Bolivien stehen neue Konflikte bevor

Das illegale Autonomie-Referendum in Santa Cruz und die drohende Nationalisierung von Speiseölproduzenten sorgen für politischen Zündstoff

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Die Feierlichkeiten zum 1. Mai nutzt der bolivianische Präsident Evo Morales gerne zur Ankündigung großer Reformschritte. Nach seinem Amtsantritt vor zwei Jahren nutzte er den 1. Mai, um die Umsetzung des wichtigsten Wahlversprechens einzulösen, die Nationalisierung der Erdöl- und Erdgasvorkommen. Bis zum Kampftag der Arbeiter soll nun der Prozess mit den Ölfirmen abgeschlossen werden, darunter auch die Firma Oiltanking mit Sitz in Hamburg. Womöglich kündigt Morales nun die Nationalisierung von Speiseölproduzenten an. Im März hatte die Regierung einen Exportstopp verfügt, um den stark steigenden Preisen zu begegnen und die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Konfliktstoff bietet auch das Autonomie-Referendum im Departement Santa Cruz am 4. Mai.

Eigentlich sollte am 4. Mai im gesamten Land über die neue Verfassung abgestimmt werden, um den Dauerstreit über den Text zur "Neugründung des Landes" (Opposition lehnt sich gegen Regierung in Bolivien auf) zu beenden. Doch dazu kommt es nicht, weil das Nationale Wahlgericht (CNE) am 7. März entschieden hatte, dass die organisatorischen und rechtlichen Vorraussetzungen für das Plebiszit nicht gegeben seien. Vor allem wurde kritisiert, dass zu wenig Zeit zur Vorbereitung bleibe. 60 Tage seien zu wenig, eine derartige Abstimmung mindestens 90 Tage im Voraus angekündigt werden.

Während die Regierung von Evo Morales die Entscheidung respektiert, hält das reiche Tieflanddepartement Santa Cruz an seinem Autonomie-Referendum fest, welches das CNE ebenfalls untersagte. Der rechte Präfekt Rubén Costas, der sich seit Beginn dieses Jahres als "Regierender von Santa Cruz" ausgibt, erklärte, niemand werde die Autonomie verhindern. Die größte und reichste Provinz des Landes wagt sich erneut besonders weit vor. Santa Cruz liegt im tropischen Tiefland (den Kambas). Hier befindet sich der Großteil der Erdgasvorkommen, über die Costas und die lokale Oligarchie vollständig verfügen wollen. So stehen hinter den Autonomieplänen vor allem ökonomische Interessen. Denn die Opposition im reichen Osten des Landes will den Reichtum nicht mit dem ärmeren westlichen Hochland teilen.

Um die zweitgrößte Stadt des Landes, Santa Cruz, sind einst auch eine von den Militärs geförderte dynamische Exportwirtschaft und auch eine erfolgreiche Agrarindustrie nach brasilianischem Vorbild entstanden. Die übrigen drei abtrünnigen Tieflandprovinzen haben nach dem CNE-Urteil zunächst ihre Referenden abgesagt, wollen sie aber im Juni nachholen. Doch dabei handelt es sich nur um ein taktisches Vorgehen. In Santa Cruz läuft jetzt die Generalprobe für eine lange vorbereitete Inszenierung. Denn ohne jegliches Votum der Bevölkerung haben sich neben Santa Cruz, Tarija, Beni und Pando längst für autonom erklärt, dabei waren sie in einem Referendum 2006 mit dem Ansinnen nicht erfolgreich gewesen.

Inzwischen sind die Gespräche unter Vermittlung der einflussreichen katholischen Kirche gescheitert. Das war abzusehen: Erstens fehlt es den vier Departementchefs an einem realen Willen zur Beilegung der Konflikte und zweitens ist die Kirche als Vermittler nicht besonders geeignet, weil sie nicht unparteiisch ist. Vizepräsident Álvaro García Linera forderte die Kirche noch einmal zur Unparteilichkeit auf, nachdem sie von der Regierung verlangt hatte, die Ergebnisse der illegalen Abstimmung in Santa Cruz anzuerkennen.

