Gesteuerte Realitäten

Wie im israelisch-palästinensischen Konflikt versucht wird, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen

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Bilder, sagt man, sind eine Waffe. Sie sind es, weil sie Meinung in der internationalen Arena bilden. Die Meinung wird gebraucht, um in Zeiten der Krise zwischen A und B die internationale Unterstützung zu bekommen, die gebraucht wird, um das Maximum für die eigene Seite heraus zu holen. Und weil Bilder und Berichte - auch Text vermittelt in gewisser Weise Bilder - in Zeiten von Massenmedien und öffentlichem Druck viel zu wichtig sind, um sie dem Zufall zu überlassen, wird inszeniert, wo es nur geht. Und das oft so, dass es für Journalisten schwer ist, heraus zu finden, wem genau sie da gerade folgen – wenn sie es denn versuchen. Aufgrund des durch Internet und gesunkene Honorare entstandenen Zeitdrucks sind allerdings manche für die schnellen und preisgünstigen Bilder und Informationen dankbar, die man bei Presse-Reisen und organisierten Vor-Ort-Terminen bekommt.

Ein paar Mal war er dabei, der britische Korrespondent, einer von den alten Hasen hier in Jerusalem könnte man wohl sagen, und hat es sich angeschaut: „Ich wollte gerne mit eigenen Auge sehen, was man da so zu hören bekommt“, erläutert er.

Grob gesagt ist das folgendermaßen abgelaufen: Eine Organisation, die behauptet, sie sei unabhängig, hat mich während des Libanon-Krieges eingeladen, mit dem Bus in den Norden zu fahren. Vor Ort haben wir dann Kriegsopfer getroffen; es standen Militärsprecher bereit, die sehr viel sprachgewandter waren, als ich es sonst vom israelischen Militär gewohnt war; eine arabische Familie, die unter dem Krieg gelitten hat, durften wir auch besuchen. Als alle, nach Wochen im Luftschutzraum, erzählten, sie stünden völlig hinter dem Krieg, bin ich misstrauisch geworden, weil ich, wenn ich damals allein in der Region unterwegs war, etwas ganz Anderes zu hören bekommen hatte – ich habe bis heute den Eindruck, als habe man da, wenn nicht inszeniert, dann doch schon die Gesprächspartner Hand verlesen hat.

Wer hinter solchen Organisationen steckt, ist oft nur auf den zweiten oder dritten Blick zu erkennen: Sie nennen sich „unabhängig“, verschleiern ihre Geldgeber, laden oft auch kritische Gesprächspartner ein, die dann allerdings behutsam ins Abseits gedrängt werden, täuschen sogar vor, politisch auf der anderen Seite zu stehen, wenn es der Sache dient: die ausländischen Medien während eines „Nachrichtenereignisses“, was im Prinzip alles von Bomben- und Raketenangriffen bis hin zu einer Kampagne des israelischen Tourismusministeriums sein kann, auf die eigene Seite zu ziehen.

Während China noch mit staatlich organisierten Presse-Reisen nach Tibet kritische Blicke der Medien erntet, und die US-Armee mit ihren Angeboten, für ein paar Tage oder Wochen Journalisten mitzunehmen, von den meisten Reportern nur noch dankende Ablehnung erhält, haben sowohl Israelis als auch Palästinenser die Kunst des politischen Guerilla-Marketing nahe an die Perfektion geführt. Denn in den ausländischen Medien positiv dazustehen, das ist in dieser Region mehr als nur etwas für die Seele: Bilder und Berichte bilden öffentliche Meinung, die gebraucht wird, um die Unterstützung zu bekommen, die benötigt wird, um das Maximum für die eigene Seite herauszuholen und die Bereitschaft zur Bereitstellung von Militär- und Wirtschaftshilfen zu bilden. Die Medien sind also viel zu wichtig, um ihre Berichte dem Zufall zu überlassen, denn längst sind Berichterstatter nicht mehr nur Chronisten, sondern Teil des israelisch-palästinensischen Konflikts.

