Verärgerte Politiker, Medien und Journalisten

Zeit Online will einer freie Journalistin keine Aufträge mehr erteilen, weil sich ein Bundestagsabgeordneter über sie beschwert hatte. Ein Lehrstück über ungeschriebene Gesetze, die das Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten (nicht) regeln

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Am 22. Januar 2008 landete die freie Journalistin Susanne Härpfer einen kleinen Scoop: Sie deckte in ZEIT online unter der Überschrift Angriff auf das Briefgeheimnis auf, dass die Deutsche Post über alle Briefe und Pakete, die in die USA gehen, Daten an die amerikanische Zoll- und Grenzbehörde CBP (Customs and Border Protection) liefert. Die lascheren amerikanischen Gesetze hebeln so heimlich das deutsche Briefgeheimnis aus, zu dem auch Angaben über Absender und Empfänger gehören. Andere Medien griffen das Thema dankbar auf. Heise titelte: "Massiver Eingriff in die Grundrechte".

Zu den Gepflogenheiten der journalistischen Arbeit gehört es, aus einem hübschen Thema noch mehr Honig zu saugen. Man fragt die üblichen Verdächtigen: Experten, Groß- und Klein-Politiker und diverse Hinterbänkler, die ihr Wasser nicht halten können. Es hagelt, wie auch in diesem Fall, Bestätigungen, Widerrufe, Proteste, Lob und Tadel. Ein Artikel vermehrt sich - und damit auch das für freie Journalisten lebenswichtige Honorar. So ist es seit Konrad Adenauer, von dem der königliche Satz überliefert ist: "Ich geb Ihnen die Antwort zu fünfzig Prozent gelogen, dann verdienen Sie noch was am Dementi." Susanne Härpfer legte in ZEIT online noch mehrfach nach. Am 29.01. erschienen Protest gegen Weitergabe von Postdaten, am 12.02. Klammheimlicher Datentransfer.

Am 13. Februar tagte der Innenausschuss des Bundestages. Vorsitzender ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy. Politiker wie Edathy, die sich der Innenpolitik widmen, gerieren sich gewöhnlich gern hart, greifen durch und möchten das Böse, zum Beispiel die NPD, zerschlagen und verbieten. Kurz: Innenpolitik ist nichts für Weicheier und braucht starke Männer und Charaktere.

Susanne Härpfer bekam von Ludwig Greven, Textchef Deutschland, den Auftrag, das Thema Postdatenübermittlung an die USA weiter zu verfolgen. Als Mitarbeiterin von ZEIT online interviewte sie Edathy telefonisch kurz nach der Sitzung des Innenausschusses: Das Gremium hatte wegen der Berichte in ZEIT online das Thema erörtert und einen ergänzenden Bericht aus dem Bundeswirtschaftsministerium angefordert, weil die Parlamentarier sich nicht hinreichend informiert fühlten.

Die ersten Dissonanzen traten schon während des Interviews auf: Edathy empfand die Journalistin als "ausgesprochen aggressiv", sie habe kein "Verständnis" aufgebracht, dass er ihr keine weitergehenden Auskünfte hatte geben können oder wollen. Das spricht entweder für ein undiplomatisches Auftreten Susanne Härpfers oder für professionelle Gesprächsführung: Wer einem Interview-Partner so auf die Nerven geht, dass der sich aufregt oder spontan die Fassung verliert, bekommt häufig mehr und bessere Informationen als bei Unterhaltungen, die durch höflichen Smalltalk und gegenseitiges höfliches Rücksichtnehmen geprägt sind. Hartnäckiges Nachfragen ist eine Kardinaltugend des investigativen Journalismus in angelsächsischer Tradition, auch wenn der Interviewte sich im Nachhinein mental überanstrengt fühlt. In den USA und in England würde auch kein Journalist auf die Idee kommen, das Gesagte "autorisieren" lassen. Das ist ein typisch deutscher Brauch, der im demokratischen Europa einzigartig ist und den man nur aus der hiesigen stark ausgeprägten obrigkeitsstaatlichen Tradition erklären kann. Das ungeschriebene "Gesetz" der Autorisierung fördert die vorauseilende Unterwürfigkeit der Jung-Journaille, die meint, das müsse so sein, und lebt davon, dass alle stillschweigend mitmachen, weil niemand sich traut auszurufen, dass der Kaiser nackt ist. Eine rechtliche Grundlage für Autorisierungen gibt es ohnehin nicht.

