"Quasi eine Verdrillung der Raumzeit"

Der Physiker Martin Tajmar über die rätselhaften Hintergründe eines künstlichen Gravitationseffekts

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Die Legende besagt, dass dem grübelnden Newton einst ein fallender Apfel die zündende Idee für sein Gravitationsgesetz bescherte. So folgenschwer die faktischen Auswirkungen der Newtonschen Entdeckungen sich in den folgenden Jahrhunderten auch ausnehmen mochten – an der grundlegenden Neigung des Apfels, zu Boden zu fallen, hat sich seither aber bekanntermaßen nichts geändert. Damit könnte es jedoch bald vorbei sein. Zumindest wenn es nach den Vorstellungen des Physiker Martin Tajmar geht, der an den Austrian Research Centers in Seibersdorf als Chef der Sparte Advanced Materials & Aerospace Technologies arbeitet. Unter seiner Leitung betriebene Experimente lassen mit immer größerer Wahrscheinlichkeit den Schluss zu, dass Gravitationsfelder künstlich erzeugt werden können.

In Laborversuchen zeigte sich, dass bei schnell rotierenden Ringen unter einer bestimmten tiefen Temperatur, die hierbei von Material zu Material variiert, ein erstaunlicher Gravitationseffekt zu Tage tritt: Bereits in den 90er Jahren des vorherigen Jahrhunderts sorgte der russische Chemiker Jewgeni Podkletnov für Furore bei Wissenschaftlern aller Herren Länder, als selbiger die Beobachtung eines messbaren Antigravitationseffekts in Experimenten mit rotierenden Supraleitern verkündete. Tajmar, dessen Versuchsanlage zumindest für den Laien jener des Russen ähneln mag, verwehrt sich jedoch gegen allzu weit reichende Vergleiche mit den damaligen Versuchen. Verständlich – konnten doch Podkletnovs dubiose Ergebnisse in keinem Labor der Welt experimentell nachvollzogen werden. Der Gravitationseffekt des 33-jähringen Österreichers hingegen scheut die Öffentlichkeit in keiner Weise: "Ich habe den Effekt mittlerweile 30.000 Mal gemessen. Er ist hoch reproduzierbar", sagt der Wissenschaftler und lädt jeden ein, sich selbst ein Bild zu machen.

Wie man aus dem Raumzeitgewirbel Nutzen schlägt

Das von Martin Tajmar entdeckte Phänomen, das dem so genannten Lense-Thirring-Effekt oder auch Frame-dragging-Effekt) – hiervon spricht man bei durch große Massen bedingten Verwirbelungen der Raumzeit – in seinen faktischen Auswirkungen sehr nahe steht, könnte den Ausgangspunkt für eine vollkommen neue Technologie bedeuten. Der Fantasie wird dabei viel Spielraum gewährt: Von künstlicher Schwerelosigkeit auf der Erde über verbesserte Zentrifugen und optimiertes Kurvenverhalten von Fahrzeugen bis hin zu einem auf einen entfernten Körper wirkenden Traktorstrahl reichen da die Vorstellungen.

Unterdessen gibt es auch eine Reihe von anderen Forschergruppen, die Tajmars Aufforderung Folge leisten und die Arbeiten des Physikers in unabhängigen Kontrollexperimenten überprüfen. Und bisher konnte nur untermauert werden, was keiner so richtig glauben kann – nämlich, dass Martin Tajmar die Erzeugung von künstlicher Gravitation gelungen ist.

Ist es Gravitation, ist es was Neues oder eine merkwürdige Anomalie?

Sie verwirbeln in ihren Experimenten die Raumzeit. Das ist eine sehr abstrakte Vorstellung. Was muss man sich darunter vorstellen?

Martin Tajmar.: Man stelle sich eine große, rotierende Masse vor. Laut Einsteinscher Gravitationstheorie sollte diese die Raumzeit ein bisschen mitreißen. Man kann diesen Effekt anhand von Satelliten feststellen, die sich in einem polaren Orbit befinden - also sich vom Nord zum Südpol bewegen. In diesem Fall werden die Satellitenbahnen von der Erde leicht mitgedreht. Jedoch ist dieser Effekt - das so genannte Frame-dragging - ganz, ganz klein und auch nur sehr schwer nachzuweisen.

Und Sie konnten diesen Effekt unter Laborverhältnissen mit ungleich kleineren Massen nachweisen?

Martin Tajmar.: Ich habe versucht zu überprüfen, ob man diese Art des Effekts im Labor bei sehr tiefen Temperaturen messen kann. Die Messung sieht dabei so aus: Man hat einen rotierenden Ring bei einer Temperatur von ca. 4 Grad über dem absoluten Nullpunkt. Ein paar Zentimeter von dem Ring entfernt, haben wir eine fix mit der Decke verbundene Vakuumkammer, in der sich Lasergyroskope - also Rotationssensoren - befinden. Wenn diese Gyroskope sich mechanisch nicht bewegen können aber trotzdem eine Drehung anzeigen, dann hat sich der Raum bewegt – also Frame-dragging. Also quasi eine Verdrillung der Raumzeit.

