Mehr Rechtsunsicherheit

Schon wieder ein neues Gesetz gegen den Terrorismus: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries will die bestehenden Anti-Terror-Paragrafen weiter verschärfen. Neu im Katalog: Sperrung von Websites, juristische Sanktionen für böse Absichten sowie Haftstrafen für die Verbreitung chemischer und physikalischer Formeln.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Was den US-Amerikanern der 11. September 2001 ist, ist den Europäern der 11. März fünf Jahre später: Bei Bombenanschlägen in Madrider Vorortbahnen kamen 191 Menschen ums Leben. Die unter dem Eindruck der damaligen Ereignisse verfassten Gesetzesvorhaben im europäischen Rahmen werden jetzt auch in Deutschland umgesetzt. Ziel des aktuellen Vorhabens ist vor allem das Internet. Das Netz gilt als die Quelle vieler Übel. Was es für Terroristen real bedeutet, ob und wie dort "rekrutiert" wird und wie Informationen verbreitet werden, ist jedoch strittig, nicht verifizierbar und wird von den Innen- und Justizministern deshalb in wolkigen Formulierungen umschrieben.

Schon am 21.9.2005 informierte die Europäische Kommisson das Europäische Parlament und den Rat über die "Rekrutierung von Terroristen: Bekämpfung der Ursachen von Radikalisierung und Gewaltbereitschaft". Der "Missbrauch" des Internet errege Besorgnis. Es wurde vorgeschlagen, auf der Basis der "Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr" Websites zu überwachen, zu zensieren oder abzuschalten.

Der nächste Schritt war die "European Union Counter-Terrorism Strategy". Dort findet man schon die These, dass das Internet böse Ideen verbreite und somit sittlich Gefährdete radikalisiere:

"The ability to put ideas into action has been greatly enhanced by globalisation: ease of travel, transfer of money and communication - including through the internet - mean easier access to radical ideas and training."

Man müsse, so der Schluss daraus, in Zukunft das "recruitment through the internet" unterbinden. Am 12.12.2005 verabschiedete dann der Rat der Europäischen Union die "Implementation of the Action Plan to Combat Terrorism", in dem von "unkonventionellen Waffen" der Terroristen im Internet die Rede ist:

"Europe is confronted with informal loose networks of extremists operating within its borders. Other challenges include the way terrorists use the Internet, and the efforts by some to obtain and employ non-conventional weapons."

Dieser europäische Aktionsplan wird jetzt in deutsche Gesetzesnormen gegossen. Auch der "Aktionsplan der EU zur Verbesserung der Sicherheit von Explosivstoffen" wird einfließen. Die Bundesjustizministerin kann sich bei den geplanten Sicherheitsgesetzen im Gegensatz zur Vorratsdatenspeicherung nur indirekt auf europäische Vorgaben berufen. Das hat mit der komplizierten Konstruktion des europäischen Rechts zu tun. Gesetze der Europäischen Gemeinschaft (EG) begründen unmittelbar supranationale Rechtsordnungen. Die Vorratsdatenspeicherung fußt auf einer "Richtlinie" der EG, ist also nur mit einem juristischen Taschenspielertrick auf einem Umweg zum so genannten "Unionsprimärrecht" geworden, das jeder Staat gezwungen ist umzusetzen. Das "Unionssekundärrecht" aber, um das es sich bei den Anti-Terror-Maßnahmen handelt, ist ein Vertrag zwischen Staaten im Rahmen des Völkerrechts, daher nur eine Art rechtlicher Rahmen, innerhalb dessen sich das nationale Recht bewegen muss. Der deutsche Gesetzgeber hat also wesentlich mehr Spielraum, wie er die Wünsche der Europäischen Union umsetzt.

Drei Jahre Haft für das "Herunterladen von Bombenbauanleitungen"

Heute soll laut einem Bericht der Bild-Zeitung ein neuer Gesetzentwurf dem Bundestag zugeleitet werden. Wer Terroranschläge vorbereitet, sich zum Beispiel in einem Lager zum Terroristen ausbilden lässt, Sprengstoff beschafft oder Anschläge finanziert, soll mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden. Wer die berühmt-berüchtigten "Bombenbauanleitungen" online publiziert oder "herunterlädt", dem drohen maximal drei Jahr Haft. Das Gesetzesvorhaben schränkt ein: Strafbar sind die Taten nur, wenn man tatsächlich einen Terroranschlag geplant hat.