Einen weiteren Artikel Susanne Härpfers publizierte ZEIT online dann doch nicht. Man wollte warten, bis der Innenausschuss nach der Lektüre der angefordertem Stellungsnahme etwas beschlossen hätte. Die Journalistin bot einen Text über das Thema auch Telepolis an, der am 14.02.mit dem Titel Aushebelung des Postgeheimnisses erschien. Darin wird Edarthy drei Mal nicht sehr vorteilhaft zitiert: Er wolle etwas nicht wahrhaben, wiegelte ab und versuchte "das Datenschutzdebakel herunter zu reden". Inhaltlich kann man die pointierten Sätze vertreten, zumal sie als Kommentar der Autorin zum Gesagten unzweideutig zu erkennen sind.

Dass Politiker sich über Journalisten ärgern, ist normal. Auch geharnischte Beschwerdebriefe an Chefredakteure gehören zum Alltag. Ungewöhnlich ist jedoch, wenn ein Politiker versucht, ein Medium unter Druck zu setzen und sogar seine persönlichen Kontakte zum Herausgeber ins Feld führt. Sebastian Edathy schickte am 02.03. ein dreiseitiges Fax an die Chefredaktion von ZEIT online, in dem er die Journalistin scharf attackierte. Er sei erstaunt, "dass ich auf der Seite heise.de – einem privatem Forum - einen Namensartikel von Frau Härpfer finde (...), der tendenziöser kaum sein könnte." Er werde dort falsch zitiert, die Sätze seien nicht autorisiert und "in einem entfremdeten Kontext wiedergegeben." Was genau an den Zitaten falsch sei, vermochte Edathy auch auf Nachfrage nicht zu benennen. Härpfers Verhalten sei, so schreibt er, "unprofessionell" und "unjournalistisch", ihre Artikel sei "Gesinnungs-Journalismus", "faktenarm", "unterstellungsreich" und "böswillig. Im Fax an ZEIT online bittet Edathy um eine Stellungnahme und die Redaktion, darauf zu achten,

wörtliche Zitate vor einer Veröffentlichung autorisieren zu lassen, sofern dies nicht bereits im Gespräch erfolgt und tendenziöse Bericht zu unterlassen, die im Widerspruch zur Professionalität der 'Zeit' stehen. Ich bin, auch aus persönlicher Bekanntschaft mit Theo Sommer, einigermaßen entsetzt über den Beitrag von Frau Härpfer auf heise.de (...) Bis auf weiteres werde ich aber bei Hinweis auf einen Mitarbeit bei 'Zeit online" skeptisch sein.

Edathy stehe Susanne Härpfer "für keinerlei Auskunft mehr zur Verfügung." Er werde auch die weiteren 35 Mitglieder des "von mir geleiteten Innenausschusses des Deutschen Bundestages" über den Ausgang dieser Sache „in Kenntnis setzen."

