Ex-Fed-Chef Paul Volcker kritisiert US-Notenbank

Eherne Notenbank-Prinzipien wurden bis zum "Point of no Return" durchbrochen

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Paul A. Volcker war von August 1979 bis August 1987 Alan Greenspans Vorgänger als Chairman der US-Notenbank Fed und wird noch heute für sein forsches Auftreten als Inflationsbekämpfer gerühmt. Immerhin hatte er die Inflationsrate, die in den USA 1981 bis auf 13,5% angestiegen war, innerhalb von zwei Jahren auf 3,2% herab gedrückt - das allerdings mit Leitzinsen von vorübergehend mehr als 20 Prozent und ohne Rücksicht auf Beschäftigung und Wachstum. Die Folge war eine der schwersten Rezessionen nach dem 2. Weltkrieg und der Ruin vieler schwer in Dollar verschuldeten Länder Lateinamerikas.

In einem Vortrag bei der Jahrestagung des Economic Club of New York am 8. April sprach er seinen Ärger über die Verhältnisse relativ unverblümt aus. Er begann mit einem Vergleich zwischen der aktuellen Finanzkrise mit seiner 30 Jahre zurückliegenden Zeit als Gouverneur der New Yorker Fed, während der die Stadt New York die schwerste Finanzkrise ihrer Geschichte durchgemacht hatte und vorübergehend zahlungsunfähig war, was im Vergleich mit der heutigen Finanzkrise allerdings ein Kinderspiel gewesen sei.

Die Stadt hatte jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt und die Banken hatten gut daran verdient. Nur hatte diese „profitable, aber wackelige“ Finanzstruktur die stetige Prolongation kurzfristiger Schulden verlangt und basierte auf der unausgesprochenen Voraussetzung, dass große Städte nicht Pleite gehen könnten. Als dies dann aber trotzdem geschah, sah sich Volcker hohem Druck ausgesetzt, unter Aktivierung von Notfallrechten aus der Zeit der großen Depression der 1930er Jahre einzuschreiten und der Stadt mit Zentralbankgeld aus der Misere zu helfen. Denn sonst sei auch das gesamte US-Finanzsystem gefährdet, wie es hieß.

Volcker jedoch widerstand. New York musste ein Schuldenmoratorium eingehen und sich härteste Sparmaßnahmen unterwerfen - und das hätte Volcker auch der heutigen Fed geraten. Diese hingegen habe ihre legalen und impliziten Mittel bis zum Äußersten ausgenutzt und damit lange bewährte Notenbank-Prinzipien und -Praktiken über Bord geworfen (Fed öffnet die Schleusentore) Dies einerseits durch die direkte Kreditvergabe an Finanzinstitute außerhalb des Geschäftsbankensektors, also an die bislang nicht der Fed, sondern der Börsenaufsicht SEC unterstellten Investmentbanken. Diese unmittelbare Hilfe für die Wall Street wird von der Fed zwar als vorübergehend bezeichnet, laut Volcker werde sie im Markt aber zweifellos als implizites Versprechen für eben solches Vorgehen im Zuge künftiger Finanzkrisen interpretiert.

The immediate response to the crisis has been to resort to untested emergency powers of the Federal Reserve. Out of perceived necessity, sweeping powers have been exercised in a manner that is neither natural nor comfortable for a central bank. As custodian of the nation’s money, The Federal Reserve has the basic responsibility to protect its value and resist chronic pressures toward inflation. Granted a high degree of independence in pursuing that responsibility, the Federal Reserve should be removed from, and be seen to be removed from, decisions that seem biased to favor particular institutions or politically sensitive constituencies.

Paul Volcker

Noch schwerer zu wiegen scheint ihm aber das Abgehen der Fed von dem ehernen Prinzip, den Banken im Fall eines Bank-run zwar unbegrenzt Notenbankgeld zur Verfügung zu stellen, dies aber ausschließlich gegen erstklassige Sicherheiten. Durch den Transfer von zweifelhaften Anleihen von einer Investmentbank zur Fed sei dieses Prinzip jedoch bis zum „Point of no Return“ durchbrochen worden. Die Fed habe bislang ungetestete Verfahren eingesetzt und ihre Macht in einer Weise ausgeübt, die für eine Notenbank „weder natürlich noch angemessen“ sei. Denn als Wächter über die Währung sei es ihre erste Pflicht, deren Wert zu schützen. Angesichts ihrer Unabhängigkeit müsse sie zudem von Entscheidungen Abstand halten, die nur einzelne Finanzinstitute oder politische Gruppierungen unterstützen.

