Die psychischen Kosten des Kriegs

Nach einer Studie leiden 20 Prozent der Soldaten, die in Afghanistan ode im Irak waren, an psychischen Störungen, was auch mit den neuen Bedingungen der Kriegsführung zu tun habe

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Fast 20 Prozent der US-Soldaten, die nach Einsätzen im Irak oder in Afghanistan aus dem Militärdienst ausgeschieden sind, leiden unter Depressionen oder Posttraumatischem Belastungsstörungen (PTSD). Wenn man leichtere Störungen einbezieht, würde die Zahl auf 26 Prozent ansteigen. Und weniger als die Hälfte dieser Veteranen, deren Zahl mit 300000 ziemlich stattlich ist, wurde behandelt.

US-Soldat auf Patrouille in Doura. Bild: Pentagon

Es wird immer so gewesen sein, aber die Zahlen zeigen doch, dass auch Kriege, die für die eine Seite mit relativ geringen Opfern einhergingen, ihren Preis fordern, der noch lange nachwirken kann. Die vielen Söldner der privaten Sicherheitsfirmen gehen in diese Rechnung ebenso wenig ein wie die zahllosen Menschen in den Kriegsregionen, die ständig und nicht nur zeitweise, überdies zwangsweise und nicht aufgrund Arbeitsverpflichtungen den Kriegsbedingungen ausgesetzt sind und traumatisiert werden.

Die von der Rand Corporation ausgeführte, 500 Seiten umfassende Studie über die psychische Befindlichkeit der 1,65 Millionen Soldaten geht davon aus, dass viele der Soldaten, die als Überlebende und körperliche Unversehrte psychische Wunden davon tragen, auch erst lange nach dem Einsatz oder der Entlassung aus dem Militärdienst psychische Störungen entwickeln und so vom Pentagon gar nicht erfasst werden. Andere versuchen, eine Diagnose zu vermeiden, weil dies ihnen peinlich ist oder sie Karriereprobleme fürchten. Dazu kommt, dass fast 20 Prozent eine traumatische Gehirnverletzung erlitten haben, sieben Prozent davon einhergehend mit PTDS oder Depression.

Es wäre schon eine kleine Armee von Psychologen und Ärzten notwendig, um alle Veteranen und Soldaten zu behandeln. Die psychischen Probleme führen zu Selbstmorden, zum Herausfallen aus der Gesellschaft durch den Gang in die Obdachlosigkeit, zu Arbeitslosigkeit oder Drogenkonsum, aber auch zu Gewalt, zum Zerbrechen der Beziehungen oder zu Folgen für die Kinder, so dass das Kriegstrauma sich über Generationen fortsetzt. Wie es sich gehört, werden die Folgen des auch finanziell benannt und in einer Höhe von 6,2 Milliarden in den ersten zwei Jahren nach dem Einsatz angesetzt. Mit ausreichender Therapie könnten die Kosten aber sinken. Das Pentagon müsse zwischen 6000 und 25.000 Dollar in die Therapie für einen Soldaten oder eine Soldatin investieren.

Früher wurden sicher Diagnosen anders gestellt. Wenig verwunderlich ist, dass von den 16 Millionen US-Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben, nur 1-3 Prozent psychiatrische Probleme gehabt sollen (400.000 Tote, 670.000 Verletzte). Im Korea-Krieg (6,7 Millionen Soldaten) waren es 3,7 Prozent, im Vietnam-Krieg (3,4 Millionen Soldaten, ein Drittel Wehrpflichtige) sollen es gar nur 1,2 Prozent gewesen sein (47.000 Tote, 153.000 Verletzte). Zu den niedrigen Zahlen trägt vermutlich nicht nur bei, dass man damals noch nicht so auf psychische Störungen geachtet und sie anders bewertet hat, sondern dass sie oft auch nach dem Einsatz auftraten und daher nicht in die Statistik eingingen.

Wendepunkt Vietnam-Krieg

Der Vietnam-Krieg wurde gleichwohl, wie es im Bericht heißt, zum Wendepunkt, weil sich "die Nation erstmals um psychischen Probleme der Veteranen kümmerte". Die Soldaten berichteten von Depressionen, Ängsten, Alpträumen oder Schlaflosigkeit. 1970 gab es dazu die erste Anhörung im Kongress. 1979 wurde PTSD als psychische Störung im Hinblick auf die Probleme der Vietnam-Veteranen eingeführt, während gleichzeitig festgestellt wurde, dass die Soldaten desto eher psychische Probleme hatten, je intensiver die Kampfeinsätze waren. Die am Boden kämpfenden Soldaten waren stärker belastet, was auch aus dieser Sicht den Trend zum Luft- und Fernkrieg und schließlich zum Einsatz von Kampfrobotern bei Kriegen im Ausland verstärkt. Damit wird nicht nur die Zahl der Toten und Verwundeten gesenkt, sondern eben auch die der psychisch Traumatisierten. Eine Studie kam zum Schluss, dass 15 Prozent (über 470.000) der Soldaten, die am Vietnam-Krieg teilnahmen, noch 1998 unter Formen der PTSD litten.

Zwar hätten Kriege immer solche Folgen gehabt, die neuen Bedingungen der Kriege würden aber mit zur höheren psychischen Belastung beitragen. So seien bei den Einsätzen in Afghanistan und im Irak die in der Geschichte der USA höchsten Zahlen an Toten und Verwundeten zu verzeichnen. Anfang Januar waren nach Angaben des Pentagon über 3450 Soldaten getötet und über 30.000 verletzt worden. Die meisten Verwundeten hätten zwar nach 72 Stunden wieder ihren Dienst antreten können, 3.000 seien jedoch wegen schwerer Verletzungen in die USA gebracht worden. Dank besserer medizinischer Behandlung und dank besserer Schutzwesten sei das Verhältnis von Verwundeten zu Toten höher als in allen vorherigen Kriegen. Verwundete, die früher gestorben wären, hätten so überlebt – teils aber mit "schweren körperlichen, emotionalen und kognitiven Verletzungen".

Dazu kommt, dass die Soldaten schneller wieder in den Kampf zurückgeschickt und die Einsatzzeiten länger wurden. Und Stress haben nicht zuletzt die "Straßenbomben, Sprengfallen, Selbstmordattentäter, der Umgang mit den Körperteilen, das Töten eines Feindes, das Erleben, wie Kollegen und Freunde verletzt oder getötet wurden, und die Hilflosigkeit, Gewalt in Situationen beenden zu können".

Der Bericht führt weiter an, dass auch Veränderungen in der Doktrin und Kampfeinsätze, die nicht als Krieg gelten, einen Einfluss ausüben können. Obgleich viele Operationen als Friedens- oder Stabilisierungsmissionen bezeichnet worden wären, würden sie sich die Kampfeinsätze nicht vom Krieg unterscheiden. Und ein Krieg, so könnte man hinzufügen, der in Einnahme und Eroberung besteht und dann zu Ende ist, unterscheidet sich wesentlich von einer militärischen Intervention, die als Befreiungskrieg tituliert wurde und dann fünf Jahre lang, ohne Aussicht auf ein Ende der Gewalt, in einer unüberschaubaren Situation gegen verschiedene Gruppierungen, die mit Guerilla-Taktiken arbeiten, und gegen großen Teile der Weltöffentlichkeit aufrechterhalten werden muss.