Die Ansprache ist starker Tobak und gibt Rätsel auf, warum hier jemand die verbale Artillerie gegen ein paar flapsige Sätze auffährt, anstatt die Sache sportlich zu sehen. Jeder Politiker möchte selbstredend bestimmen, in welchem Medium das, was er gesagt hat, erscheint. Das würde jede Werbeagentur wegen der "corporate identity" empfehlen. Edathy betont gegenüber Telepolis, er habe einen Anspruch darauf, zu wissen, wo publiziert werden soll. "Der 'Jungen Freiheit' zum Beispiel würde ich nie als Gesprächspartner zur Verfügung stehen." Jeder Journalist möchte aber Interviews mit äußerst wichtigen Persönlichkeiten möglichst zweit- und mehrfach verwerten. Die deutschen Verleger wollen dafür oft kein Geld ausgeben, alle Rechte an Artikel abgetreten wissen und die Erlaubnis, die journalistischen Erzeugnisse der Freien online gratis veröffentlichen zu dürfen. Wer als Politiker einen freien Journalisten zwingen will, Informationen und Zitate nur einem Medium der eigenen Wahl zu verkaufen, denkt weltfremd. Weder Edathy noch seine Mitarbeiter hatten offenkundig Zeit, sich über Telepolis zu informieren, das nun wahrhaft ebenso wie Heise.de kein „privates Forum“ ist.

Das Fax des Politikers hatte für Susanne Härpfer schwer wiegende Folgen. In einer eidesstattlichen Versicherung erklärt sie, Ludwig Greven von ZEIT online habe sie am 3. März auf ihrem Handy angerufen:

In diesem Telefonat teilte er mir mit, Herr Sebastian Edathy (Vorsitzender des Innenausschusses) habe sich bei seinem Haus beschwert über meine kritische Berichterstattung bei Heise zum Thema Postdatenaustausch an die USA. Daraufhin sagte mir Herr Greven, die Redaktion von ZEIT online werde deshalb die Aufforderung durch Herrn Edathy (SPD) Folge leisten und mir als freier Journalistin keinen Auftrag mehr erteilen.

Die Fakten sind weitgehend unstrittig zwischen den "Parteien". Aber alle Beteiligten interpretieren sie jeweils anders. Auch im zum Teil hämischen Flurfunk der ZEIT-online-Redaktion wird das Thema diskutiert und gefragt, warum der Zwist so "aus dem Ruder gelaufen" sei. Der Textchef gilt bei einigen der Journalisten als Choleriker, aus dessen Büro zart besaitete Kolleginnen auch schon weinend herausgekommen seien. Härpfer hingegen sei schwierig und "überengagiert", die Frequenz ihrer E-Mails an die Chefredaktion hart an der Grenze zum Stalking. Greven gibt zu, dass das besagte Telefonat vielleicht auch hätte anders verlaufen können, wenn die Journalistin nicht gleich empört "die große Keule" geschwungen hätte. Er empfinde es als unfair, dass Härpfer Edathy nicht darüber informiert habe, seine Zitate auch anderweitig verwenden zu wollen.

Alle bemühten sich, Öl ins Feuer zu schütten. Edathy verkündet am 11.04. per E-Mail, er sei davon ausgegangen, mit einer seriösen Journalistin zu sprechen. "Eine Fehleinschätzung, wie sich herausstellte." Härpfer informiert Edathy, dass sie "wegen der besonderen (medialen) Bedeutung diese Angelegenheit öffentlich machen werde. "Weiterer Vortrag vorbehalten." Greven schreibt an die gefeuerte Autorin noch eine E-Mail: "Im uebrigen moechte ich sie bitten, auch anderen gegenüber nicht wahrheitswidrig zu behaupten, dass wir uns poltischem druck von Herrn Edathy oder anderen beugen. Das schadet ihnen nur selber." Man kann das als Drohung auffassen. Sensible Naturen würden sich dadurch beeindrucken lassen. Wer von Bundestagsabgeordneten als "aggressiv" eingeschätzt wird, fühlt sich vielleicht erst recht angespornt.

Die Wochenzeitung ZEIT verlieh bisher sechs Mal den Marion Dönhoff Preis. Personen, die diese Auszeichnung erhalten "machen keine Konzessionen an Publikum, Mode, Karriere. Sie sind ganz ohne Furcht." Vielleicht wünscht sich die ZEIT, dass es nicht gar so viele Leute mit diesen Charakteristika gibt. Das wäre doch sehr anstrengend für die Chefredaktion.