Wenn nun im Labor eine bestimmte Temperatur unterschritten wird, so nimmt das Lasergyroskop plötzlich die Drehung des Rings wahr, obwohl dieser mechanisch völlig isoliert ist und sich in einem Faradayschen Käfig befindet. Laut Relativitätstheorie würde das Frame-dragging bedeuten. Das Problem dabei ist aber, dass der Effekt des Frame-dragging so klein ist, dass man es sich bei diesem Ring schon um einen Neutronenstern handeln müsste. Das ist offensichtlich aber nicht der Fall. Deswegen muss man eigentlich richtigerweise sagen, dass es eine Art Frame-dragging ist.

Es hat sich bei den Laborversuchen gezeigt, dass es einen Phasenübergang im Material zu geben scheint, wenn man eine bestimmte Temperatur unterschreitet. Oberhalb dieser bestimmten Temperatur ist der Effekt nicht messbar.

Lässt sich dieser Effekt bei allen Materialien unterhalb einer bestimmten Temperatur nachweisen?

Martin Tajmar.: Ich hab noch kein Material gefunden, bei dem es nicht funktioniert. Aber ich hab erst vier, fünf getestet. Sogar mit Teflon funktioniert es. Und es hat nichts mit Supraleitung zu tun, was ich vor zwei Jahren ursprünglich gedacht habe. Wenn man aber ein anderes Material für den Ring wählt, dann fällt der Effekt anders aus.

Es hat in den 90er Jahren ein zumindest für den Laien ähnlich erscheinendes Experiment gegeben, welches von dem russischen Chemiker Jewgeni Podkletnov durchgeführt wurde. Kann man dieses Experiment als ein Vorbild für ihre eigenen Versuche auffassen?

Martin Tajmar.: Nein überhaupt nicht. Ich weiß schon, dass die Leute am Anfang irgendwie versuchen, das damit in Verbindung zu bringen - obwohl es überhaupt nichts miteinander zu tun hat. Erstens hat Herr Podkletnov behauptet, er könne die Erdanziehungskraft abschirmen. Was hat das mit Frame-dragging zu tun? Überhaupt nichts! Zweitens hat er angeblich einen Effekt bei Hochtemperatur-Supraleitern - das heißt bei Temperaturen von Flüssigstickstoff – festgestellt. Ich hab nie einen Effekt gesehen bei Flüssigstickstoff. Plus – das russische Experiment wurde nie nachvollzogen. Es wurde zweimal nachgebaut und es hat nie funktioniert. Ich habe es selber nachgebaut und habe auch nichts gemessen.

Gibt es eine theoretische Vorarbeit zu diesen Versuchen? Oder wie kommt man überhaupt dazu, die Schwerkraft mit rotierenden Scheiben beeinflussen zu wollen?

A 1989 gab es eine Publikation aus Stanford, in der festgestellt wurde, dass bei rotierenden Supraleitern die Masse von den Cooper-Paaren - also jenen Elektronenpaaren, die bei ganz tiefen Temperaturen auftreten und die dafür verantwortlich sind, dass der Strom in Supraleitern ohne Widerstand fließt - schwerer ist als von der Theorie vorausgesagt.

Wie kann das sein? Woher soll diese zusätzliche Masse kommen? Das wurde dann 15 Jahre in der Literatur diskutiert, ohne dass irgendjemand eine Lösung gefunden hätte. Wir haben 2002 eine Hypothese in einer Publikation aufgestellt, dass der rotierende Supraleiter zusätzlich zum Magnetfeld ein Frame-dragging-Feld erzeugt, welches wesentlich größer ist als klassisch angenommen. Das würde diese Anomalie erklären. Man muss quasi nicht nur das Magnetfeld, sondern auch das Frame-dragging-Feld messen, damit man die Masse richtig bestimmen kann. Die Experten haben natürlich gesagt, dass man das behaupten kann, solange es diese Diskrepanz zwischen Experiment und Theorie gibt. Aber wieso sollte dort so ein großes Frame-dragging-Feld sein? Laut Einstein könnte man dieses ja total vernachlässigen. Und dann habe ich eben auf experimentellem Wege nach einem Frame-dragging-Feld gesucht und tatsächlich etwas gefunden – allerdings kleiner und in seiner Art anders als ich ursprünglich vermutet habe.

Skeptiker, erste Erklärungsansätze und zukünftige Anwendungen

Wie sieht es eigentlich mit der Anerkennung ihres Effekts durch andere Physiker aus? Es gibt da ja auch einige kritische Stimmen, die nicht ganz glauben können, dass sie einen derartigen Effekt gemessen haben.

Martin Tajmar.: Generell ist es so: Wenn jemand diese Arbeit liest, dann klingt es zunächst so unfassbar, dass man es nicht glauben kann Normalerweise lesen ja die Leute auch nicht meine Arbeit, sondern nur den Titel oder kurz das Abstract und denken sich: "Naja, wart ich noch ein halbes oder ein dreiviertel Jahr und man hat irgendwo einen Fehler gefunden". Wenn ich zu einem Seminar eingeladen werde und einen Vortrag halte, erkennt man, dass dahinter 5 Jahre intensive Forschungsarbeit stecken – und dass wir alles nach bestem Gewissen genau geprüft haben. Dann schauen sich die Leute das schon näher an und lesen auch genauer. Meine Arbeit wurde jetzt von zwei externen Organisationen sehr positiv evaluiert. Und es gibt jetzt einige Gruppen, die versuchen, das nachzubauen.

