Arktisches Eis schmilzt immer schneller

Experten auf dem ExtremWetterKongress gehen davon aus, dass die Arktis ab 2050 im Sommer eisfrei sein wird

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Auf dem dreitägigen ExtremWetterKongress in Hamburg, der bisher größte dieser Art in Deutschland, haben über dreißig Meteorologen, Klimatologen, politische Experten der Bundesregierung und Medienvertreter über die Gefahren bei extremen Wetterbedingungen referiert und diskutiert. Eine große Gefahr stellt das Abschmelzen der Polargebiete sowie des grönländischen Eises dar, das zu einem Meeresspiegelanstieg von bis zu 7 m führen kann. Obgleich genaue Prognosen über den Zeitraum des Abschmelzens von Grönland bisher nicht vorliegen, sind sich die Experten bereits darüber einig, dass die Arktis im Sommer ab 2050 bis 2080 bereits ganz eisfrei sein wird.

Der Schrecken war groß, als über die Medien Anfang der Woche verbreitet wurde, dass sich ein Eisbrocken zweimal so groß wie die Fläche von München in der Antarktis vom Schelfeis, einer Eisplatte, die auf dem Meer schwimmt und mit einem Gletscher an Land fest verbunden ist, gelöst habe. Trotz der beachtlichen Dimension der Eisfläche, die sich vom großen Kuchen, dessen Eis zwischen 200 und 1000 Meter dick ist, gelöst hat, übt der Eisbrocken keinen Einfluss auf die bisher stabilen Verhältnisse in der antarktischen Landschaft aus.

Diese für die Antarktis typisch zu beobachtenden Abbrechprozesse bewirken nur einen stärkeren Schub des Eises zum Rand. „Das Klima wird dadurch nicht wesentlich verändert“, betont Christian Schönwiese vom Institut für Atmosphäre und Umwelt der Johann-Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Viel sensibler sei hingegen das arktische Eis, wo das Meerwasser unter den Eisflächen diese von unten aufzuwärmen beginnt. Um die saisonal forcierten Schmelzprozesse zu untersuchen, ist Expeditionsleiter Arved Fuchs mit einer Jolle und einer Messmannschaft für zwei Monate in die Arktis gesegelt.

Im August 2007 war die Nordwest-Passage ganz eisfrei. Bild: Envisat/Esa

Im Unterschied zu den Zeiten des Polarforschers Franklins sind die Nord-West-Passage und die Nord-Ost-Passage nun im Sommer passierbar

Vor 20 Jahren glaubte Arved Fuchs noch nicht an einen Klimawandel. Als er damals mit seinem Segelschiff „Dagmar Aaen“ vom Hamburger Hafen aus die Polarregionen bereiste, erging es ihm und seiner Mannschaft nicht anders als dem Engländer und erfahrenen Polarexperten Sir John Franklin. Franklin war 1844 mit zwei Forschungsschiffen, der „Erebus“ und „Terror“, zur Nordwest-Passage gestartet, um diese zu durchqueren und verschwand dabei mit 130 Mann im Packeis der Arktis. Arved Fuchs ist mit seinem Expeditionsteam ebenso dreimal gescheitert und im Eis steckengeblieben.

Als er sich zum vierten Mal im Sommer 2002 mit seinem Einmaster den Eisfeldern näherte, konnte er jedoch innerhalb einer Saison problemlos durch das einjährige leichte Eis hindurch- und den Nordpol umsegeln. So brauchte er nicht gegen feste, meterdicke Eisschollen anzuschwimmen, sondern musste nun gegen Stürme und schwere Wetterfronten kämpfen. Nach Ansicht von Peter Lemke vom Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven sind die Polarregionen stärkeren Temperaturrückkopplungsprozessen ausgesetzt. Erwärmt sich das Klima weltweit um 0,7 Grad Celsius, sind es an den Polarregionen 1,1 Grad Celsius. Schmilzt das Eis als riesige Abstrahlungsfläche für Sonnenlicht in den Weltraum weitgehend ab, entstehen sogenannte dunkle Löcher im Ozean und auf der Landfläche, die die Erwärmung speichern. Die Folgen sind verheerend.

Bei der Durchquerung der Nordost-Passage entlang des sibirischen Festlandes beobachtete Arved Fuchs die Steilküsten. Ein erschreckendes Bild. Wo sonst die Küsten durch Permafrostböden majestätisch und unbeweglich aus dem Wasser ragten, sind nun Steilhänge mit scharfen Abbruchkanten zu sehen, die die Häuser dicht an den Rand der Steilhänge setzen. Sandsäcke sollen den Sturz in die Tiefe verhindern. „Wo sonst Permafrostböden ein Bollwerk gegen das Meer und seine Brandung boten, bleiben nur ekelige, schleimige Bodenkonglomerate, kurz eine weiche Küste übrig, die der Erosion Tür und Tor öffnet. Eine Katastrophe für die menschlichen Siedlungen“, erzählte Arved Fuchs auf dem ExtremWetterKongress in Hamburg. Mit Erreichen der Beringstraße sind es nur noch 1000 Seemeilen bis Dutch Harbor und bis zur Umrundung des Nordpols.

Indigene Völker speichern großes Wissen vom Klimawandel

Arved Fuchs traf auf seiner Fahrt auf indigene Stämme. In Dutch Harbor gibt es eine kleine Siedlung von ein paar hundert Menschen. Schreitet die Klimaerwärmung voran, müssen die Menschen umgesiedelt werden, was Kosten von bis zu 180 Millionen Dollar verursacht, so Fuchs.

