Biosprit - Verbrechen gegen die Menschheit?

IWF und die Weltbank warnen, die steigende Zahl von Hungernden gefährde schon jetzt die politische Stabilität vieler Länder

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Den Auftakt bildeten die heftigen Proteste vor gut einem Jahr in Mexiko, als die Preise für Mais so stark stiegen, dass sich viele Menschen ihre Tortillas kaum noch leisten konnten. Doch derzeit kommt es in vielen Ländern zu Aufständen und Protesten, wegen steigender Lebensmittelpreise. In Haiti führten die Hungerunruhen der letzten Tage zur Absetzung des Ministerpräsidenten, in Ägypten mündete ein Generalstreik in heftige Zusammenstöße mit der Polizei. Proteste gibt es auch schon in Bangladesh, Philippinen und Indonesien und in etlichen afrikanischen Ländern. Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank warnen, die Hungerrevolten könnten die politische Stabilität vieler Länder gefährden. Dabei sei der IWF für die fatale Lage mitverantwortlich, kritisiert der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung deren Politik und nennt die Erzeugung des so genannten Biosprits ein "Verbrechen gegen die Menschheit".

"Sieben verlorene Jahre" bei der Hungerbekämpfung drohen wegen der hohen Nahrungsmittelpreise. Darauf wies der Weltbankchef Robert B. Zoellick beim gemeinsamen Frühjahrstreffen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington hin. "Während sich manche Sorgen machen, wie sie ihren Benzintank füllen, kämpfen viele andere darum, wie sie ihren Magen füllen können", sagte Zoellick auf der Konferenz am Sonntag. Tatsächlich werde der Überlebenskampf für viele Menschen von Tag zu Tag schwieriger, weil die Ärmsten schon jetzt den mehr als 75 % des Einkommens für Nahrung ausgeben müssten.

Und die Entwicklung, die Zoellick für die Nahrungsmittelpreise aufzeigte, ist für viele arme Menschen tödlich. Nach dem Bericht Rising Food Prices: Policy Options and World Bank Response hat sich der Preis für Weizen in den letzten drei Jahren fast verdoppelt, obwohl soviel wie niemals zuvor produziert wird. Der Reispreis habe einen neuen historischen Höchststand erreicht und sei allein in den letzten zwei Monaten um etwa 75 % angestiegen. Die Preise für Nahrungsmittel seien allgemein in den letzten drei Jahren um 83 % in die Höhe geschossen.

Nach Schätzungen drohten weitere etwa 100 Millionen Menschen ins Elend abzurutschen, resümiert Zoellick, die zu den 850 Millionen Hungernden hinzukämen. Die Weltbank hat inzwischen eine Liste mit 33 Ländern aufgestellt, in denen gewaltsame Unruhen drohten, wie sie sich schon jetzt etwa schon in Haiti, Ägypten und Bangladesch und vielen anderen Ländern entladen.

In Haiti hatten sich die Unruhen bisher am weitesten entwickelt. Mindestens fünf Menschen wurden bei den Protesten erschossen. Inzwischen hat das Parlament in Port-au-Prince den Ministerpräsidenten Jacques Edouard Alexis abgesetzt, der für den Preisanstieg verantwortlich gemacht wurde. Zuvor hatte Präsident René Préval eine Preissenkung für Reis um 16 Prozent angekündigt. Berichte von Hunger-Protesten kommen auch aus Ägypten, Burkina Faso, Kamerun, Elfenbeinküste, Senegal, Mauretanien, Äthiopien, den Philippinen, Indonesien und Pakistan.

Starke Proteste fanden in Bangladesh statt, wo die Polizei die Reislager schützen muss. Bei einer Demonstration gingen am vergangenen Samstag in der Hauptstadt in Dhaka Spezialeinheiten der Polizei gegen Demonstranten mit Tränengas, Schlagstöcken und Warnschüssen vor. Hungernde Arbeiter hatten damit begonnen, die Geschäfte zu plündern. Ähnliche Vorfälle werden auch aus anderen Städten des Landes gemeldet.

Für den IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn braut sich eine gefährliche Lage zusammen. Viele Länder würden instabil, wenn die Nahrung so teuer bleibe wie bisher. "Es ist nicht nur eine humanitäre und wirtschaftliche Frage, sondern auch eine, die die Demokratie betrifft", sagte der IWF-Chef. Die hohen Preise zerstörten nicht nur die Wirtschaft von Staaten, sondern darüber werde auch die politische Verfasstheit dieser Länder bedroht.

