Diplomatie ohne Ende

Trotz vielfältiger internationaler Bemühungen herrscht im israelisch-palästinensischen Friedensprozess wieder einmal Stillstand

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am 9. April verübten Kämpfer der radikalislamischen Hamas, die im palästinensischen Gazastreifen seit Juni vergangenen Jahres das Sagen hat, einen Anschlag auf ein Treibstofflager in der Nähe des Kibbutzes Nahal Oz, über das die Treibstoff-Lieferung an den dicht bevölkerten Landstrich abgewickelt werden. Israel stellte daraufhin die Transporte für mehrere Tage ein. Zudem flog die Luftwaffe in den folgenden eineinhalb Wochen weitere Angriffe auf Ziele im Gazastreifen; mindestens 30 Menschen kamen dabei ums Leben. Zwar trafen sich Israels Premierminister Ehud Olmert und Präsident Mahmud Abbas Anfang vergangener Woche zum ersten Mal seit zwei Monaten wieder; das Treffen endete jedoch ohne Ergebnis. Die internationalen Bemühungen der vergangenen Wochen, den Friedensprozess (vgl. Anfang vom Ende oder Ende vom Anfang?) wieder in Gang zu bringen und einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas auszuhandeln, sind damit vorerst ebenso gescheitert wie die Versuche der Radikalislamisten, die mit ihnen verfeindete Fatah-Fraktion von Mahmud Abbas, Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland, zu einer Wiederauflage der Einheitsregierung zu drängen. Beobachter führen die jüngsten Entwicklungen auf unterschiedliche Prioritäten der Konflikt-Parteien zurück, die aus innenpolitischem Druck entstanden sind.

Freitage sind in Jerusalem ohnehin schon eine gespannte Angelegenheit: Die Muslime begehen auf dem Haram al-Scharif, der von den Juden Tempelberg genannt wird, ihr Freitagsgebet, während sich die Juden auf den Beginn des Ruhetages Schabbat bei Sonnenuntergang vorbereiten. Der vergangene Freitag jedoch war eine besonders gespannte Angelegenheit: Unter den wachsamen Augen Dutzender israelischer Polizisten bahnten sich zur Mittagszeit Tausende muslimischer Gläubige am Damaskus-Tor, einem der sieben Eingänge zur Jerusalemer Altstadt, ihren Weg zur drittheiligsten Städte des Islam, Stunden später folgten ihnen, auf dem selben Weg, Hunderte von ultraorthodoxen Juden, die zur Klagemauer eilten, mit oft gestressten Blicken.

Denn mit dem Ende des Schabbat, beginnt für sie die Pessach-Woche, in der man nicht nur weder Brot noch sonst irgend etwas Gesäuertes essen darf, sondern nicht einmal etwas davon im Haus haben darf, und das deshalb Einiges an Vorbereitung erfordert: Bereits Tage vor Beginn des Festes säubern religiöse Juden jede Ritze ihrer Wohnung, kaufen ein, bereiten alles für die traditionelle Seder-Zeremonie vor, die am ersten Abend der Festwoche begangen wird.

Ob es eine friedliche Woche werden wird? Niemand kann das im Moment mit Bestimmtheit sagen. Man habe Dutzende von Terror-Warnungen, sagt ein Polizeisprecher und mahnt zur besonderen Vorsicht. Denn zwar blieb es am Freitag vor Pessach ruhig in Jerusalem und auch in und um den Gazastreifen herum, doch unter der Oberfläche ist es weiterhin am Brodeln: Hatten doch zuvor Angehörige der radikalislamischen Hamas ein Treibstofflager in der Nähe des Kibbutzes Nahal Oz angegriffen, über dass die Lieferungen an den Gazastreifen abgewickelt werden und dabei zwei Sicherheitsleute getötet.

Die Ruhe nach dem Sturm

Die Organisation habe damit eine neue Treibstoffkrise in dem dicht bevölkerten Landstrich provozieren wollen, der sich seit Juni vergangenen Jahres unter der Kontrolle der Hamas befindet, kommentierten israelische Zeitungen – ein Urteil, dass auch nach Ansicht palästinensischer Kollegen durchaus eine Basis hat: Nach dem Ende der Konfrontationen zwischen israelischem Militär und Kämpfern von Hamas und Islamischem Dschihad im Gazastreifen, denen mehr als 100 Palästinenser zum Opfer fielen, und die die Israelis in der Nachbarschaft des Gazastreifen einem in seiner Heftigkeit noch nicht da gewesenen Raketenhagel ausgesetzt hatten, war es erstaunlich plötzlich ziemlich ruhig geworden.

