Gangbanger in Spießerbuden

David Ayers Polizeifilm "Street Kings" erzählt von einem korrupten Los Angeles - verpackt in gemütliche Bilder

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am Ende dieses Films reißt Keanu Reeves eine Wand ein, eine Wand im Zimmer seines Chefs und Mentors Jack Wander (Forest Whitaker). Dahinter: Geld, Unmengen davon, und keineswegs sind es nur amerikanische Dollar, die dieser korrupteste aller korrupten Polizisten – und nur solche sind in „Street Kings“ unterwegs – gehortet hat. Man sieht asiatische Währungen, arabische, und irgendwo mittendrin leuchtet das Gelb eines 200-Euro-Scheines. Es ist eine der stärksten Szenen des Films, als Reeves’ Detective Tom Ludlow fassungslos auf dieses Vermögen blickt. Nicht die schiere Menge überrascht ihn, sondern der Ort des Verstecks.

Alle Bilder: 20th Century Fox

Fernab von Liechtensteiner Konten oder einer US-amerikanischen Kreditkrise bedient sich Whitakers Charakter hier der guten, alten Hausbank. Die Matratze der Großmutter, die dem Geldinstitut nicht vertraut, ist einer hölzernen Wandvertäfelung in einem luxuriösen Anwesen gewichen – das Misstrauen aber ist geblieben. „Cops kümmern sich um Cops“, das sei doch ganz normal, so begründet Wander seine Aktivitäten. Das Geld sei nicht nur seines, es sei das der Einheit, zu ihrem Wohle eingesetzt. Lukas Foerster spricht von einer „in aller Öffentlichkeit agierenden Geheimgesellschaft“, und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Das – globale, damit dem Ort Los Angeles entzogene – Vermögen Wanders ist Zweck und Rechtfertigung für die Verbrechen, die die Einheit begeht. Der Preis: ein paar Menschenleben, darunter auch Polizisten, aber natürlich solche, die „schon so tief undercover waren, dass sie gar nicht mehr wussten, zu welcher Seite sie eigentlich gehörten“. Hilfe von außen ist weder nötig noch erwünscht.

Es ist wohl typisch für die Macher von „Street Kings“, von einem Krieg zwischen Polizisten zu erzählen. Regisseur David Ayer inszenierte bereits „Harsh Times“, und er schrieb die Drehbücher für die thematisch beinahe peinlich ähnlich gelagerten „Training Day“ und „Dark Blue“; selbst „The Fast and the Furious“ dreht sich am Rande um einen Polizisten, der die Kontrolle über seine Loyalitäten verliert. Auch Co-Autor James Ellroy widmet sich in seinen Krimis – er schrieb die Vorlagen für „L.A. Confidential“, "The Black Dahlia" und „Dark Blue“ – den Polizisten, und wie wenig sie eigentlich als vertrauenswürdige Ordnungsmacht taugen.

In der endlosen Wiederholung der immer gleichen Themen von Korruption und Verrat - von Betrug am System bei seiner gleichzeitigen Ausnutzung - liegen gewiss nicht die Stärken von Ayers Polizeithriller. Markige Sprüche der Sorte „Wir sind die Polizei, wir können tun, was wir wollen!“ krönen die Klischeeparade nur noch. Toll ist aber, wie strahlend „Street Kings“ die Abgründe der Polizeigesellschaft bebildert: Das Polizeirevier, in dem Detective Ludlows Schreibtisch steht, ist ein geleckter Prunkbau, wenigstens von innen. Edle Hölzer an den Wänden, das blinkende Chrom der Polizeimarken, eine schattenlose Ausleuchtung. Blanker Hohn, eigentlich, denn so richtige Verbrecher ohne Dienstausweis lernen wir in „Street Kings“ kaum kennen.

Die Schwächen des Films, und derer gibt es viele, offenbaren sich im Vergleich mit anderen zeitgenössischen Werken ähnlichen Themas. So versucht Ayer verzweifelt, seine Polizisten und seinen Helden mit ihren Methoden und ihrer Sprache in einer Grauzone zwischen der Ghetto- und Ganggesellschaft auf der einen und dem sonnigen Glamour Kaliforniens auf der anderen Seite zu verorten. Keanu Reeves bedient sich des gleichen Street Slangs wie die von ihm gejagten Gangster, badet sich zynisch in seinen brutalen Methoden und greift, wenn gerade mal wieder keiner hinschaut, natürlich zur Flasche. Die Motivation für seinen Nihilismus ist diffus: Irgendwann ist seine Frau gestorben, an einem Schlaganfall, während sie sich mit einem anderen Mann verlustierte, der sie – aus Angst vor Entdeckung – nicht in sondern lediglich vor ein Krankenhaus bringen wollte. Eine Lehrbuchgeschichte aus Verlust und daraus folgender Verbitterung, und damit eine dieser unnahbaren Figuren, die zwar jede Menge Gründe haben, keine Helden mehr zu sein, aber dafür keinen einzigen, sich doch noch einen Funken Idealismus im Leib zu bewahren.

