Wenn Internetkommunikation zur Straftat wird

Das polizeiliche Nachspiel eines anonymen Kommentars in einem Gästebuch und eine neue Runde im Streit um die IP-Daten von Nutzern eines Onlinedienstes

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Erst wenige Wochen ist der Oldenburger Rechtsanwalt Hans Henning Adler als Abgeordneter der Linken Mitglied des niedersächsischen Landtags Doch schon in der kommenden Landtagssitzung Anfang April will Adler erkunden, ob die Ermittlungsbehörden des Bundeslandes mit der Funktionsweise des Internet überhaupt vertraut sind.

Der Hintergrund dieser ungewöhnlichen Wissbegierde ist eine polizeiliche Hausdurchsuchung im Oldenburger Kulturzentrum Alhambra am 18.März. Ca. 20 Polizisten beschlagnahmten 6 Computer und Server, um dem anonymen Autor eines Eintrags im Gästebuch des Alhambra auf die Spur zu kommen. Dort wurde im Januar dazu aufgerufen, die Rechtsextremisten aus Oldenburg zu vertreiben. Den genauen Wortlaut des Interneteintrags kennen weder die Mitarbeiter des Alhambra, noch deren Rechtsanwalt Hans-Henning Adler. Selbst die Staatsanwaltschaft Oldenburg, die den Polizeieinsatz anordnete, hält sich bedeckt, wenn sie nach dem genauen Wortlaut des inkriminierten Eintrags gefragt wird. Im Netz ist er jedenfalls nicht mehr zu finden. „Interneteinträge werden regelmäßig gelöscht“; meint Alhambra-Mitarbeiterin Petra Jäger gegenüber Telepolis.

Der Eintrag war nicht besonders aufgefallen. Schließlich befand man sich Mitte Januar im Endspurt des niedersächsischen Landtagswahlkampfs, bei dem die rechte NPD erfolglos antrat. Auch in Oldenburg gab es zu dieser Zeit mehrere NPD-Veranstaltungen sowie Gegenaktionen. In diesem Zusammenhang könnte auch der Kommentar ins Gästebuch gelangt sein. Für Adler ist es schon fraglich, ob der Eintrag nur eine entschiedene Unmutsäußerung gegen die Rechten oder tatsächlich ein Aufruf zu Straftaten war. Doch unabhängig davon sieht er in der Razzia im Alhambra keinen Beitrag zur Aufklärung.

Vom niedersächsischen Justizminister Bernd Busemann und vom Innenminister Uwe Schünemann will Adler wissen, ob es an der schlechten Ausbildung der Ermittlungsbehörden liegt, dass auf der Suche nach dem Urheber des fraglichen Internetantrags das Alhambra durchsucht wurde, statt eine Anfrage beim Provider zu tätigen. Der sitzt in Dortmund, sei aber nicht einmal gefragt worden. „Die Herkunft eines Eintrages ins Gästebuch ist, wenn überhaupt, nur über den Provider festzustellen, der die IP-Adressen verwaltet“, bekräftigt Adler gegenüber Telepolis

Doch ob eine Anfrage dort für die Ermittlungsbehörden erfolgreich gewesen wäre, ist fraglich. Um, wie im Alhambra-Fall, auch im Nachhinein Zugriff auf möglicherweise strafrechtlich relevanten Internetdaten zu haben, müssen seit dem 1. Januar alle Telekommunikationsdaten von den Dienstanbietern gespeichert werden. Kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht allerdings die Verwendung dieser Daten bis zur Verhandlung über die Verfassungsmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung auf Fälle von schwerer Kriminalität begrenzt. Dazu gehört ein anonymer Interneteintrag vermutlich selbst dann nicht, wenn er wirklich zu Straftaten aufgerufen haben sollte.

Internetforumsbetreiber sollen IP-Daten rausgeben

Währenddessen geht eine mehrmonatige Auseinandersetzung (Wenn Verständnis zu Volksverhetzung wird) um die Herausgabe der IP-Daten von Nutzern des Internetforums des Erwerbslosenverbandes Deutschland in eine neue Runde.

In dem Forum hatten Erwerbslose kontrovers über eine Aktion diskutiert, die sich am 5. September 2007 in einem Aachener Jobcenter zugetragen hat. Eine 46jährige Erwerbslose bedrohte zwei Mitarbeiter des Jobcenters mit der Waffe und nahm sie als Geiseln. In einem der Einträge wurde geschrieben, es sei eigentlich erstaunlich, dass sich solche Aktionen nicht häufiger zutragen. Ein anderer User zitierte den Philosophen Theodor W. Adorno: „Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten.“

Für die Ermittlungsbehörden stellten solche und ähnliche Äußerungen Straftatbestände wie Volksverhetzung und Billigung einer Straftat dar, zu deren Verfolgung die Herausgabe der IP-Daten nötig sei. Diese Entscheidung fällte das Aachener Landgericht am vergangenen Mittwoch und bestätigte damit einen gleichlautenden Beschluss des Aachener Amtsgerichts von November 2007. Die Beschwerde des Erwerbslosenforums gegen das Urteil wurde verworfen. Das Gericht kam in dem Urteil zu der Auffassung, dass der Betreiber des Internetforums mit einem gewerbsmäßigen Telekommunikationsdienst auf eine Stufe gestellt werden kann. .

Dieser Lesart widerspricht Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum Deutschland heftig:

Das Gericht ignoriert völlig, dass wir als Forenbetreiber überhaupt keine Daten speichern durften und dürfen, die Rückschlüsse auf persönliche Daten geben. Dazu zählen unter anderem regelmäßig die IP-Adressen. Es gibt auch kein Gesetz, dass dies einem Meinungsforumsbetreiber vorschreibt. Ganz im Gegenteil, wir müssen für so etwas die ausdrückliche Genehmigung des jeweils einzelnen Mitglieds haben. Standardmäßig ist unsere Software auch für so etwas gar nicht ausgerüstet. Wir sollen also Daten herausgeben, die wir erst gar nicht besitzen. Absurder kann es kaum noch gehen.

Deshalb bleibe ihm gar nichts anderes übrig als abzuwarten und zu hoffen, dass auch die Gerichte einsehen, dass man Daten, die man nicht besitzt, auch nicht herausgeben kann, meint Behrsing.