In Zukunft wird ein Richter detailliert zu forschen haben, ob sich jemand in einem Camp in Afghanistan nur zu milieu- oder völkerkundlichen Studien aufgehalten hat oder ob er dort in die Prinzipien der Sprengchemie eingeführt wurde. Die Gerichte werden prüfen müssen, ob der Wikipedia-Eintrag zum Thema Sprengstoff noch von einem strenggläubigen Muslim angesehen werden darf oder ob das schon vorbereitender Terrorismus ist. Interessant wird gewiss auch sein, was das Bundesverfassungsgericht im Fall der Fälle noch vom Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt sehen wird oder ob die chemische Formel von Hexamethylentriperoxiddiamin im Internet unter das strafbewehrte "Anpreisen" fällt.

Werden die neuen Paragrafen 91 StGB, 89a und 120a des Strafgesetzbuches verabschiedet, geht es dem Internet - zumindest in Deutschland - vielleicht an den Kragen. Auch wenn der Inhalt einer Website nicht beabsichtigt, für Terror zu werben, reicht es aus, wenn diese "objektiv geeignet" ist, "die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine Gewalttat mit einer staatsschutzrelevanten Zielsetzung zu begehen." Der Wunsch (nicht nur) Wolfgang Schäubles, "gefährliche" Websites sperren zu können, würde sich erfüllen.

Das alles aber ist reine Theorie. Das neue Gesetzesvorhaben der Bundesjustizministerin entpuppt sich bei näherem Hinsehen als unpraktikabel, rein symbolisch gemeint und letztlich als mehr oder minder heiße Luft. Die bis jetzt bekannten vagen Formulierungen öffnen der rechtlichen Exegese breiten Raum, weil sie so unbestimmt sind, dass den Gerichten nur die psychologische Erörterung der Motivlage eines Angeklagten als Entscheidungsgrundlage bleibt. Das hyperaktive Bemühen, nicht nur konkrete Straftaten zu ahnden, sondern diese schon bestrafen zu wollen, wenn sie nur geplant sind, bewegt sich auf gefährlichem Terrain: Die Strafverfolgung wird grenzenlos in ein nicht näher definiertes Vorfeld verlagert und schafft Rechtsunsicherheit, da man nicht mehr genau weiß, wann welche Information der jederzeit legitimen staatsbürgerlichen Aufklärung nach § 86 Absatz 3 StGB dient oder verboten ist.

Der neu formulierte Paragraf 89a (bisher § 89: "Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane") schafft sogar ein widersinniges logisches Konstrukt. Die ohnehin schon unbestimmten Definitionen der Paragrafen 129a und 129b über die "Bildung terroristischer Vereinigungen" verlangten nach mindestens drei Personen, um einen Terrorismus-Verdacht zu begründen. Jetzt reicht ein Einzeltäter. Der ursprüngliche gemeinsame Plan der Bundesjustizministerin und des Bundesinnenministers, das über eine nochmalige Verschärfung des § 129a zu erreichen, ist somit umgangen worden.

Urbane Legende

Wie die terroristische Gefahr, in welchem Maße sie auch immer besteht, durch immer schärfere Gesetze eingedämmt werden kann, ist aus dem neuen Vorhaben nicht zu ersehen. Wer einen Bombenanschlag im Sinn hat, wird sich durch die Strafbarkeit der Planung wohl kaum davon abhalten lassen. Dass Terroristen sich im Internet nach Bombenbauanleitungen umsehen, ist eine urbane Legende, die auch nach zahlreichen Wiederholungen nicht wahr wird. Schon seit Jahren fordern die üblichen Verdächtigen mit schöner Regelmäßigkeit Filter gegen Bombenbauanleitungen, auch ein Verbot des "Herunterladens". Bisher hat aber noch niemand verlangt, dass einschlägige Chemie- und Physikbücher aus den Bibliotheken verbannt werden sollen. Es kann nicht überraschen, dass Provider in Deutschland Schriften wie die Bücher des Major von Dach, die vom Schweizer Unteroffizierverband verbreitet wurden, nur ungern digital hosten wollen. Aber kein deutsches Gesetz wird einen Provider in Malaysia oder Belize interessieren. Die technisch absurde Idee, man könne etwas aus "dem Internet" verbannen, verbreiten aber oft nur die Politiker, die einen Browser nicht von einem Beriebssystem unterscheiden können.

Welche Websites Terroristen auch in Zukunft ansurfen werden, weiß man heute schon - die der Universität von Mississippi ("Explosive Materials Disposal", reference.com ("Explosive material"), Prof. Blumes Bildungsserver für Chemie ("Über die Leichtigkeit, Spreng- und Kampfstoffe herzustellen"), "Documentation and Diagrams of the Atomic Bomb" und vermutlich auch die Newsgroup de.sci.misc vom 27.03.1995.