Es sei die Aufgabe der Notenbank, den selbstverstärkenden Enthusiasmus und die Ängste der Märkte zu balancieren und zu mäßigen. Dies sei besonders schwer, wenn die Märkte von Turbulenzen erschüttert werden und Rezessionsängste umgehen, denn dann sei die Versuchung groß, dem das fundamentale Bedürfnis unterzuordnen, eine verlässliche Währung bereitzustellen, die des nationalen wie internationalen Vertrauens würdig sei. Der offensichtliche Druck auf die Fed, Milliarden an unsicheren Papieren in die Bilanz zu nehmen, werfe Fragen auf, die nun damit beantwortet werden müssten, inflationären Tendenzen entschieden entgegen zu treten.

Simply stated, the bright new financial system - for all its talented participants, for all its rich rewards – has failed the test of the market place. To meet the challenge, the Federal Reserve judged it necessary to take actions that extend to the very edge of its lawful and implied powers, transcending certain long embedded central banking principles and practices.

Paul Volcker

Laut Volcker wäre es jedenfalls nicht die Aufgabe der Fed gewesen, das Wohnungswesen zu stützen, sondern jene der ursprünglich zu diesem Zweck etablierten Institutionen wie den staatlich geförderten Hypothekeninstituten Fannie Mae und Freddie Mac und den Federal Home Loan Banks, denen dazu dann aber durchaus auch staatliche Mittel zur Verfügung gestellt werden sollten. Allerdings sind dies zugleich auch börsennotierte Unternehmen, die bislang mehr die Interessen ihrer Aktionäre als das allgemeine Wohl verfolgt hätten. Wozu aber, so fragt sich Volcker, genießen sie dann aber noch staatliche Privilegien?

Insgesamt kann der 81jährige Volcker der Entwicklung des Finanzsystems in den letzten 25 Jahren kaum etwas Gutes abgewinnen. Im Unterschied zu heute waren der New Yorker Finanzkrise 40 ungewöhnlich krisenfreie Jahre vorangegangen. Die aktuelle Krise sei laut Volcker indes nur der Höhepunkt einer Entwicklung, die seit 25 Jahren im Schnitt alle fünf Jahre durch schwere Finanzmarktkrisen geprägt war. In dieser Zeit hatten sich das Finanzsystem von einem hochregulierten, auf kommerzielle Banken gestützten Kreditsystem zu einem enorm komplizierten System entwickelt, bei dem ein großer Teil der Kreditvergaben über den unregulierten Markt erfolgt - eingebettet in eine ebenso gewaltige wie unbekannte Zahl an Derivaten. Das war so profitabel, dass das Finanzsystem vor dem Ausbruch der Krise 35 bis 40 Prozent aller US-Unternehmensgewinne erzielt hatte. Der Rest der Vereinigten Staaten habe laut Volcker jedoch nicht profitiert, jedenfalls waren Wirtschaftswachstum und Produktivität nicht höher als zuvor, nur werde der Wohlstand nun wesentlich weniger gleichmäßig verteilt.

Ebenso wie vor 30 Jahren New York habe nun das ganze Land weit über seine Verhältnisse gelebt und wurde

danach süchtig, mehr zu konsumieren, als es produzieren konnte. Das Resultat war das Verschwinden privater Ersparnisse, rapide ansteigende Importe und ein gewaltiges Handelsdefizit. Gerne finanziert vom Ausland (...) schien alles nur zu komfortabel und niemand wollte etwas ändern, nicht in Washington, das Geld ausgeben und die Steuern dennoch niedrig halten konnte; nicht an der Wall Street, die im Geld schwamm, und nicht in der Bevölkerung, die von billigen Krediten und steigenden Hauspreisen profitierte.

Paul Volcker

Letztendlich konnten auch diesmal keine finanzieller Taschenspielertricks das Unhaltbare für immer aufrecht erhalten, schließt Volcker. Und nun würde der Wirtschaft die ebenso schmerzhafte wie notwendige Neuausrichtung eben aufgezwungen.

Von Rainer Sommer ist gerade das Buch Die Subprime-Krise. Wie einige faule US-Kredite das internationale Finanzsystem erschüttern erschienen.