Besorgt über die Vorgänge im südamerikanischen Andenstaat zeigt man sich auch in der Europäischen Union. Gemeinsam mit 16 Staaten der Region hatte die EU eine Vermittlung angeboten, weil das "friedliche Zusammenleben" in Gefahr sei. Mit einem Dialog ohne Vorbedingungen, im Rahmen des Respekts vor den Institutionen und dem Rechtsstaat, sollen die Spannungen überwunden werden.

Die Regierung Morales versucht die befürchteten Ausbrüche von Gewalt zu verhindern, wie sie die rechte Opposition lostrat, um die Verabschiedung der Verfassung zu verhindern (Bolivien: Hauptstadt-Streit dient als Blockade für neue Verfassung). Mit ihr sollen die Nationalisierungen der Bodenschätze, der Eisenbahnen, sowie die Landreform und weitere strukturelle Veränderungen abgesichert werden.

Morales bittet die Anhänger seiner Bewegung für den Sozialismus (MAS) und die ihr nahe stehenden Gewerkschaften auf, sich nicht an Protestmärschen in Santa Cruz zu beteiligen .Verschiedene Organisationen, darunter auch die Kokabauern und indigene Gruppen, rufen dazu auf, sich am 4. Mai nach Santa Cruz zu begeben, um dort die Abstimmung zu verhindern. Erneut stellt sich Morales der eigenen Basis entgegen und setzt auf einen streng legalistischen Weg (Machtkampf in Bolivien).

Kampf gegen die Teuerung

Regierungsminister Alfredo Rada kündigte ein juristisches Vorgehen an: "Wir sind dazu verpflichtet, Prozesse gegen die Autoritäten einzuleiten, die in illegale Aktivitäten verwickelt sind." Er erklärte, die Regierung werde auch nach dem 4. Mai mit "den gleichen Gesetzen, den gleichen demokratischen Instrumenten und der internationalen Unterstützung" weiter in Santa Cruz, Pando, Beni und Tarija regieren. Er reagierte damit auf die Aussagen des Großgrundbesitzers Branco Marinkovic, Vorsitzender des Bürgerkomitees von Santa Cruz. Der hatte erklärt, am 5. Mai würden diverse Dekrete von Morales zurückgenommen.

Besonders bezog sich Marinkovic auf die Entscheidung der Regierung, den Export von Speiseölen auszusetzen. Die Preise für das Speiseöl waren im Frühjahr um mehr als 50 Prozent gestiegen. Nach offiziellen Angaben war seit Januar mehr Sojaöl exportiert worden als im ganzen vergangenen Jahr. Deshalb verhängte die Regierung am 19. März temporär ein Exportverbot, das auch Hühner betrifft, deren Preise ebenfalls stark stiegen, um die Versorgung im Land zu sichern und der Inflation zu begegnen. Damit sollte auch der Spekulation und der künstlichen Verknappung einen Riegel vorgeschoben werden. Denn ausgerechnet der Familie Marinkovic gehört die größte Speiseölfirma in Bolivien, und Marinkovic habe schlicht seine Warten zum Teil nicht mehr ausgeliefert, um die Regierung zu destabilisieren, wird behauptet.

Während die Speiseölproduzenten erklären, schon 100 Millionen Dollar verloren zu haben und darunter litten, dass die Lager bis zum Rand gefüllt seien, kündigt die Regierung neue Maßnahmen an. Noch immer sei der Preis nicht auf ein vertretbares Niveau von 11 Bolivianos (etwa 50 Cent) gesunken. Es könne nicht angehen, dass die Speiseölfabrikanten die einfachen Familien vom Konsum von Speiseöl abschnitten, dessen Produktion in Bolivien staatlich mit 90 Millionen Dollar jährlich subventioniert werde, sagte der Vizepräsident.

