"Es lebe das heilige Deutschland!"

Gibt es bei der Bundeswehr "Offiziere einer neuen Generation, die handeln werden, wenn es die Zeit erforderlich macht"?

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Hassmails zu bekommen ist nichts Ungewöhnliches. Wenn jedoch der Absender bei einer Organisation tätig ist, in der er viel über das Töten lernt und jederzeit Zugang zu Waffen hat, dann bekommt solch eine Mail einen anderen Stellenwert. Jürgen Rose vom Arbeitskreis Darmstädter Signal erhielt solch eine Hassmail – gezeichnet mit Namen und Titel eines Mannes, der nicht nur bei der Bundeswehr tätig ist, sondern bei der Elitetruppe KSK, deren genaue Aktivitäten das Verteidigungsministerium weitgehend geheim hält.

Herr Rose - Sie erhielten eine Mail, in der Ihnen gedroht wurde. Was stand da genau drin?

Hans-Jürgen Rose: Das war am 28. Juli 2007, und der Absender, der mit Klarnamen "[K.], Daniel (Hauptmann)" [Name von der Redaktion geändert] unterschrieben hat, schrieb:


„Guten Tag Herr Rose,

durch Zufall bin ich über die Seite des DS gestoßen.

Mit Befremden registriere ich die strukturelle Ausrichtung Ihrer Vorfeldorganisation und distanziere mich als deutscher Offizier entschieden von diesem linken Zeitgeistkonglomerat uniformierter Verpflegungsempfänger. Nicht die Kritik an kritikwürdigen Themenfeldern kritisiere ich, sondern die Intention und Diktion dahinter. Sie wissen was ich meine und sie wissen auch, dass sie nicht das Sprachrohr einer, unserer Armee sind. Ich beurteile sie als Feind im Inneren und werde mein Handeln daran ausrichten, diesen Feind im Schwerpunkt zu zerschlagen. Die Phase des 68er Marsches ist beendet, kehren Sie um in den Gulag der politischen Korrektheit oder in die Sümpfe des Steinzeitmarxismus, dem Sie entkrochen sind. Sie werden beobachtet, nein nicht von impotenten instrumentalisierten Diensten, sondern von Offizieren einer neuen Generation, die handeln werden, wenn es die Zeit erforderlich macht.

Somit verbleibe ich mit vorzüglicher Geringschätzung und trefflicher Erheiterung in der Betrachtung Ihrer weiteren operativen Unfähigkeit.

[K.], Daniel Hauptmann

"Es lebe das heilige Deutschland" (Stauffenberg)“

Es wirkt relativ ungewöhnlich, dass eine Mail dieses Inhalts mit einem Klarnamen unterzeichnet ist. Hat der Unterzeichner denn zugegeben, dass sie tatsächlich von ihm stammt?

Hans-Jürgen Rose: Mir gegenüber persönlich nicht, er hat sich auch nie entschuldigt. Ich gehe aber davon aus, dass er das war, denn sonst wäre er kaum disziplinar gemaßregelt worden, wie das ja geschehen ist. Ich habe nach dem Erhalt der Mail über meine internen Ansprechpartner und zuständigen Stellen Meldung erstattet. Der MAD hat dann relativ schnell aufgeklärt, dass es einen Offizier dieses Namens tatsächlich gibt - in Calw. Später bekam ich dann, nachdem ich das meinem Disziplinarvorgesetzten gemeldet hatte, ein Schreiben, in dem er mir mitteilte, dass er das zuständigkeitshalber an den Chef des Stabes Kommando Spezialkräfte zur weiteren Bearbeitung weitergegeben hat. Daraus war dann ersichtlich, dass es in der Tat diesen Offizier beim Kommando Spezialkräfte gibt. Anschließend bekam ich dann den Bescheid aus dem KSK selbst, dass man das dort bearbeitet, und später den Bescheid, dass man entsprechend tätig geworden ist und das disziplinar geahndet hat.

