Lob der einseitigen Belastung

Warum aktuelle Grafische Benutzeroberflächen nicht der Benutzerfreundlichkeit letzter Schluss sind

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Marcus Hammerschmitt schreibt in seiner Polemik Lob der Härte Grafischen Benutzeroberflächen (GUI) nahezu übermenschliche Fähigkeiten zu. Eine Gegensicht.

Blicken wir mal nüchtern auf die GUI in gegenwärtigen Ausprägungen: Häufig findet sich unten eine Leiste mit geöffneten Programmen, einer Uhr, einem Startmenü und Ähnliches. Möglicherweise findet sich diese Leiste auch oben, manchmal sogar oben und unten. Hinzu kommt eine weitere Leiste oben, in der sich das geöffnete Programm präsentiert, dazu ein Menü mit Grundfunktionen (Datei, Bearbeiten, ... Hilfe) darunter oft noch Werkzeugleisten.

Auch ist der Start von Programmen bei einer grafischen Oberfläche einfacher als von der Kommandozeile aus. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man kleistert seinen Desktop mit sämtlichen Programmsymbolen voll, und muss mit dem Mauszeiger das entsprechende Symbol suchen - oder man geht in das Startmenü, sucht sich dort das Symbol, häufig in einer Untergruppe und startet es dann. Da man meist das Programm beim Namen kennt, das man starten möchte, ist es beim Arbeiten von der Konsole ausgesprochen schwierig: Man muss - vorausgesetzt das Betriebsystem ist gut strukturiert - den Namen des Programms eintippen, bei guten Konsolen nur den Teil, bis es eindeutig identifiziert ist und den Tabulator betätigen, Enter tippen, schon startet das Programm. Wesentlich aufwändiger.

Betrachten wir dann eine von Vielen genutzte Programmart: eine Textverarbeitung. Was dürfte daran der wichtigste Teil sein, der auch den wesentlichen Teil des Monitors gewidmet sein müsste? Logischerweise ist es der getippte Text. Leider ist der Text für eine Seite in Hochformat geschrieben, der Monitor hat jedoch in der Regel Querformat. Die Menüleisten, die Taskleisten, die Startmenüs nehmen aber den Platz in der Höhe weg, während rechts und links neben der getippten Seite - eine graue Leinwand zu sehen ist. Sicherlich kann man häufig die Taskleiste/das Startmenü auch nach rechts oder links schieben, jedoch sind die Programmmenüs und -werkzeuge nicht ohne Weiteres verschiebbar. Verschlimmert wird die Situation noch durch den Trend der Monitorhersteller, ihre Produkte im 16:9-Format anzubieten, welche bei gleicher Diagonale weniger Arbeitsfläche als eine 4:3-Darstellung bieten.1

Sicherlich: Man muss das Fenster für die Textverarbeitungssoftware nicht als Vollbild auf dem Monitor nutzen, kann also daneben noch einen Quellentext eingeblendet haben oder den Platz für Schnickschnack wie Wettervorhersagen nutzen. Das Problem dabei: Das menschliche Gehirn ist nicht multitaskingfähig. Weitere Informationen lenken von der eingentlich zu erfüllenden Aufgabe des Breifeschreibens ab, während der Brief selbst unnötig beschnitten ist.

Ausnahme Kaffeine: Jedoch lässt sich die Platzierung der Werkzeugleiste nicht verändern.

Nur wenige Programme nutzen den Monitor wirklich zufriedenstellend aus. Löbliche Ausnahmen sind Adobe Photoshop und einige KDE-Anwendungen, die ihre Werkzeugleiste auf der linken Seite anbieten. Was ist aber, wenn man nun eine Grafik bearbeiten möchte, die sehr breit, aber nicht wirklich hoch ist? Dann ist man auch mit diesem Programm aufgeschmissen. Die freie Alternative Gimp bietet hier wirklich eine Lösung, aber nur, weil man nicht in einem einzelnen Fenster arbeitet, dafür aber in jedem Fenster eine eigene Menüleiste hat.