Ganz anders die ungleich stärkeren Charaktere wie Vic Mackey aus „The Shield“, einer ebenfalls in Los Angeles angesiedelten Polizeiserie. Auch hier ist jeder Charakter im undurchdringlichen Grau zwischen Gesetz und Verbrechen, doch diese Figuren dürfen oszillieren, Stärken und Schwächen im Umgang mit Teilaspekten ihrer Umgebung entwickeln. Das „Strike Team“ dieser Serie spiegelt sich in Captain Wanders Spezialeinheit, und nur Wanders Ansprache zum Schluss, dass all das Geld ja nicht seiner persönlichen Bereicherung sondern dem Wohl des Teams diene, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass es auch in „Street Kings“ verschiedene Grautöne geben könnte.

Ayer unterliegt auch der Versuchung, seinen Film einer hektischen und überstilisierten Clip-Ästhetik unterzuordnen. Ständig untermalt von einem pumpenden Soundtrack sonnen sich die wilden Kameraschwenks in einem Stilwillen, dem Ayers tatsächliche Fähigkeiten nur selten gerecht werden. So sind die eigentlich spannend choreografierten Schusswechsel und Actionszenen von pompösen 360-Grad-Schwenks, gegen den Rhythmus des Films zerschnitten, unter Missachtung aller Regeln zur Wahrung des Überblicks über das Geschehen. „Street Kings“ entfernt sich damit ein gutes Stück vom postulierten Naturalismus der L.A.-Darstellung. Billige – und keinesfalls originelle – Pop-Schauwerte ersetzen die Grimmigkeit und urbane Anti-Ästhetik von „The Shield“. Der Film geriert sich bierernst und humorlos, schwimmt aber in einer breiigen Inszenierung, die in ihrer unreflektierten Ästhetisierung eher anbiedernd als kritisch erscheint. Auch die beachtlich blutigen Schießereien erscheinen eher als kalkuliertes Zugeständnis an eine diffus vermutete Zielgruppe, denn als bewusst eingesetztes Authentifizierungswerkzeug.

Direkte Folge daraus ist auch, dass der Schauplatz Los Angeles zunehmend in den Hintergrund gedrängt wird. Der fehlende Mut zur Kontrastierung greift auch hier: Auf der einen Seite das blitzblanke Polizeirevier, das der Plot nach und nach als korrupten Moloch enthüllen wird, auf der anderen Seite… nichts Besonderes. Häuser von irgendwelchen „Gangbangern“ hier und da, bieder-bürgerlich eingerichtet, langweilig. Das Licht der Oberschicht strahlt nur ein bisschen mehr als das Hellgrau der Gangs und Drogendealer. In der Wohnung unseres Nihilisten-Helden ist es zwar ein wenig unaufgeräumt, aber es gibt nichts, was nicht eine halbe Stunde Arbeit und ein Staubsauger wieder beheben könnte. „Street Kings“ erzählt von einer verwahrlosten, korrupten Stadt, zeigt aber eine ganz andere.

Los Angeles verliert in David Ayers Film jeglichen heterotopischen Charakter, wird zur lediglich halbseitig gezeichneten und nicht zu Ende gedachten Dystopie ohne Bezug zur Realität. Dass es auch anders geht zeigt das abgründige New York des exzellenten „Waz“ (Tom Shankland, USA 2007) – eine kompromisslose Untergangsvision, die den Plot des Films in jedem einzelnen Setting spiegelt. „Street Kings“ dagegen spiegelt nur die Vorurteile seiner Autoren, ohne aber jemals das Gesagte im Gezeigten zu belegen. Als Drehbuch mag sich das alles – von der Vorhersehbarkeit und mangelnden Originalität des Plots mal abgesehen – noch ganz großartig gelesen haben. Versehen mit dem aufgedunsen-ausdruckslosen Spiel eines Keanu Reeves und der stilistischen Unbeholfenheit seines Regisseurs bleibt aber nur noch ein glatt gebügelter Film, der an seiner omnipräsenten Gefälligkeit scheitert.