Parallel habe ich das bei der Polizei angezeigt (dazu hatte mir der MAD geraten) und auch eine Eingabe zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages geschickt. Das dauerte ziemlich lange - der hatte das nämlich im Verteidigungsministerium, beim Inspekteur des Heeres, zur Stellungnahme abgegeben, und dann ging das durch sämtliche Hierarchiestufen. Dieser militärbürokratische Bearbeitungsgang – runter und wieder rauf zum Wehrbeauftragten – nahm dann etwa ein halbes Jahr in Anspruch, bis ich im Februar einen endgültigen Bescheid vom Wehrbeauftragten bekam. Darin teilte er mir mit, dass er dieses Schreiben ebenfalls unerträglich findet, und er monierte, dass er die disziplinare Würdigung für unangemessen hält. Gestern habe ich einen Anruf von einem Bundestagsabgeordneten bekommen, der die Bundeswehr seit langem kennt, und der mir sagte, dass man in früheren Zeiten – noch während des Kalten Krieges – einen solchen Offizier umstandslos entlassen hätte.

Die Mail erhielten Sie also bevor Tom Cruise seine bizarre Bambiverleihungsrede hielt, die er mit einem Verweis auf die Grußformel vom heiligen Deutschland abschloss?

Hans-Jürgen Rose: Das habe ich nicht zur Kenntnis genommen. Der Satz "Es lebe das heilige Deutschland!" soll wohl von Stauffenberg stammen, er soll das gerufen haben als er im Bendlerblock vor dem Erschießungskommando stand. Warum sich dieser Herr [K.] dieser Formel bedient, das kann ich nicht genau nachvollziehen. Allerdings ist anzumerken, dass die Offiziere und Widerstandskämpfer des 20. Juli nicht allesamt lupenreine Demokraten waren. Insbesondere den Offizieren schwebte wohl eher eine etwas autoritäre Militärherrschaft in Deutschland vor. Das ergibt sich ja auch aus der Besetzungsliste, mit Generaloberst Beck an der Spitze. Vielleicht ist es so, dass in diesen Kreisen, in denen [K.] verkehrt, diese Gruppe von Hitler-Attentätern als deutschnational wahrgenommen wird und man sich deswegen mit denen identifiziert - das kann ich nicht genau nachvollziehen.

Sie glauben also tatsächlich an eine solche Gruppe, und weniger an einen schlechten Scherz?

Hans-Jürgen Rose: Das ist natürlich schwer einzuschätzen. Es gibt in der Tat zwei Möglichkeiten: Die eine ist, dass er nicht ganz Herr seiner Sinne war, als er das schrieb - vielleicht hatte er exzessiv dem Alkoholgenuss gefrönt. Das scheint mir aber nicht ganz so wahrscheinlich - vor dem Hintergrund, in dem sich das KSK oftmals schon bewegt hat (oder zumindest bestimmte Kameraden aus dem KSK, was ab und zu mal nach oben gekommen ist, beispielsweise die Fahrten mit Rommels Afrikakorps-Palme in Afghanistan). Aber es lässt sich nicht endgültig entscheiden, ob er da jetzt als Einzeltäter steht, oder ob tatsächlich - wie er schreibt - eine Gruppe dahintersteckt. Das sind auch die Befürchtungen und Überlegungen, die den Wehrbeauftragten bewegt haben (und die ihm Sorgen bereiten) - dass [K.] tatsächlich für eine Art Freikorps steht, wie wir das aus Weimarer Zeiten kennen.

Sie halten es also tatsächlich für möglich, dass es Strukturen gibt, wie sie in den zwanziger Jahren zu Fememorden führten, oder wie man sie aus der Türkei als der "tiefe Staat" kennt?

Hans-Jürgen Rose: Man kann das ja nicht ausschließen. Die NATO hat ja während des Kalten Krieges diese Geheimorganisation namens "Gladio" aufgebaut. Da hat man solche Strukturen tatsächlich angelegt - von ganz oben her. Man kann nicht ausschließen, dass es so etwas gibt, sondern müsste versuchen, das weiter zu ermitteln. Da scheint mir, dass man bisher nicht unbedingt sehr weit gegangen ist - weder von Seiten des MAD, noch von Seiten der Staatspolizei hier in Bayern, die ich ja auch eingeschaltet hatte.

