern der Nationalsozialsten selbst initiiert wurden, die es eilig hatten, ihrem Verlangen nach den „Anschluss“ Österreichs an Deutschland Ausdruck zu geben.

Der Griechenfreund Hitlers

Es gibt natürlich auch Einwände gegen die ganze Geschichte. Die Idee mit der Flamme – argumentieren ihre in- und ausländischen Verfechter – sei nicht auf Goebbels zurückzuführen. Sie müsse vielmehr dem Generalsekretär des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele von Berlin und engem Freund von Pierre de Coubertin, Carl Diem, zugeschrieben werden, der sie zusammen mit dem Griechen Ionnanis Ketseas entwickelt habe. Tatsächlich haben diese beiden die Internationale Olympische Akademie mit Sitz in Olympia gegründet, wo noch immer keine Gelegenheit ausgelassen wird, ihrer lobend zu „gedenken“.

Unabhängig davon, wer die Idee mit der Flamme als erstes hatte, ist sicher, dass Goebbels seine Zustimmung und seine Anweisungen für ihre Einbettung in die olympischen Zeremonien gab und auch den Verlauf des Fackellaufs festlegte. Das Beharren der Funktionäre der „Olympischen Bewegung“ der Nachkriegszeit auf eine Urheberschaft Diems ist höchstwahrscheinlich deren Bemühen geschuldet, den Brauch zu erhalten, indem man ihn vom Goebbelschen Schatten befreit. In seinen 1974 veröffentlichten Memoiren beansprucht Diem die ursprüngliche Idee für sich. In der offiziellen Ausstellung jedoch, die nach der Olympiade von 1936 organisiert wurde, weist er selbst die Urheberschaft dem Reichsministerium für Propaganda, also Goebbels, zu.

Aus Leni Riefenstahls "Olympia"

Besonders schlecht für die Bewunderer der Zeremonie schlägt zu Buche, das auch Diem und seine Rolle im Nationalsozialismus seit 1990 in Deutschland angezweifelt werden. Jüngere Erkenntnisse über seine Tätigkeit widerlegen das Bild des „unbeteiligten“ und „unpolitischen“ Sportsfreundes und zeigen eine enge Zusammenarbeit mit dem Hitlerregime auf. Seine Entmystifizierung hängt sogar mit dem Erlöschen der Flamme zusammen. Dies geschah im Januar 1994, als die Flamme auf dem Weg zu den Olympischen Winterspielen im norwegischen Lillehammer in Köln für ein ehrendes Gedenken an Diem Station machte. Zwei Studenten schütteten einen Eimer Wasser auf die Flamme, um damit gegen die Ehrung eines Menschen zu protestieren, der im Dienste des Nationalsozialismus gestanden hatte. Die einzigen, die davon noch keine Notiz genommen haben, sind unsere griechischen Sterblichen und „Unsterblichen“, die fortfahren, ihn zu preisen und zu ehren.

Und warum bestehen die Organisatoren der alle vier Jahre stattfindenden Olympischen Spiele so sehr auf diese verrufene „Entzündungs-Zeremonie“ und den nationalsozialistisch inspirierten Fackellauf? Die Antwort ist offensichtlich. Die Zeremonie ist notwendiger Bestandteil der propagandistischen und vor allem kommerziellen Seite der Spiele. Um auch den letzten Zweifel daran auszuräumen, sei hier daran erinnert, dass bei „unseren Spielen“ 2004 in Athen der Generaldirektor für Marketing und Ticketverkauf der Olympiade als Verantwortlicher für den Fackellauf bestimmt wurde.

Der Artikel des griechischen Journalistenkollektivs To Ios (Virus) wurde von Heike Schrader übersetzt.