"Wenn sie wissen wollen, wie weit wir zu gehen bereit sind, dann sollen sie ihre unnachgiebige Position aufrecht erhalten", erklärte Álvaro García Linera. Er kündigte an, dass den Speiseölfabrikanten das verbilligte und subventionierte Diesel gestrichen werde. Zudem wurde ein Dekret verabschiedet, um eine freie und durchsichtige Konkurrenz zu sichern, um die Verbraucher vor Spekulanten zu schützen. Firmen, die ihre Preise ungerechtfertigt anheben oder senken, um zuerst Konkurrenten auszuschalten und die Preise dann wieder anzuheben, droht ein Eingriff der Regierung. Die Kontrolle betreffe nur die Sektoren, die von wenigen Anbietern beherrscht werden, wie im Fall von, Speiseöl, Zucker, Reis.

Evo Morales machte inzwischen deutlich, dass er auch die Nationalisierung der Speiseölfirmen möglich ist. Wenn sie aufhörten zu produzieren und die Nachfrage in Bolivien nicht gesichert sei, "dann werden wir sie nationalisieren", sagte er. Er warf einigen Firmen vor, die Belegschaft in einen kollektiven Urlaub schicken. Es wird damit gerechnet, dass Morales den 1. Mai dazu benutzt, um möglicherweise den Schritt per Dekret anzukündigen, sollte sich das Preisniveau bis dahin nicht normalisieren.

Nationalisierung der Bodenschätze

Schon am 1. Mai 2006 hatte Morales die "Ausplünderung der Bodenschätze" beendet. Er verfügte per Dekret, dass die Energievorkommen unter die Kontrolle des Staatskonzerns "Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos" (YPFB) gestellt werden. Dieser Vorgang soll nun bei den letzten vier noch ausstehenden Firmen der Erdölindustrie abgeschlossen werden. Ende März hat Morales in einem Dekret als Stichtag den 30. April festgelegt, um die Nationalisierung abzuschließen.

Geeinigt hatte er sich schon zuvor mit der brasilianischen Petrobras. Deren beide Raffinerien gingen vor einem Jahr für den Kaufpreis von 112 Millionen Dollar an Bolivien über (Streit zwischen Bolivien und Brasilien über Verstaatlichung von Ölraffinerien beigelegt). Eine Entscheidung steht noch von vier Firmen aus: Die spanische Repsol YPF, die britischen Firmen Ashmore und British Petroleum (BP) und das deutsch-peruanische Konsortium Oiltanking. Die deutsche Firma ist in 21 Ländern aktiv und besitzt eigene Tanklager für Öl, Gas und Chemikalien. Bei der Privatisierung hatte die Firma vor acht Jahren mit der peruanischen GMP 1500 Kilometer Pipeline und 19 Terminals übernommen.

Repsol, Ashmore, BP und Oiltanking stehen nun bis zum Ende des Monats vor einer schweren Entscheidung. Sie können entweder das Land verlassen und mit der Regierung über die Kaufsumme aushandeln oder als Minderheitsaktionäre bleiben. Dann werden Gemeinschaftsunternehmen gegründet, die von der staatlichen YPFB geleitet werden, die in jeder Firma fünfzig Prozent plus eine Stimme halten wird. Damit sollen ausländische Investoren in Bolivien staatlich gelenkt und kontrolliert werden. Bleiben wird das französische Unternehmen Total.

Dass sich die zwei Jahre der Regierungszeit von Morales positiv für die überwiegend arme Bevölkerung ausgewirkt haben, lässt sich an der Lage der Kinder leicht beschreiben. Der Bevölkerungsmehrheit kommt ein größerer Teil des Reichtums zu gute. Während sich die Lage armer Menschen weltweit wegen der steigenden Preise für Grundnahrungsmittel deutlich verschlechtert, hat sich die Kindersterblichkeitsrate in Bolivien verringert. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerk UNICEF) wurde die Kindersterblichkeit halbiert.

Das sei eine "gute Nachricht", sagte Gordon J. Lewis bei der Vorstellung des Jahresberichts über die Lage der Kinder in der Welt. "Unicef gratuliert der Regierung für ihr Programm gegen die Unterernährung von Kindern". Doch, so betont Lewis, sei es immer noch eine hohe Zahl, dass 54 von 1000 Kindern nicht das fünfte Lebensjahr erreichten. In Deutschland sind das fünf von 1000 Kindern. Noch immer lebten 75 % der Kinder unter fünf Jahren in Bolivien in Armut, im Fall der indigenen Bevölkerung sind das sogar 85 %.