Nun arbeitete "Gladio" aber fast ausschließlich mit Schwarzer Propaganda. Da müsste der Unterzeichner ja eigentlich als jemand ganz anderes unterzeichnet haben, und als ganz andere Organisation mit ganz anderem politischen Hintergrund auftreten?

Hans-Jürgen Rose: Genau - dann hätte er sich sicherlich getarnt. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass es geheime Strukturen bereits gab. Und deshalb ist es nicht auszuschließen, dass es auch heute geheime Strukturen gibt. In Weimarer Zeiten sind ja diese Herrschaften, die sich so betätigt haben, ganz offen aufgetreten, weil sie nichts zu befürchten hatten. Man sieht ja auch in diesem Falle, dass eigentlich fast gar nicht reagiert wurde, wie ja auch der Wehrbeauftragte moniert. Der Kamerad hat wahrscheinlich einfach einen Verweis bekommen. Das ist wie so ein Punkt in Flensburg, der ist nach zwei Jahren wieder aus dem Disziplinarbuch gelöscht, und er hat wieder eine weiße Weste. Das ist nichts weiter als eine Verwarnung - und das empfindet der Wehrbeauftragte als unangemessen. Möglicherweise hat der junge Hauptmann in dem Bewusstsein, dass ihm sowieso nichts passieren kann, seine Suada über das Internet abgelassen. Vielleicht fühlte er sich auch deswegen sicher, weil er mit einer privaten Email-Adresse tätig wurde.

Wodurch werden denn solche Strukturen potentiell gefördert?

Hans-Jürgen Rose: Das ist eine ganz wichtige Frage: Sicherlich kann man sich auf diesen unteren Ebenen durch das Handeln und Reden von oberster Stelle animiert fühlen. Um nur mal ein Beispiel zu nennen: Es gab mal einen General namens Grashey, der hielt 1969 an der Führungsakademie in Hamburg eine Rede, in der er sagte: "Die Innere Führung ist eine Maske, wir können sie endlich ablegen, das war sowieso nur ein Zugeständnis an die Sozialdemokraten." Er wurde dann von Helmut Schmidt umstandslos gefeuert.

Der amtierende Inspekteur des deutschen Heeres, Generalleutnant Hans-Otto Budde, verkündete: "Wir brauchen den archaischen Kämpfer!". Und ein Fallschirmjäger-Kamerad ergänzte im selben Geiste: "Man muss sich diesen archaischen Kämpfer vorstellen als einen Kolonialkrieger, der fern der Heimat nach eigenen Gesetzen lebt und handelt." Dieser Inspekteur ist nach wie vor unbeschadet in Amt und Würden. Solche Äußerungen geschehen seit der Endphase des Verteidigungsministers Wörner, und es hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges verstärkt. Wenn man also von ganz oben her diesen wehrmachtsinspirierten Kämpferkult predigt, solche Latrinenparolen ausgibt, die sich dann kaskadenartig über alle Hierarchieebenen ergießen, dann muss man sich nicht wundern, wenn an unterster Ebene solche Kloaken entstehen wie in Calw oder in Coesfeld. Der Fisch beginnt bekanntlich vom Kopfe her zu stinken.

Was eben zu monieren ist, ist ein völliges Unverständnis darüber, was Innere Führung eigentlich bedeutet. General Baudessin, der nicht umsonst später Gründungsdirektor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg wurde, legte sein Konzept der Inneren Führung zusammen mit dem Leitbild vom Staatsbürger in Uniform auf eine Entmilitarisierung des soldatischen Bewusstseins hin an. Die Zivilisation des militärischen Gewaltapparates stand im Vordergrund, und auch der Frieden als Auftrag. Und dazu sollte eben der Staatsbürger – und jetzt auch die Staatsbürgerin – in Uniform in der Armee die grundlegenden Menschen- und Bürgerrechte genießen können. Die sollten erhalten bleiben. Die Armee durfte kein Staat im Staate werden - und der Frieden war der Ernstfall.