Alle das Gleiche: Fotografen machen während der Zweiten Intifada Aufnahmen von einem Steine werfenden Jungen. Bild: KSI-Price

Nachrichten-Ereignise werden dynamisch an die Anwesenheit von Reportern angepasst

Natürlich ist nicht alles, was in der Region passiert, inszeniert: Die politischen, gesellschaftlichen und diplomatischen Entwicklungen sind real; aber die Versuche, Journalisten zu steuern, um der Berichterstattung darüber die „richtige“ Richtung zu geben, sind es auch. Korrespondenten sollen dazu gebracht werden, die eine oder die andere Seite möglichst positiv darzustellen. Das fängt damit an, dass man ihnen die Arbeit möglichst einfach macht, indem man Themen vorschlägt oder Presse-Reisen samt Gesprächspartnern organisiert. Dabei geht man soweit, dass ein Nachrichten-Ereignis innerhalb einer Entwicklung an die Anwesenheit von Reportern angepasst wird – will heißen: Man stellt es. Die Hisbollah hat dies während des Libanon-Krieges genauso getan (siehe Israelische Bomben auf Kana: Massaker oder Hisbollywood?) wie das israelische Militär oder die palästinensische Autonomiebehörde in den ersten Jahren der Intifada oder die Hamas während der israelischen Armee-Offensive vor einigen Wochen.

Die palästinensische Seite war die erste, die nach dem Beginn der Zweiten Intifada im Oktober 2000 damit begann, Nachrichtenereignisse mediengerecht anzubieten: Wann immer Fernseh-Teams in Westjordanland oder Gazastreifen auftauchten, waren jugendliche Steinwerfer, Krankenwagen und die obligatorischen Verletzten nicht weit; sogenannte „Medienberater“, also Einheimische aus dem Umfeld der Palästinensischen Autonomiebehörde, die als Kontaktleute zu den oft erst kurz vorher eingeflogenen ausländischen Korrespondenten fungierten, wiesen den Weg – zu den richtigen, also linientreuen Gesprächspartnern, zur Straßenkreuzung mit der nächsten Auseinandersetzung.

Im israelischen Lager hatte man dem lange Zeit nichts entgegen zu setzen: Israelische Politiker und Presseleute waren damals der englischen Sprache nur schlecht mächtig und kamen deshalb in Interviews mit internationalen Fernsehsendern ausgesprochen schlecht rüber; die PR-Maschinerie von Militär und Regierung funktionierte zudem behäbig und feindselig gegenüber den ausländischen Journalisten: Man schottete sich ab (siehe Die Informationspolitik der israelischen Regierung), begriff die ausländischen Reporter als Gegner, die ihre Seite gefunden haben, und wäre sie am Liebsten los gewesen. Höhepunkt des Ganzen war Ende 2003 die offene Eskalation: In mehreren Interviews mit hebräischen Medien pöbelte (vgl. Ein Tag, zwei Siege für die Meinungsfreiheit in Israel) - anders kann man seine damaligen Äußerungen kaum nennen - der Direktor des für die Akkreditierung ausländischer Journalisten zuständigen Staatlichen Presseamtes gegen die Auslandskorrespondenten, die er als voreingenommen sah.

Gaza-Branding

Für den Wendepunkt in der israelischen Medienstrategie sorgte dann die Ankündigung des damaligen Regierungschefs Ariel Scharon, sämtliche israelischen Siedlungen im Gazastreifen räumen zu wollen (siehe Scharon kündigt einseitige Maßnahmen an). Dies habe, sagen Mitarbeiter der Regierung, die Chance geboten, Israel im Westen und der arabischen Welt zu „rebranden“, ihm ein neues Image zu verpassen. Und: Spätestens mit der Räumungsmitteilung begann auch die Strategie der Palästinenser zu bröckeln. Schon in den Monaten zuvor hatten sich in den westlichen Medien die Berichte über „Pallywood“, wie manche die palästinensischen Inszenierungen nennen, gemehrt; Reporter waren deshalb, und weil die Heimatredaktionen die immer gleichen Bilder Leid wurden, zunehmend seltener auf die Angebote der Medienberater in doppelten Diensten eingegangen.