Ist es sehr schwer den Effekt nachzustellen?

Martin Tajmar.: Ich hab diesen Effekt mittlerweile 30.000 Mal gemessen. Er ist hoch reproduzierbar. Die eine Sache ist, etwas wir messen. Die zweite Sache ist die Interpretation der Daten. Dass dieser Effekt auftritt ist, denke ich, zweifelsfrei. Die Frage ist, ob das, was wir messen, auch das ist, was wir glauben, das es ist. Und das ist das Kritische daran. Ich publiziere laufend Verbesserungen des Experiments. Wenn Sie glauben, etwas Neues entdeckt zu haben und sich nie der Öffentlichkeit stellen, werden Sie nie weiterkommen. Ich brauche auch das Feedback der wissenschaftlichen Community. Ich muss das irgendwie kommunizieren. Ist es Gravitation, ist es was Neues oder ist es eben eine merkwürdige Anomalie?

Steigt dieser Effekt proportional zur Größe des rotierenden Rings an?

Martin Tajmar.: Es gibt noch zu wenig Messpunkte, um das klar zu sagen, aber scheint so, dass sich der Effekt so verhält wie ein klassisches Frame-dragging-Feld. Das heißt: Er ist proportional zum Trägheitsmoment. Also - Masse und Größe sind hierbei zu beachten.

Wie hängt die Drehrichtung des rotierenden Körpers mit der zu messenden Kraft zusammen?

Martin Tajmar.: Wenn man im Uhrzeigersinn dreht, sieht man den Effekt. Wenn man gegen den Uhrzeigersinn dreht, ist der Effekt wesentlich schwächer. Ein Mysterium! In Neuseeland wurde versucht mein Experiment nachzumachen. Die waren zwar nicht so genau wie ich - aber, wenn man sich die Daten anschaut, so lässt es den Schluss zu, dass der Effekt dort gegen den Uhrzeigersinn auftritt. Höchstwahrscheinlich hat der Effekt etwas mit der Drehung der Erde zu tun. Aber das muss man erst genauer untersuchen.

Wann erwarten Sie sich erste praktische Anwendungen ihrer Forschungen?

Martin Tajmar.: Das kommt drauf an, wie viel Zeit und Geld man da jetzt investiert. Man muss sich vorstellen, das ist so ähnlich, als hätte ich gerade herausgefunden, dass die Froschschenkel zucken – Elektrizität! Natürlich hat es dann aber noch lang gedauert, bis wir wirklich Gigawatt-Atomkraftwerke hatten. Auch als man den Faraday gefragt hat, was er mit seiner Entdeckung der elektromagnetischen Induktion machen möchte, hat er gesagt: "Das weiß ich nicht. Aber ich kann Ihnen sagen, dass man einmal Steuern drauf erheben wird."

Mein Ziel ist es innerhalb von 5 Jahren einen Prototypen für eine erste Anwendung zu bauen – einen Kraftfeld-Generator. Mit Frame-dragging kann man eine Art Gravitationsfeld simulieren. Wenn man ein Frame-dragging-Feld hat und bewegt sich normal dazu - also im rechten Winkel -, dann entsteht eine Kraft. Das heißt, man könnte eine Kraft auf einen beliebigen Gegenstand erzeugen. So könnte man eine Kraft erzeugen, die der Schwerkraft entgegen wirkt. Beispielsweise: Künstliche Schwerkraft in einer Zentrifuge. Das ist keine Schwerkraft, aber man erzeugt eben eine Kraft, die so wirkt wie Schwerkraft. Man könnte quasi auf der Erde in einer Experimentierzelle Mikrogravitation erzeugen - natürlich zu wesentlich geringeren Kosten als heute im Weltraum. Man könnte eine solche Anlage vielseitig industriell nutzen.

Ist durch ihre Forschungsarbeit auch eine Revolution des Luft- und Raumfahrtsektors zu erwarten?

Martin Tajmar.: Ich glaube nicht, dass man damit ein Antriebssystem bauen kann, das unserer jetzigen Technologie überlegen ist – aber vielleicht ist mir da nur noch nicht die richtige Idee eingefallen. Man kann damit jedoch eine Kraft auf Distanz erzeugen. Die ist aber räumlich relativ begrenzt. Man könnte mit der Technologie zum Beispiel diese Flasche (Martin Tajmar deutet auf eine Trinkflasche am Tisch) anziehen, jedoch keinen Düsenjet oder so was bauen. Hingegen könnte man aber eine Rakete vom Kurs abbringen – als Abwehrmechanismus sozusagen.

Eine abschließende Frage: Wann wird der erste Mensch den Mars betreten?

Martin Tajmar.: Ich denke so um das Jahr 2035.