Das war den alten Wehrmachtskämpfern, die die Bundeswehr aufgebaut haben, schon immer ein Dorn im Auge, denn sie wollten im Grunde nichts weiter als mit dieser Bundeswehr eine optimierte Wehrmacht installieren. Nachdem man den Kalten Krieg gewonnen hatte, begann diese Phase, dass man mit Macht versuchte, einen neo-traditionalistischen Kämpferkult zu implementieren. Das ist auch in weiten Teilen gelungen. Beispielsweise verkündete Johann Adolf Generalmajor von Kielmansegg, der Sohn des alten Grafen Kielmansegg, schon 1991 in der Offizierszeitschrift "Truppenpraxis": "Der Krieg ist der Ernstfall. Auf die Kriegstüchtigkeit einer Armee ist alles auszurichten. Die Zivilisierungsmöglichkeiten einer Armee sind begrenzt. Der Soldat soll schon die Grundrechte erfahren, aber durchaus nicht alle. Er soll aus Liebe für sein Vaterland kämpfen und sterben." Solche Parolen wurden seit den neunziger Jahren ausgegeben. Das hat bis heute nicht nachgelassen, und das wirkt sich natürlich letztlich verheerend aus.

Was ist mit dem Mann passiert, der diese Parole ausgegeben hat?

Hans-Jürgen Rose: Dem ist nichts passiert. Generäle dürfen so etwas sagen. Sie dürfen die Innere Führung in Frage stellen, das Leitbild vom Staatsbürger in Uniform... Das ist eine Kaste, die ist nahezu unantastbar. Außer wenn sie wirklich über die Stränge schlägt wie dieser General Günzel im Fall Hohmann. Gerade im Bezug auf die KSK lässt sich bestimmt die These aufstellen, dass der Geist, den zum Beispiel jemand wie Günzel in die Truppe gebracht hat, natürlich fortwirkt.

Wie gehen Sie jetzt weiter vor?

Hans-Jürgen Rose: Aus meiner Sicht ist nichts weiter zu tun. Ich habe meine Meldung gemacht innerhalb der Bundeswehr - und ich habe die Bescheide entsprechend bekommen. Jetzt findet Öffentlichkeitsarbeit statt, und das halte ich auch für notwendig. Wir sollten zum Beispiel mal die Frage stellen, wozu wir eigentlich dieses Kommando Spezialkräfte brauchen. Was ist eigentlich deren Auftrag? Kann es angehen, dass der deutsche Steuerzahler diese Geheimschwadronen finanziert, die in deutschem Auftrag weltweit operieren – demokratisch völlig unzureichend kontrolliert? Das halte ich für einen Skandal.

Diese Gruppe wird ja auch vom deutschen Bundestag mandatiert im Rahmen der völkerrechtswidrigen Operation "Enduring Freedom". Das ist das System Guantanamo, was da gefüttert wird. Neulich konnten wir in einer schönen Dokumentation über politisches Kidnapping die Information erhalten, dass 30.000 bis 50.000 Menschen in diesem Rendition-System verschleppt wurden. 85%, so dieser interviewte ehemalige Mitarbeiter des US State Department, sind unschuldig. Die Folterlager in Rumänien und Polen hat man mittlerweile aus politischen Gründen dichtmachen müssen, jetzt lässt man in Somalia foltern. Vor deren Küste schippert die deutsche Bundesmarine herum - im Rahmen der Operation "Enduring Freedom", um das abzusichern. Und das KSK wird eben auch im Rahmen dieser Operation eingesetzt. Über solche Dinge sollten wir langsam mal beginnen, nachzudenken - im siebten Jahr des Krieges, in dem wir uns befinden.