Der Kehrtwende Scharons hatte man dann gar nichts mehr entgegen zu setzen: Während Israels Regierung sich bei PR-Agenturen Rat holte, um das Nachrichten-Ereignis „Gaza-Räumung“ perfekt zu planen, herrschte auf der palästinensischen Seite Hilflosigkeit mit Hang zur medialen Selbstzerstörung – im Informationsministerium beantwortete niemand das Telefon; die Regierung der Autonomiegebiete blockte ab, erklärte sich für nicht zuständig, weil die Räumung ein „unilateraler Schritt“ sei, wie man es im Nahost-Polit-Sprech nennt, wenn eine Seite etwas tut, dass die andere Seite betrifft, ohne dass diese Seite daran beteiligt ist.

Und dennoch: Während in den arabischen Medien, von denen einige einen bisher nie da gewesenen Zugang bekommen hatten, Israelis zum ersten Mal seit Langem als menschlich rüber kamen, weil die an der Räumung beteiligten Beamten vor laufenden Kameras die eine oder andere Träne über die Wange laufen ließen, wurde die Räumung PR-technisch trotzdem zum Debakel, weil sie für viele ausländische Journalisten zum Reinfall wurde.

„Es gab damals zu viele Journalisten vor Ort, die trotz unserer Warnung zu stark von Polizei und Militär eingeschränkt wurden, deshalb alle die gleichen Zitate, Bilder, Eindrücke gewannen, wenig davon verkaufen konnten, und daher am Ende nicht besonders glücklich nach Hause flogen“, erzählt die Mitarbeiterin einer PR-Agentur, die damals an der Planung beteiligt gewesen war:

Und wenn Journalisten unglücklich sind, dann sollten unsere Auftraggeber auch unglücklich sein. Bei unserer Arbeit geht es darum, ein Image zu erzeugen, und das können wir nur, wenn unsere Kunden dazu bereit sind, auf die Bedürfnisse der Journalisten einzugehen: Man muss ihnen Geschichten erzählen, ihnen Bilder geben, dafür sorgen, dass sie sich wohl fühlen, ohne dass sie sich beeinflusst oder gesteuert fühlen.

Hass-Hasen

Weswegen eine neue PR-Initiative (siehe Ruhe vor dem Sturm) der israelischen Regierung bisher weitgehend verpufft ist. Denn vor allem amerikanische Journalisten hätten damit ein Problem: Nachdem sich selbst Leitmedien wie die New York Times in den ersten Jahren nach dem 11. September „unter der Flagge vereint“ hatten, wie man es in Israel nennt, wenn Journalisten in Krisenzeiten auf kritische Fragen verzichten und offiziellen Versionen folgen, folgte darauf, eine übrigens völlig normale Folge der Versammlung unter der Flagge, die Seelensuche, die von vielen öffentlichen Entschuldigungen amerikanischer Medien und zurück gezogenen Berichten geprägt war.

„Damit ist es für eine Regierung nicht mehr so einfach, Reporter in einem Bus irgendwo hinzufahren, oder gar auf Themen aufmerksam zu machen, ohne dafür ein paar kritische Blicke zu ernten: Heute sehen sich Reporter schnell dem Vorwurf ausgesetzt, mit einer Regierung gemeinsame Sache zu machen. Anders ist es, wenn eine private Gruppe auf gewisse Dinge aufmerksam macht, Journalisten zu Gesprächen und Fahrten einlädt und ihnen dabei auch mal ein Bier anbietet,“ sagt die PR-Arbeiterin, die unumwunden zu gibt, dass sie kein Problem damit hat, wenn Medien in eine bestimmte Richtung gesteuert werden: „Da gehören doch immer zwei dazu, oder?“