Denn es wurde viel geredet, in den vergangenen Wochen: Die Hamas redete mit der Fatah-Fraktion von Präsident Mahmud Abbas, dessen Einflussbereich sich seit dem Verlust des Gazastreifen nur noch auf die Palästinensischen Autonomiegebiete im Westjordanland erstreckt, über eine Neuauflage der Einheitsregierung, die in den Monaten vor dem Umschwung in Gaza allerdings eher schlecht als recht funktioniert hatte. Währenddessen berieten Israel und Ägypten über die Lage im Gazastreifen und über eine zuverlässigere Abriegelung der Grenze Ägyptens zum Gazastreifen, die große Löcher hat, seit Kämpfer der Hamas im Januar an mindestens zehn Stellen die Meter hohe Metallwand, die entlang der Grenze verläuft, gesprengt hatten (vgl. Punktsiege, Fehlschläge, Scheitern, Weitermachen).

Daraufhin waren mehrere Zehntausend Palästinenser ins Nachbarland geströmt; Israels Sicherheitskräfte vermuten, dass die Hamas die Gelegenheit genutzt hat, um Waffen und Sprengstoff nach Gaza einzuführen und Kämpfer nach Ägypten zu schmuggeln. Zudem bemühten sich im Laufe der vergangenen Wochen Gesandte des Nahost-Quartetts aus Europäischer Union, Vereinigten Staaten, Russland und den Vereinten Nationen weiterhin um eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde, der wegen der Konfrontationen Ende Februar ins Stocken geraten war: US-Außenministerin Condoleeza Rice überredete Israels Premierminister Ehud Olmert bei einem Besuch vor zwei Wochen dazu, dem Abbau von einigen Militärsperren, die meisten davon unbemannt, im Westjordanland, der Entsendung palästinensischer Polizisten nach Jenin im Norden, sowie der Wiedeaufnahme der Treffen mit Abbas zuzustimmen.

Das tägliche Brot

Ein Treffen zwischen Olmert und dem Präsidenten, das erste seit zwei Monaten, verlief jedoch über die ohnehin absehbaren Zugeständnisse hinaus ergebnislos. Es gab keine Bewegung in der Jerusalem-, der Grenz- oder der Siedlungsfrage – im Gegenteil: Wenige Tage später gab das israelische Wohnungsbauministerium, dass sich unter der Leitung eines der Falken innerhalb von Olmerts-Partei Kadima befindet, einer aus ehemals rechtskonservativen und sozialdemokratischen Politikern zusammen gewürfelten zentristischen Neugründung, bekannt, es habe dem Bau von Wohnungen für einhundert Menschen (darum handelt es sich, wenn in Israel von „Wohneinheiten“ die Rede ist) zugestimmt.

Der Grund für die Zurückhaltung Olmerts ist einfach erklärt: Auch innerhalb der Regierungskoalition wird zur Zeit viel geredet, und meistens bestehen diese Gespräche aus Drohungen. Sowohl die rechtskonservative Jisrael Beitenu unter der Leitung des Populisten Avigdor Lieberman als auch die religiöse Schas lehnen Zugeständnisse, vor allem in der Jerusalem-Frage ab. Die Schas legte die Latte noch eine Stufe höher: Nicht allein die „Teilung Jerusalems“, also die Übergabe des arabischen Ostens, sondern allein schon „Schritte, die dazu führen könnten“, seien für die Partei ein Grund, aus der Koalition auszuscheiden. Theoretisch könnte Olmert auch ohne Jisrael Beiteinu und Schas weiter regieren – aber gerade nur ebenso, mit einer Mehrheit von ein paar Stimmen, bestenfalls, und das auch nur, wenn der linksliberale Meretz / Jachad-Block und die Vereinigte Torah Union sich zum Eintritt in die Koalition bewegen ließen.

Dies aber scheitert an einem weit hergeholt scheinenden Problem: Brot. Pessach. Und dem Unwillen vieler Israelis, während der Feiertage auf ein anständiges Sendwietsch (israelische Aussprache) verzichten zu wollen. Zwar gibt es ein Gesetz, dass die öffentliche Anpreisung von Brot während der Feiertage verzichtet, und das Innenministerium hat sogar Inspektoren, die dafür da sind, zu verhindern, dass jüdische Geschäfte Brot verkaufen. Nur: Vor drei Wochen entschied ein Gericht, dass das illegal ist, und Geschäfte durchaus das Recht haben, Brot zu verkaufen, so lange sie es nicht öffentlich zur Schau stellen – sehr zum Leidwesen der religiösen Parteien, die umgehend eine Überarbeitung des Gesetzes und die sofortige Unterbindung des Brotverkaufes forderten.

Die Regierung ging darauf nicht ein; Schas blieb, nutzte die Gelegenheit aber, um ihre neue Position in der Verhandlungsfrage zu präsentieren, die allerdings eher notgedrungen aufgestellt wurde: Unter den religiösen Parteien herrscht starker Konkurrenzkampf; Schas läuft Gefahr, bei den nächsten Wahlen Wählerstimmen zu verlieren, wenn sie zu stark einknickt. Und genau deshalb ist ein Eintritt der Vereinigten Torah-Union unwahrscheinlich: Diese Partei hat ihren Wählern nicht die Zuwendungen anzubieten, die die Regierungsmitarbeit mit sich bringt; sollte sie trotz der pro-säkularen Haltung der Regierung sich daran beteiligen, wäre sie beim nächsten Urnengang mit sehr viel härteren Konsequenzen rechnen als Schas – religiöse Wähler in Israel können ausgesprochen nachtragend sein.