Die Menschen leben nicht nur im aufgeweichten Geröll, sie fangen mittlerweile auch andere Fische als zu den Zeiten, in denen das Meer Winter wie Sommer ganz zugefroren war. „Wenn sie Fleisch und Fisch an der frischen Luft trocknen, so ist es nun auch wegen der Wärme von Insekten befallen und verdirbt schneller“, sagte Fuchs. Dabei leben die Menschen seit 1000 Jahren unter den Kältebedingungen und haben ein ungeheures Wissen über den Wandel des Klimas und die schleichenden Veränderungen des Ökosystems gespeichert. Da es vor Ort weder Zeitung noch Fernsehen gebe, bleibe dieses Wissen aber geheim und gelange nicht an die Öffentlichkeit, um diese rechtzeitig zu warnen.

Nicht anders sei es auf Island, wo rund 300.000 Einwohner lebten. Die dort lebenden Frauen haben viel Wissen über die Veränderungen der Umwelt wie auf einer Datenbank gespeichert, zu der jedoch nur die Schiffsreisenden Zugang haben.

Bild: U.S. Fish &Wildlife Service (fws.gov)

Bedrohte Eisbärenpopulation auf Spitzbergen

Spitzbergen hat eine besonders große Eisbärenpopulation. Doch durch das schnelle Abschmelzen der Packeisschollen und –berge müssen diese länger schwimmen, um wieder zu Eisregionen zu gelangen. Dabei sei es für die erwachsenen Tiere kein Problem, da sie gute Schwimmer sind, bis zu 100 km zu schwimmen. Doch die Jungtiere sind dieser Anstrengung nicht gleichermaßen gewachsen. Geht das Eis weiter zurück, können sich die eisfreien Distanzen auf bis zu 200 km vergrößern, was zum Ertrinken der Jungtiere führt und die schnelle Dezimierung der Population erwarten lässt.

Genauso bedroht sind die Robben und Walrosse. Arved Fuchs beobachtete vom Segelschiff aus noch vor ein paar Jahren, wie diese sich auf großen Eisschollen schlafend durchs Meer treiben ließen, um beim Aufwachen ins Meer abzugleiten und zu fressen. Bei eisfreien Meerflächen jedoch müssen sie an Land bleiben und immer wieder die gleichen Futtergründe abschwimmen, bis diese leer gefressen sind. Auch unter den Tieren wird die Unterernährung zur Dezimierung der Populationen führen.

Goldgräberstimmung am Nordpol wegen Ölvorkommen

Durch die Eisschmelze entsteht eine weitere ökologische Zeitbombe, da die Erschließung der Arktis für die Ölförderung bald einfach möglich wird. Unter den Nationen Russland, USA, Kanada, Dänemark und Norwegen sowie den multinationalen Konzernen bricht nun eine Art Goldgräberstimmung aus. Am Nordpol werden 10 Milliarden Tonnen Öl und Gas im Wert von 1000 Milliarden Dollar vermutet. Russland hat bereits seine Ansprüche auf die fossilen Ressourcen geltend gemacht, indem es in 4000 Meter Tiefe eine russische Flagge in den Grund des Eismeeres gerammt hat (Kalter Krieg um den Nordpol).

Arved Fuchs kritisierte, dass im Winter zwar der gesamte Nordpol wieder in der ursprünglichen Fläche zugefroren sei. Dies jedoch nur mit der Decke einer einjährigen Eisfläche, die mehr Salz enthalte als älteres Eis und damit für Schmelzprozesse empfänglicher sei. Der Trend, die bisher unpassierbaren Wege der Nordwest- und der Nordost-Passage mühelos zu durchqueren, nehme zu. Die Eisdecke in der Antarktis schmilzt beinahe exponentiell. Schuld daran seien die sich auch auf dem Eis bildenden Schmelzwassertümpel, die das Eis von oben aufbrechen und zum völligen Verschwinden der Gletscher, wie dies Satellitenfotos über Ostgrönland bereits zeigten, führen können. Während ein Gletscher in Ostgrönland auf einem Sattelitenfoto von 1997 noch sichtbar war, sei er 2006 bereits ganz verschwunden gewesen.

„Das Eis verschwindet schneller, als unsere Modelle vorhersagen können“, sagte Arved Fuchs. Satellitenaufnahmen zeigten im Zeitraum von 26 Jahren, von 1979 bis 2005, eine Eisschmelze auf dem Nordpol, die der vierfachen Fläche der Bundesrepublik Deutschland entsprach. Jedoch sei zwischen 2005 und 2007 die gleiche Eisschmelze in nur zwei Jahren zu beobachten gewesen. Dabei seien Schmelzwassertümpel auf dem Eis die eine Ursache. Die andere bisher kaum erforschte Ursache sei die Erwärmung des Meerwassers unter dem Eis. Darüber gebe es bisher kaum Daten.

Ice Climate Education für Jugendliche

Expeditionsleiter Arved Fuchs geht es bei den Beobachtungen am Nordpol nicht nur um Erkenntnis, er möchte die Menschen auch umerziehen. Deshalb hat er das Jugendprojekt „Ice Climate Education“ ins Leben gerufen, an dem sich die Schulen aus allen Ländern bis nach China beteiligen und ihre Themen zum Klimawandel einreichen können.

„Wir wollen damit junge Leute für die Natur begeistern. Die arktischen Regionen sind ein interessanter Lebensraum, für den es sich einzusetzen lohnt. Die Arktis ist eine Art Frühwarnsystem für die Welt“, schloss Fuchs seinen Vortrag ab. In diesem Jahr dürfen die Schüler, die den Wettbewerb gewonnen haben, auf eine Fahrt nach Island mitkommen. Sie sollen als Botschafter ihrer Altersgruppen und Multiplikatoren der Ursachen des Klimawandels fungieren.