Die ach so tolle Bedienung von Programmen per Maus hat einen schon auf Anhieb erkennbaren Fehler: Sie fordert nur eine Hand, während die andere untätig bleibt. Zwar sind auch hier Fortschritte erkennbar: Waren früher gerade zwei Finger für zwei Mausknöpfe gefragt, so ist der Stand der Dinge die Verwendung von fünf Knöpfen und zwei Rädern, so dass alle Finger dieser einen Hand wenigstens sinnvoll außer für das reine Herumschubsen eingesetzt werden können. Dennoch können die Verrenkungen dieser einen Hand zu einem Karpaltunnelsyndrom führen, während bei der Arbeit mit der Tastatur beide Hände gleichmäßig belastet werden. Gerade auch - um das obige Beispiel der Textverarbeitung wieder aufzugreifen - muss die Maushand häufig zwischen Tastatur und Maus hin und her wechseln, was lange Wege und Zeit bedingt, während beispielsweise bei der Verwendung eines guten Texteditors (vim oder emacs - dieser Heilige Krieg soll hier nicht angesprochen werden), beide Hände ihren Auflagepunkt auf der Tastatur behalten, bei vim sogar bei der Bewegung innerhalb des Dokuments nicht mal von der Position über dem Hauptteil der Tastatur.

Synaptic

Ein weiteres Anwendungsbeispiel, das die Qualität der Konsole gegenüber der GUI sehr gut veranschaulicht, ist die Installation von Programmen in Debian-basierten Linux-Distribution, zu denen auch Ubuntu gehört. Der Anwender weiß, er möchte ein bestimmtes Programm installieren, er kennt auch schon den Paketnamen, der häufig mit dem Programmnamen identisch ist. Per Konsole geschieht dies mit der Eingabe von sudo apt-get install [Paket], was tatsächlich mit sudo[Leer]apt-g[Tab]i[Tab][Paket] erledigt ist, gefolgt von der Eingabe des Passworts und einem j zur Bestätigung, insgesamt also 14 Tasten zzgl. Paketname und Passwort. Bei der Installation über das GUI-Programm Synaptic muss erst mal der Menüeintrag mit der Maus gefunden werden, dann erfolgt die Eingabe des Passworts (die Maushand wechselt wieder zur Tastatur), danach wechselt die Hand wieder zur Maus, man klickt auf das Symbol "Suche", danach tippt man den Paketnamen in die Suchmaske ein, betrachtet sich die Ergebnisliste, wählt das Paket mit der Maus aus, muss die Abhängigkeiten per Mausklick bestätigen - und dann installiert man es durch einen weiteren Mausklick. Schließlich muss Synaptic auch noch geschlossen werden. Passwort und Paketname müssen weiterhin getippt werden, jedoch werden 14 Tastendrücke durch 4 Positionswechsel der Hand und mehrere Mausklicks ersetzt. Einfachere Bedienung sieht anders aus.

Sicherlich ist eine Grafikbearbeitung per Konsole nicht einfach oder überhaupt nicht zu realisieren, jedoch ist die Bedienung per Maus nicht die Lösung aller Bedienprobleme.

Die unsinnige Zukleisterung der Oberfläche in der Vertikalen ist die dümmste bleibende Entwicklung in der Mensch-Maschine-Schnittstelle der letzten Jahrzehnte. Einzig einige Programme wie GIMP oder Ardour versuchen dieses Paradigma auf die einzig zufriedenstellende und derzeit funktionierende Weise zu lösen, indem sie die verschiedenen Funktionen des Programms in verschiedene Fenster packen. Kritik an Eyecandy ist eine Kritik der fehlgeleiteten Innovation: Nicht bunter, sondern funktionaler und mit mehr Einstellmöglichkeiten müssen GUI werden, damit Programmmenüs und Werkzeugleisten so platziert werden können, dass sie jeden Anwender in jeder Situation unterstützen.

Stellungnahme: Liebe Leserinnen, Liebe Leser!

Ich weiß, dass man sich von allem distanzieren sollte, was sich in seiner Umgebung tut. Deshalb möchte ich darauf hinweisen, dass ich für diesen Artikel nur von Telepolis bezahlt werde, Telepolis diesen Artikel in Auftrag gegeben hat und ich diesen mit Freuden getippt habe.

Mit besten Grüßen, Thomas Mayer