Verfassungsschutz von Unten

Die Aktion "Überwach!" sammelt Daten zu den Internetaktivitäten von Regierungsstellen

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Das nach dem Vorbild des vom Schweden Patrick Wallström entwickelten Creeper gestaltete Projekt speichert und veröffentlicht "Zugriffe der Bundes- und Landesministerien, sowie von Regierungs- und Oppositionsparteien auf teilnehmende Blogs, Foren und Webauftritte". Gespeichert werden der Zugriffszeitpunkt, die "Institution" und welche Site diese besucht hat. Mit diesen Daten liefert "Überwach!" unter anderem ein "Protokoll aller Verdachtsmomente der letzten 6 Monate" und Listen mit den "Top-10 der Überwachten und der Überwacher".

Technisch funktioniert diese "Überwachung" sehr simpel – nämlich mittels seit den 1990ern bestens bekannten Web-Bugs, wie sie beispielsweise auch die VG Wort verwendet. Auf der Site findet sich eine Anleitung zum Einbau eines Code-Snippets, mit dem Blogs, Foren und Webauftritte an der Aktion teilnehmen können.

Dass keine neueren Techniken eingesetzt werden, mit denen sich Nutzerverhalten wesentlich genauer ausspionieren lässt, weist darauf hin, dass das Projekt eher Kunstcharakter hat. Tatsächlich will die Aktion "Überwach!" nach eigenen Angaben lediglich "den Spieß umdrehen" und den für die zunehmende Überwachung Verantwortlichen den "Geruch der Überwachung [...] selbst unter die Nase reiben". Ob diese Botschaft allerdings bei der richtigen Adresse ankommt, ist eher fraglich. Dass sich unter den am meisten von "Verdächtigen" besuchten Seiten nicht nur ein Mercedes-Benz-Nutzerforum, sondern auch eine Mitfahrzentrale findet, deutet darauf hin, dass es möglicherweise weniger die Aktivitäten von "Entscheidungsträgern" sind, die überwacht werden, sondern die von Praktikanten.

Dabei wäre eine Überwachung von Politikern grundsätzlich durchaus sinnvoll – und in gewisser Weise findet sie auch schon statt. Allerdings nicht durch Bürger, sondern durch große Unternehmen: Im April 2008 waren mehr als dreimal so viele professionelle Politikerbetreuer wie Bundestagsabgeordnete registriert – dabei ist die Aufnahme in die öffentliche Liste freiwillig und erfasst bei weitem nicht alle Formen des Lobbyismus. Warum also nicht diesem erheblichen Aufwand ein Gegengewicht entgegensetzen und ermitteln, was der Politiker den lieben langen Tag so macht. Nicht nur zur Aufklärung über Überwachung, sondern tatsächlich zur Kontrolle, welcher der Politiker in seiner besondere Position wesentlich mehr bedarf, als andere Bürger. Der sich daraus ergebenden Grundrechtsproblematik könnte durch eine bei Mandats- oder Postenantritt geforderte Verzichtserklärung abgeholfen werden. Schließlich müssen auch Soldaten beim Eintritt in den Beruf einige Grundrechte aufgeben – warum sollte das bei Politikern anders sein?

Ökonomisch durchführbar sollte solch ein "Verfassungsschutz von Unten" bei mehr als drei Millionen Arbeitslosen ohne weiteres sein. Selbst wenn man die Zahl der zu beobachtenden deutschen Politiker auf Funktionärs- Regierungs- und Abgeordnetenposten großzügig auf 5000 schätzt, wären zur Überwachung im Dreischichtbetrieb mit Urlaubs- und Wochenendansprüchen nicht mehr als etwa 30.000 Arbeitslose nötig. Mit ihnen könnten auch einfache Abgeordnete im Schichtbetrieb 24 Stunden am Tag intensiv kontrolliert werden. Vor allem durch eine elektronische Überwachung könnten so relativ effektiv problematische Einflussnahmen aufgedeckt beziehungsweise verhindert werden.