In der Tat: Die Angebote der Organisationen werden gerne angenommen. Und sie schlagen sich in der Berichterstattung nieder. Eine Gruppe, die besonders gute Ergebnisse erzielt, ist Honestreporting.com, nicht zu verwechseln mit Honestreporting.org, die die dazugehörige Watch-Gruppe ist). Während diese pro-israelische Media-Watch-Gruppe weiterhin angelsächsischen Medien Voreingenommenheit und anti-israelische Tendenzen vorwirft, versucht man mit einem angeblich unabhängigen Medien-Zentrum in Jerusalem die Journalisten mit Angeboten von Wireless Internet, über ein Feierabend-Bierchen bis hin zu Vorträgen von zur Bier-induzierten Aufmerksamkeitsspanne der Teilnehmer passenden Länge zu ziehen. „Ein Angebot, das unserer Medienstrategie in die Hände spielt, und das wir deshalb gerne unterstützen“, sagt ein Mitarbeiter von Premierminister Ehud Olmert. Der israelische Journalisten-Verband hingegen findet dieses Angebot hingegen „problematisch“: Man habe den Eindruck, als versuche die Regierung ausländische Pressevertreter durch „Outsourcing“ von Pressearbeit durch die Hintertür zu beeinflussen.

Und: Es waren es nicht eifrige Korrespondenten, die den "Hass-Hasen" und die "Dschihad-Biene" bei Hamas-TV gefunden haben, die in den vergangenen Monaten einiges Medienecho in Deutschland fanden, sondern eine ebenfalls pro-israelische Media-Watch-Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, jede noch seine kleine anti-israelische oder anti-semitische Verfehlung palästinensischer Medien aufzuzeichnen und zu verbreiten. Der gesamte Umfang der palästinensischen Medienlandschaft (siehe Palästinensische Medien blutleer) findet dabei weder bei dieser Organisation, noch in den Medien Beachtung.

Journalisten in Zeitnot

In Sderot, einer Stadt in der Nähe des Gazastreifen, die immer wieder unter Raketenbeschuss gerät, verbreitet derweil eine andere Organisation, Gratis-Bilder von Raketeneinschlägen, während Media Central umgehend mit Bussen und Gesprächspartnern bereit steht, sobald etwas in Gebieten passiert, die für die meist in Jerusalem oder Tel Aviv ansässigen Journalisten nur zeit- und kostenaufwändig zugänglich sind.

Und genau dies ist auch der Hauptgrund, warum der eine oder der andere Reporter bei den wenn nicht immer kostenlosen, aber immerhin immer preisgünstigen Angeboten nicht so genau hinschaut: Viele der Korrespondenten arbeiten frei, sind darauf angewiesen, schnell und viel zu produzieren (siehe Die Flaute nach dem Schuss), weil davon die Höhe der Einnahmen abhängt. Allein durch die Region zu reisen hingegen, kostet Zeit, weil der Verkehr notorisch staut. Zudem fordert das Internet weitere Schnelligkeit: Definierte vor 15 Jahren noch die Zeit bis zum Erscheinen der Zeitung von Übermorgen (denn nach dem Schreiben musste der Text ja noch irgendwie in die Heimatredaktion geschafft werden) die Haltbarkeitsdauer eines Nachrichten-Ereignisses, ist sie heute oft schon nach wenigen Stunden abgelaufen, weil es im schnelllebigen Nahen Osten von anderen Entwicklungen überholt wurde.

Damit ist zum Beispiel das Angebot, schnell mal im organisierten Bus nach Dimona zu fahren, um Eindrücke am Ort eines Bombenanschlages zu sammeln, und gleich auch noch mit ein paar Verantwortlichen zu reden, um dann auf der Rückfahrt seinen Text zu tippen und ihn dann rechtzeitig zur Deadline nach Hause geschickt zu haben, ausgesprochen verlockend. „Im Prinzip spricht ja auch nichts dagegen, dies zu tun,“ sagt der britische Korrespondent:

Man darf dabei nur seinen gesunden Menschenverstand nicht ausschalten – wenn man bei so einem Angebot das Gefühl bekommt, dass die angebotenen Gesprächspartner Dinge sagen, die völlig dem widersprechen, was man anderswo gehört oder gelesen hat, oder wenn kritische Podiumsteilnehmer gnadenlos nieder diskutiert werden, oder wenn das Gefühl bekommt, dass etwas inszeniert ist, dann sollte man die Finger davon lassen. Letzten Endes steht die eigene Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.