Nur die Alphaversion eines Generalstreiks?

Ägypten: Hunger und Aufstände stürzen das Land in eine Krise

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Heute sind in Ägypten Kommunalwahlen, der Sieger Mubarak steht schon vor Schließung der Wahllokale fest. Die Wahlbeteiligung war ersten Meldungen zufolge sehr gering. Indessen scheint das ganze Land in Aufruhr. In Ägypten gärt es wie selten zuvor.

Mubarak steckt in Schwierigkeiten: die Bevölkerung hungert, die Schwarzmarktpreise für Brot haben das Grundnahrungsmittel übermäßig verteuert. Der Ärger darüber steigert sich täglich, es hat bereits Tote bei Streitereien in Warteschlangen vor Bäckereien gegeben.

Ägypten ist weltweit der größte Konsument von Brot. Das Land muss aber mehr als die Hälfte der benötigten 14 Millionen Tonnen Weizen, die jährlich verbraucht werden, importieren (zu 40 Prozent aus Russland und zu 20 Prozent aus Kasachstan). Das Zusammenwirken von Inflation und den gestiegenen Preisen für Weizen an den Weltmärkten hat nun dazu geführt, dass der staatlich subventionierte Verkauf von Brot nicht mehr den Bedarf der Bevölkerung deckt und zunehmend in Konkurrenz mit einem Schwarzmarkthandel steht, der das Brot wesentlich teurer verkauft.

Um den Kürzungen und der Praxis von Bäckern entgegenzusteuern, die staatlich subventioniertes Mehl zu Brot verarbeiten, das sie auf dem Schwarzmarkt verkaufen, hat Mubarak schon Soldaten an die Armeeöfen befohlen, damit sie die Produktion steigern. Hohe Arbeitslosigkeit und verbreitete Armut, 40 Prozent der Bevölkerung müssen mit zwei Dollar am Tag auskommen, eröffnen kaum Hoffnungen für eine Verbesserung der Lage. Seit einigen Tagen mehren sich die Aufstände und Proteste Unzufriedener, von Arbeitern, Bauern, aber auch Lehrern und Doktoren.

Ein Generalstreik, der für vergangenen Sonntag ausgerufen worden war, führte zu Ausschreitungen: In der Textilindustriestadt al-Mahalla al-Kubra kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen protestierenden Arbeitern und Sicherheitskräften - mit Toten, Verletzten und Hunderten von Festnahmen.

Blogger, die neben anderen unabhängigen Publikationen den Ereignissen genauer auf der Spur sind als die staatlich kontrollierte Presse, berichten von tumultartigen Szenen vor dem Polizeirevier (Fotos hier). Das Wort von der "Mahalla Intifada" macht die Runde. Laut Bloomberg wurden am Sonntag landesweit über 500 Menschen verhaftet.

Einer genaueren Analyse des Generalstreiks durch das Blog "The Arabist" lässt sich allerdings entnehmen, dass die Protestbewegung nicht einheitlich ist und von vielen Gruppierungen unterstützt wird, u.a. auch von Universitätsprofessoren und Medizinern.

...die Sache der Arbeiter, die "Brot-Krise", die Wut über die Verfassungszusätze im letzten Jahr, die vielen Korruptionsskandale, die hohen Preise, die bankrotte ägyptische Außenpolitik, dass man offiziell sogar aufgegeben hat, faire und freie Wahlen vorzutäuschen, die Routine von dauernden Verhaftungen von politischen Dissidenten – all das hat mittlerweile jede Schicht der ägyptischen Gesellschaft erreicht. Dazu noch das Gefühl der Unsicherheit der Zukunft gegenüber dazu, das durch das Fehlen jeglicher Klarheit über den politischen Prozesse der Nachfolge des Präsidenten verstärkt wird – das alles hat zu einer jetzt ziemlich fest verankerten Verärgerung gegenüber dem Regime geführt.

The Arabist.

Da die Anti-Regime-Bewegung bislang führerlos sei, würden einige befürchten, dass es wie bei den Brotaufständen von 1977 zu einem "Aufstand des Mobs" kommen könnte. Möglich sei aber auch, dass der Aufstand von Sonntag nur die "Alphaversion" eines Streikes sein könnte, wie er in der Zukunft bevorsteht.

Die stärkste politische Oppositionskraft, die Muslimbrüderschaft, übte, was den Generalstreik betrifft, bislang Zurückhaltung. Für die heute anberaumten Kommunalwahlen hat man zum Boykott aufgerufen.

Indessen haben Blogger laut AFP nun via Facebook einen neuen Generalstreik für den 4. Mai angekündigt. Das Regime warnte über staatliche Medien bereits vor drohenden Gefängnisstrafen für alle Demonstranten.