Geteilte Verantwortungslosigkeit

Klimaflüchtlinge benötigen zunehmend Schutz der reichen Industriestaaten. Die EU-Migrationspolitik schlägt jedoch eine andere Richtung ein

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Seit dem 30. März verhandeln die Unterzeichner-Staaten des Kyoto-Protokolls zur Reduzierung der Treibhausgase in Bangkok über ein Nachfolgeabkommen. Pünktlich zum Anlass legte Greenpeace Indien den "Blue Alert Report" über die Folgen des Klimawandels für die Südasien-Länder vor, und warnte vor einer humanitären Katastrophe.

Klimaflüchtlinge sind heute bereits eine Tatsache, mahnt Greenpeace in Deutschland an. Die NGO geht von 20 Millionen Menschen aus, die aufgrund von Umweltschädigung, unter anderem durch die Erderwärmung, ihre Heimatregionen verlassen mussten. So heißt es auch in der Studie von Greenpeace Indien, der Klimawandel werde für die Bewohner Asiens verheerende soziale und ökonomische Folgen bringen, wenn man diesen wie bisher als ein Problem von "geringer politischer Priorität" behandle.

130 Millionen Menschen in den niederen Küstenregionen von Bangladesh, Pakistan und Indien würden von Umweltveränderungen direkt gefährdet, bleibe die globale Treibhausgas-Emission auf dem heutigen Level. In diesem Fall sei mit einer Erderwärmung um 4 bis 6 Grad Celsius im Laufe des Jahrhunderts zu rechnen. Weltweit könnten dann 200 Millionen Umweltflüchtlinge in den nächsten 30 Jahren zur internationalen humanitären Anforderung werden.

Verantwortung der westlichen Industrienationen

Dass die westlichen Industriestaaten bei dem Klimawandel für die Armutsländer Verantwortung zu übernehmen hätten, unterstrich Klimaexperte Kevin Watkins von UNDP (United Nations Development Programs) im November 2007 mit dem "Report on Climate Change". Gemeinschaftliche Verantwortung der Industriestaaten, betonen Greenpeace und die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, müsse auch Hilfeleistung und Aufnahmeregelungen für Umweltflüchtlinge bedeuten. Doch solche Regelungen gibt es bislang nicht seitens der EU-Regierung.

Die Fakten sind jedoch bekannt. Weltweit stieg der Meeresspiegel seit dreißig Jahren um eine Höhe zwischen 12 und 22 Zentimeter an, stellte der Weltklimarat IPCC im Dritten Bericht 2007 fest. Der Bericht macht deutlich, dass besonders die von Armut betroffenen Länder die Folgen zu erdulden hätten. Beispielsweise in Bangladesh brachte der Klimawandel mit Wirbelstürmen und Überschwemmungen schon jetzt große Nöte für die Bevölkerung. Versalzung der Böden im Süden nötigte ansässige Reisbauern, ihre Felder aufzugeben. Auch die Mangrovenwälder als neue Zuflucht für die Landlosen versalzen zunehmend . Akut betroffen von den Überschwemmungen sind auch die Bewohner der Regionen bei den großen Flußdeltas von Indien und Vietnam, und die Einwohner der pazifischen Inselstaaten – der Untergang der kleinen Inseln im Pazifik hat schon begonnen .

Fluchtgrund Klima

Unter den klimatischen Veränderungen werden Regionen, die ohnehin durch sozioökonomische und politische Krisen beeinträchtig sind, besonders zu leiden haben. Das wird auch noch stärker als bisher den Kontinent Afrika betreffen, wie der IPCC-Bericht verdeutlicht. So wird erwartet, dass bis 2020 durch klimainduzierte Wasserknappheit zusätzliche 75 bis zu 250 Millionen Menschen akut betroffen sein werden.

Doch zur Aufnahme von Klimaflüchtlingen legten die EU-Gesetzgeber noch keinerlei Lösung vor. Hier gilt offiziell weiterhin die Genfer Flüchtlingskonvention, in der Umweltschädigung als Fluchtursache nicht verankert ist. Greenpeace fordert deshalb eine Erneuerung des Flüchtlingsrechts. Karsten Smid von Greenpeace sieht derzeit jedoch eine "Verweigerungshaltung bei der Hilfeleistung" der Industrienationen, und speziell der deutschen Regierung.

Dringlich sei, vor Ort in den geschädigten Gebieten mehr finanzielle Hilfe zu leisten, wie auch den betroffenen Migranten einen eigenen Status einzuräumen. Ein Lösungsansatz wird von Greenpeace derzeit nach Vorbild des "Nansen-Passes" erarbeitet. Smid:

Der Nansen-Pass bestätigte Flüchtlingen nach dem ersten Weltkrieg ihren Status als heimatlos Vertriebene. Ein ähnliches Papier könnten wir uns für die von Umweltschäden Vertriebenen vorstellen.

Vor Ort müssten auch Anpassungsmaßnahmen an unaufhaltbare Prozesse anlaufen – und da sei die EU mit mehr finanzieller Unterstützung gefordert. So z. B. bei Trinkwasser-Aufbereitungsanlagen aus Meerwasser, da bereits die großen Gletscher des Himalaya und der Anden abschmelzen.

Mit den Gletschern schwindet in wenigen Jahrzehnten die wichtige Trinkwasserversorgung für die dort ansässigen Völker.