Olmert und Abbas und die Kulissen

Und so muss Olmert mit dem leben, was er zur Zeit hat: eine Koalition, die in Verhandlungssachen nahezu bewegungsunfähig ist – womit er sich gar nicht mal so stark von seinem Gesprächspartner Abbas unterscheidet. Zwar muss der nicht auf den Willen anderer Parteien eingehen, dafür aber umso mehr auf die öffentliche Meinung im Westjordanland (vgl. Eskalation in Gaza), die sich mal mehr, mal weniger auf seiner Seite befindet, mit dem Ergebnis, dass seine Machtbasis ins Wanken geraten könnte, wenn er zur falschen Zeit zur weit auf Israel zugeht- denn Gaza ist zwar räumlich von Westjordanland getrennt, und unter der Führung der Hamas, aber für die meisten Palästinenser repräsentieren die Menschen im Gazastreifen den ärmsten Teil ihres Volkes; was mit ihm passiert, wird im Westjordanland sehr genau wahrgenommen, wodurch auch die öffentliche Meinung gegenüber Verhandlungen mit Israel beeinflusst wird.

Der Hamas ist es im Laufe der vergangenen Monate immer wieder gelungen, diese öffentliche Meinung wenn nicht auf ihre Seite, dann doch immerhin in ihre Richtung zu ziehen, indem sie die israelische Militärschläge und Lieferstopps provozierte – wie im Fall des Angriffs auf das Treibstoffdepot: Dass Israels Regierung daraufhin die Lieferungen einstellen würde, war absehbar, denn wenn in der Region eines in Stein gemeißelt ist, dann ist es die Reaktion, die auf jede Aktion so sicher wie das Amen in der Kirche folgt (siehe Entstehung einer Moraldebatte).

Dass das so ist, und das daran jeder vermittlungsbemühte Diplomat über kurz oder lang verzweifeln muss, liegt an den unterschiedlichen Prioritäten der Konfliktparteien: Olmert möchte als Friedensstifter in die Geschichte eingehen, Abbas die Besatzung des Westjordanlandes beenden, während beide durch Koalition oder Öffentlichkeit gelähmt sind. Die Hamas hingegen strebt eine Neuauflage der Einheitsregierung an, wenn sie schon die Regierung in den Palästinensischen Autonomiegebieten nicht alleine stellen kann, weil sie sich davon eine Ausweitung ihres Einflusses auf das Westjordanland, und die damit verbundene Chance einer Umbildung der palästinensischen Gesellschaft erhofft.

Die Wähler hätten der Hamas-nahen Wahlliste „Wechsel und Reform“ bei den Wahlen im Januar 2006 das Mandat gegeben (vgl. Weimar, Palästina), betonte ein Sprecher der Hamas in der vergangenen Woche einmal mehr; vom Recht, dieses Mandat auszuüben rücke man keinesfalls ab. Für Israels Regierung hingegen sind weder eine Hamas-Alleinregierung noch eine Große Koalition mit der Fatah akzeptabel, obwohl davon auszugehen ist, dass es hinter den Kulissen Gespräche über einen Gefangenenaustausch und Waffenstillstand gibt, denn anders lasse sich die plötzliche Stille auf beiden Seiten nicht erklären, sagen Beobachter auf beiden Seiten. Nur: Offen zugeben kann Olmert dies ebenso wenig, wie einer Einheitsregierung klaglos zustimmen, denn auch dies würde seiner Koalition den plötzlichen Regierungstod bescheren.

Die Rücksicht auf Israel verbunden mit der Aussicht einer Wiederauflage der internationalen Isolation, die die Palästinensische Autonomiebehörde nach den Wahlen an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hatte, ist auch einer der Gründe, warum Abbas nicht auf das Werben der Hamas eingeht – neben seiner tief sitzenden Ablehnung den Radikalislamisten gegenüber, die es ihm schon zur Zeit der Einheitsregierung schwer machte, mit der Hamas an einem Tisch zu sitzen. Bereits damals hatten sich Kämpfer der beiden Fraktionen schwere Gefechte geliefert, bei denen Hunderte starben oder verletzt wurden; am Ende war Gaza dann an die Hamas gefallen.

Darüber was die nahe Zukunft bringen wird, entscheiden wohl auch dieses Mal Männer mit Waffen, deren Handlungen immer einem Ziel dienen: Andere durch ihre Aktionen in ihre Positionen hinein zu manövrieren. Was ihr nächster Schritt sein wird, ist noch völlig unklar, und deshalb werden es in Israel Feiertage voller Spannung werden – und voller Gewalt: Am Freitag abend gingen in Sderot sieben Raketen nieder, versuchten palästinensische Kämpfer den Übergang Kerem Schalom anzugreifen, tötete die Luftwaffe bei Angriffen 13 Palästinenser.