Strauss-Kahn teilte mit, Mitarbeiter im gemeinsamen Entwicklungsausschuss von IWF und Weltbank bezeichneten die Herstellung von so genanntem Biosprit aus Nahrungsmitteln schon als eine "Verbrechen gegen die Menschheit". Einer der seit langer Zeit vor dieser Entwicklung warnte ("Ein Rezept für ein Desaster"), ist Jean Ziegler. Auch der Schweizer UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung benutzt eine deutliche Sprache.

Was sich in vielen armen Ländern entwickelt, sei der Auftakt für eine Epoche von intensivsten Konflikten, meint Ziegler: "Das sind Aufstände der nackten Verzweiflung von Menschen, die um ihr Leben fürchten und von Todesangst geplagt auf die Straße gehen." Als einen Faktor für die Entwicklung nennt auch er die Produktion von Treibstoffprodukten. Allein die USA hätten die Herstellung von Biosprit im vergangenen Jahr mit sechs Milliarden US-Dollar subventioniert, um vom Öl unabhängiger zu werden. "Die Bio-Treibstoff-Fabrikation heute ist ein Verbrechen gegen die Menschheit", resümiert Ziegler.

Zur Umwandlung von hunderten Millionen Tonnen von Mais, Getreide, Reis in Treibstoffe sei ein "Primärfaktor", zu dem weitere Faktoren hinzukämen. Da sei vor allem die Spekulation an den Börsen zu nennen. Ein Effekt der Finanzkrise, ausgelöst durch die Immobilienblase in den USA, sei, dass sich das Spekulationskapital neue Anlageformen gesucht hätte und auf die Nahrungsmittel gestoßen sei, was verschärfend auf die Preisentwicklung wirke.

Kritik am Internationalen Währungsfonds und der Spekulation auf Nahrungsmittel

Doch Ziegler macht auch den IWF für das "Massaker" verantwortlich. Der IWF hätte über seine Strukturanpassungsprogramme viele arme Länder gezwungen, Baumwolle, Kaffee, Kakao und andere Produkte einer hoch industrialisierten Landwirtschaft anzubauen, damit sie diese auf dem Weltmarkt verkaufen und aus den Erlösen ihre Kredite bedienen zu können. Das sei zu Lasten der Nahrungsmittelsouveränität gegangen.

Er fordert deshalb, dass die Politik des IWF radikal umgestaltet wird. Das Geld müsse künftig in Agrarprojekte fließen, die Kleinbauern und die Selbstversorgung der Menschen fördern. Dazu müsse auch die Europäische Union ihr Agrar-Dumping stoppen, fordert er: Die EU finanziere den Export von Agrarüberschüssen und ruiniere damit zum Beispiel die afrikanische Landwirtschaft. "Denn heute können Sie auf jedem afrikanischen Markt deutsches, französisches, belgisches Gemüse zur Hälfte oder zu einem Drittel des Preises gleichwertiger einheimischer Produkte kaufen."

Die internationale Spekulation auf Nahrungsmitteln müsse ebenfalls gestoppt werden. Heute könne man mit nur fünf Prozent Eigenkapital ganze zukünftige Ernten kaufen. Wenn diese Grenzen auf Eigenkapital auf 30 oder 40 Prozent angehoben würden, wäre das Spekulationsrisiko größer, weshalb die Spekulationen sich wenigstens verlangsamen würden.

Der IWF und die Weltbank hatten dazu aufgerufen, dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen umgehend 500 Millionen Dollar (320 Millionen Euro) zur Verfügung zu stellen. Die Weltbank will ihre Mittel zum Ausbau der Landwirtschaft in armen Ländern zudem von 800 Millionen Dollar auf eine Milliarde Dollar aufstocken. Doch ein falscher Einsatz der Gelder birgt ebenfalls die Gefahr, die Abhängigkeiten nur noch weiter zu verstärken.

So fordert Hans-Joachim Preuß, Generalsekretär der Welthungerhilfe, eine Trendwende in der Entwicklungspolitik. "Es müssen mehr Mittel für Landwirtschaft, für ländliche Entwicklung zur Verfügung gestellt werden, damit Straßen gebaut werden können, damit landwirtschaftliche Beratung erfolgen kann, damit Bewässerungssysteme gebaut werden." Von einst 20 % der Entwicklungshilfe würden heute dafür nur noch 3 - 4 % eingesetzt. "Das ist viel zu wenig, um diese Quelle der Ernährung vieler, vieler Menschen voranzubringen."

Er warnte auch vor einer künstlichen Verbilligung von Lebensmitteln als Reaktion auf die Nahrungsmittelkrise. Das führe nämlich dazu, dass der kleine Anreiz, der von höheren Lebensmittelpreisen auf die Landwirtschaft ausgeht und auch die Regierungen zum Umdenken zwingt, verloren gehe. "Kurzfristig müssen Menschen über Beschäftigungs- und Sozialprogramme in die Lage versetzt werden, sich Lebensmittel zu kaufen."