Smid

Mit Kriegen um Ressourcen wird der Klimawandel noch mehr Menschen zur Flucht zwingen, machte die Studie des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung über Globale Umweltveränderungen klar. Eine Verkettung von Konflikten und Problemen wird in Gang gesetzt, und auch wirtschaftliche Phänomene wie Arbeitslosigkeit werden damit zu tun haben. Das wird deutlich etwa in den Erfahrungsberichten von Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl. So berichtet Bernd Mesovic von Pro Asyl, dass Mitarbeiter bei der spanischen Exklave Melilla (Marokko) z. B. auf Migranten aus Bangladesh trafen:

Wenn Pro Asyl-Mitarbeiter diese Flüchtlinge nach Lebensumständen in der Heimat fragten, bekamen sie natürlich nicht gleich zur Antwort, dass Umweltschäden zur Flucht zwangen. In den unmittelbaren Berichten der Betroffenen ging es z. B. um die schwierige Jobsuche in den Städten.

Fraglich ist laut Mesovic, ob individuelle Feststellungen über den Fluchtgrund Klima bei Aufnahmeverfahren sinnvoll sind. Pro Asyl sehe kontingentierte Aufnahmeregelungen seitens der EU für notwendig an, sagt Mesovic:

Voraussetzung wird sein, dass sich die Industriestaaten kollektiv zur Hilfe für die Flüchtlinge von Umweltschäden und -konflikten bereit erklären. Doch im Gegenteil haben wir es bislang mit geteilter Verantwortungslosigkeit der reichen Nationen vor dem Problem zu tun.

Sinnvoll sei es, neue Hilfs-Abkommen bei der EU zu treffen, ohne das Paket der Genfer Flüchtlingskonvention wieder aufzuschnüren.

Dagegen: Die Wegmarken für künftige EU-Migrationspolitik

Die politischen Entscheidungsträger in der EU reagierten noch nicht mit Schritten bei der Einwanderungspolitik auf die Expertenwarnungen. Etwa in Deutschland blieb es vor allem Umwelt-Beauftragten überstellt, die IPCC-Berichte zu kommentieren. Hingegen hielt man im Innenministerium die Füße still – mehr Hilfeleistung mit Flüchtlingsaufnahmeverfahren zu geben, wurde noch gar nicht diskutiert. Keine Stellungnahme gab es bis heute von Schäubles Ministerium zu den sicherheitspolitischen Warnungen des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderung vom April 2007.

Weiterhin steht das Innenministerium für rücksichtslose Abschiebungspolitik und militärische Abschottung der EU-Außengrenzen auch mit Überwachungsdrohnen. Beschlossen wurde, den Haushalt der Grenzsicherungsagentur Frontex für 2008 um das Doppelte aufzustocken. Wegmarken für künftige EU-Migrationspolitik weisen zudem in eine Richtung, die mit Hilfeleistung nichts zu tun hat. Wolfgang Schäuble und der frühere Innenminister Sarkozy bestärkten das Konzept der "zirkulären Migration", das im Mai 2007 mit Mitteilungsschreiben der EU-Kommission spruchreif wurde.

Im Entwurf "Zirkuläre Migration und Mobilitätspartnerschaften" bleiben wirtschaftliche Erwägungen im Visier der EU. Angesteuert wird eine "ausgewogene Partnerschaft" der EU mit Drittländern, die "auf bestimmte Arbeitsmarktbedürfnisse von EU-Mitgliedsstaaten abgestimmt" ist. Demnach sollen Migranten aus den Armutsländern die Möglichkeit einer vorübergehenden Arbeitserlaubnis in Europa erhalten - zugleich wird ihnen ein legaler Aufenthaltsstatus eingeräumt. Dabei müsse die Rückkehr der Betreffenden in ihre Herkunftsländer gesichert werden. Hierfür werden die Entsendeländer bei "Mobilitätspartnerschaften" mit den EU-Staaten in die Pflicht genommen.

Haben Klimaflüchtlinge eine Chance auf humanitäre Hilfe?

Die "Bekämpfung illegaler Einwanderung" ist verdeutlichtes Ziel des Entwurfs - Hilfeleistung für Migranten unabhängig von ihrer arbeitsmarktpolitischen Verwendung spielt darin keine Rolle. Deutliche Kritik brachte Pro Asyl im Januar 2008 an dem Entwurf zum Ausdruck und warnte davor, "die Fehler früherer Gastarbeiterpolitik zu wiederholen". Pro Asyl äußerte sich dazu bei einer Anhörung im Bundestag beim Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, und hielt dem Konzept entgegen, dass Migranten "des Schutzes im Sinne von Hilfestellung bei der Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz" in Europa bedürften.

Verwiesen wurde auf Flüchtlinge gemäß der Genfer Konvention, die bereits heute wenig Chancen auf Asyl in Europa erhielten und auf Menschen, die zunehmend aus weiteren Gründen, wie Zerstörung ihres Bodens und Umweltkonflikten, fliehen. Für sie bräuchte es Aufnahmeprogramme und ein Schutzregime, gestellt von einer internationalen Gemeinschaft. Die "aktuelle Beschränktheit von EU-Migrationspolitik auf wirtschaftliche Motive" wurde von Pro Asyl anhand des Entwurfs scharf verurteilt. Nun bleibt der Ball bei den Entscheidungsträgern. An der Prioritätensetzung der EU-Politik wird sich zukünftig abzeichnen, ob Klimaflüchtlinge auf humanitäre Hilfe eine Chance haben.