Abbau von Grundrechten als Kampf gegen Rechts?

In Bayern wehrt sich ein großes Bündnis gegen geplante Verschärfungen beim Versammlungsrecht

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Könnten Streikposten in Bayern bald illegal sein? Diese Frage stellen sich zur Zeit viele Gewerkschafter im Freistaat. Sie haben sich gemeinsam mit Bürgerrechtsorganisationen und Oppositionsparteien zum Initiative Rettet die Versammlungsfreiheit in Bayern zusammengeschlossen.

Der Grund ist ein von der bayerischen Staatsregierung vorgelegter Entwurf des Versammlungsrechts. Mit der Föderalismusreform sind diese Regelungen Ländersache. Die bayerische CSU-Landesregierung spielt mit der Vorlegung eines Gesetzesentwurfes den Vorreiter. Noch vor der Sommerpause soll das neue Versammlungsrecht verabschiedet werden.

Die Eile hat landespolitische Gründe. Im Herbst stehen in Bayern Wahlen an und die seit Jahrzehnten an komfortable absolute Mehrheiten gewöhnte CSU kann sich dieses Mal nicht mehr sicher sein, überhaupt noch über die 50% zu kommen. Der Streit um die bayerische Landesbank, der Zickzackkurs um das Rauchverbot, die Pleite um den Transrapid lassen die Umfragewerte der Christsozialen purzeln. Auch das neue Personal der Nach-Stoiber-Ära konnte die eigene Basis noch nicht recht überzeugen.

In einer solchen Situation soll ein konsequenter Law-and-Order-Kurs, den der Entwurf des Versammlungsrecht prägt, die eigene Basis wieder aktivieren. Ob das Kalkül aufgeht, ist fraglich. Zunächst einmal haben sich die Gegner zu Wort gemeldet, wozu auch die Arroganz der CSU-Mehrheit beigetragen hat. So war bei einer Verbandsanhörung zum Versammlungsgesetz der DGB nicht einmal eingeladen worden. Der Münchner Geschäftsführer der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Heinrich Birner, fühlt sich nun brüskiert. „Gewerkschaften sind die Organisationen, die das Versammlungsrecht am meisten brauchen und nutzen“, betont er und warnt vor der Aushebelung des Streiksrecht über den Umweg des Versammlungsrechts.

Denn in der aktuellen Fassung wären zwei Streikposten schon eine anzeigepflichtige Versammlung, die 72 Stunden vor Beginn angemeldet werden müsste. Das würde kurzfristige Warnstreiks, die bisher zum gewerkschaftlichen Protestpotpourri zählen, unmöglich machen. Die bestreikten Unternehmen könnten sich auf Arbeitskampfmaßnahmen vorbereiten und den Gewerkschaften wäre ein beliebtes Kampfmittel aus der Hand geschlagen, befürchten die Gewerkschafter.

Ungeeignete Demoanmelder

Doch nicht nur Gewerkschaften befürchten bei einer Verabschiedung des Versammlungsrechts Grundrechtseinschränkungen. Besonders in der Kritik ist eine Regelung, die Ordnungsbehörden und Polizei die Ablehnung von Versammlungsleitern ermöglichen soll, wenn sie von den Behörden als ungeeignet betrachten werden. Das gilt auch für die Demonstrationsordner, deren persönliche Daten inklusive Geburtstag, Anschrift und Namen auf Verlangen der Ordnungsbehörden vorgelegt werden müssen. Wer wird sich zum Ordner bereit erklären, wenn er eine komplette Datenerfassung befürchten muss? Mangels Ordnern und geeigneten Versammlungsleitern ließe sich womöglich die Zahl der Demonstrationen schnell reduzieren.

Diese Befürchtungen teilen viele bürgerrechtlichen Organisationen. Für Hartmut Wächtler von der Initiative Bayerischer Strafverteidiger und Strafverteidigerinnen handelt es sich bei dem bayerischen Entwurf um "einen monströsen und polizeistaatlichen Anschlag“ auf die Demokratie. In der Erklärung der Strafverteidiger wird auch davor gewarnt, dass mit dem vorgeblichen Agieren gegen Aufmärsche von Rechtsextremisten die Demokratie eingeschränkt werden soll.

Wie kämpferisch darf eine Versammlung sein?

Tatsächlich wird in der Argumentation der bayerischen Landesregierung dieser Aspekt gerne in den Vordergrund gerückt. Allerdings haben sich zivilgesetzliche Initiativen, die sich gegen rechte Gewalt engagieren, dagegen ausgesprochen, dass der Demokratieabbau als Kampf gegen Rechts ausgegeben wird. So heißt es in einer Stellungnahme des Bürgerforums Gräfenberg: „Die Einschränkung von Grundrechten ist .... kein geeignetes Mittel im Kampf gegen Rechtsextremismus, rassistische Gewalt und Intoleranz.“ In Text des Gesetzentwurfes wird allerdings von rechts- und linksextremistischen Aufmärschen als Gefahr für die Demokratie gesprochen.

Das Grundrecht der Versammlungs- und Meinungsfreiheit soll sich nicht direkt auf Veranstaltungen erstrecken, "bei denen nicht mehr der Zweck der öffentlichen Meinungsbildung und –kundgabe im Vordergrund … steht, sondern ihr unterhaltender Charakter".Eine weitere Klausel hebt hervor, dass „in Abwägungsentscheidungen über Verbote und Beschränkungen auch ausreichend gewichtige Rechte Dritter einzustellen sind“. Hier wird den Ordnungsbehörden ein weiter Raum für Einschränkungen, Auflagen und gegebenenfalls sogar Verbote geliefert. So kann die ausreichende Berücksichtigung der Rechte Dritter heißen, dass auf einen zentralen Platz das Abhalten eines kommerziellen Marktes Vorrang vor der Auftaktkundgebung einer Demonstration hat.

Mit dem Gesetz soll die Polizei auch ermächtigt werden, neben Bild- und Tonaufnahmen „auch auf sonstige Weise Daten zu erheben“. In Artikel 9 heißt es ausdrücklich: „Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte davon betroffen sind.“

Auch der Katalog der Ordnungswidrigkeiten und Straftaten soll ausgeweitet werden. So soll künftig mit einem Bußgeld bestraft werden können, „wer als Leiter Polizeibeamten keinen oder keinen angemessenen Platz einräumt“. Der Entwurf enthält überdies viele Formulierungen, die den Behörden und der Polizei einen großen Ermessenspielraum geben. So bleibt das Mitführen von Trommeln, Fahnen und anderen Hilfsmitteln zur Wahrnehmungssteigerung grundsätzlich erlaubt und fällt nur dann unter das Militanzverbot, „wenn ein Gesamteindruck entsteht, der Gewalt- und Kampfbereitschaft vermittelt und andere einschüchtert“.

Ein Passus weist daraufhin, dass das Militanzverbot auch für nichtöffentliche Versammlungen gilt. „Auch von militant auftretenden Teilnehmern einer nichtöffentlichen Versammlung kann eine einschüchternde Wirkung ausgehen, etwa auf Polizeibeamte, die zur Gefahrenabwehr oder zur Strafverfolgung einer nichtöffentlichen Versammlung gerufen werden, oder auf andere Veranstaltungsteilnehmer.“

Könnten dann in Zukunft schon kämpferische Grüße eines Versammlungsteilnehmers oder die Ankündigung einer kämpferischen Demonstration strafbewehrt sein? Es ist damit zu rechnen, dass über die Reform des Versammlungsrechts, selbst wenn sie von der CSU-Mehrheit parlamentarisch durchgesetzt wird, noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Juristische Klagen sind schon angekündigt.