Gegen alle Heilsversprechen

Der Sieg des Befreiungstheologen Fernando Lugo in Paraguay setzt den politischen Trend gegen weltliche und kirchliche Eliten in Lateinamerika fort

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Kurz nach dem Machtwechsel in Paraguay begannen die Mutmaßungen: Wer ist der Mann, der nach über sechs Jahrzehnten die Herrschaft der rechtskonservativen Colorado-Partei gebrochen hat? Vor allem eine Frage bewegte die Medien immer wieder: Wie ähnlich ist er dem Venezolaner Hugo Chávez? Vergleichsweise wenig Beachtung fand ein anderes Moment: Mit Fernando Lugo ist am 20. April ein exponierter Vertreter der lateinamerikanischen Befreiungstheologie zum Staatschef aufgestiegen. Sein Sieg ist gleichsam Ergebnis und mögliche Wiederbelebung dieser progressiven Strömung des Katholizismus.

Fernando Lugo nach dem Wahlsieg. Foto: fernandolugo.blogspot.com

Der 56-jährige Lugo hatte die Kirche jahrelang in einer der ärmsten Regionen des südamerikanischen Landes vertreten. Als Mitglied der Steyler Missionare arbeitete er bis vor knapp drei Jahren im Departement San Pedro, ab 1994 als Bischof. Seinen Wechsel in die Politik begründete er mit den Elendserfahrungen in dieser Zeit auf dem Land. Wie in den Nachbarstaaten herrscht in Paraguay eine enorm ungleiche Landverteilung. Zugleich bestimmten Großgrundbesitzer und Militärs seit 1947 durch die Colorado-Partei die Geschicke des Landes.

Nachdem er schon zuvor an der Spitze der Protestbewegung gegen den scheidenden Präsidenten Nicanor Duarte Frutos stand, entschied sich Lugo, ein unscheinbar wirkender Mann mit grauem Bart und Brille, zur Bewerbung um das höchste Staatsamt. Dass er Erfolg hatte, ist auch ein Resultat der Basisarbeit der Befreiungstheologen. Denn auch wenn diese Strömung durch eine Offensive des Vatikans in den 80er Jahren geschwächt wurde, haben ihre Anhänger in sozialen Bewegungen weiter gewirkt und so maßgeblich zum politischen Aufbruch in Lateinamerika beigetragen.

Linke Symbiose mit der Religion

„Das ganze Land ist meine Kathedrale“, war lange Zeit auch Lugos Motto. Nicht nur mit solchen Losungen begründete er von Beginn an sein politisches Engagement im Religiösen. Die Chancen dieses Ansatzes wurden von der Opposition gegen die herrschende Colorado-Clique schnell erkannt. Rund 20 soziale Organisationen vereinten sich zur Patriotischen Allianz für den Wandel (APC), als deren Spitzenkandidat Lugo mit 41 Prozent der Stimmen gewählt wurde. Das Bündnis reicht von den Christdemokraten bis hin zur Kommunistischen Partei Paraguays. Ohne Zweifel kam Lugo der Umstand zugute, dass er ein politischer Neuling und damit der Vetternwirtschaft unverdächtig ist. Gewichtiger aber noch war sein Ruf als „Bischof der Armen“.

Dieser Bezug auf die Religion ist kein Novum in der lateinamerikanischen Linken. Boliviens Präsident Evo Morales bezieht sich in seinem politischen Diskurs stark auf die indigene Religion. In der vergangenen Woche erst begründete er seine antikapitalistische Attitüde vor einem Forum indigener Organisationen am Sitz der Vereinten Nationen in New York damit, dass nur ein Systemwechsel und die damit einhergehende Abkehr vom Konsumismus die Pachamama (Mutter Erde) retten könne.

Als Venezuelas Präsident Hugo Chávez nach einem Putschversuch im April 2002 befreit wurde, trat er vor die Kameras, um seine Gegner mit einem Kruzifix in der Hand zur Aussöhnung aufzufordern. Bezüge auf Bibel und Katholizismus kommen in seinen Reden immer wieder vor, wenn er etwa den US-Präsidenten George W. Bush als „Satan“, Jesus hingegen als „größten Sozialisten aller Zeiten“ bezeichnet.

Mit Fernando Lugo bekommen Morales und Chávez nun Beistand. Der Blick in Lugos Biographie belegt die enge Verbindung des politischen mit dem religiösen Engagement. Nach seinem Theologiestudium war er in Paraguay rasch mit dem damaligen Diktator Alfredo Stroessner in Konflikt geraten. Als dieser Lugo des Landes verweisen ließ, ging er nach Rom, um Soziologie zu studieren. Später arbeitete er an der Seite des Befreiungstheologen Leonidas Proaño in Ecuador. Für seinen Eintritt in die Politik ließ er sich erst 2006 von der Kirchenführung suspendieren.

Kirchenelite gegen linke Programme

Im Vatikan wird man die Entwicklung in Paraguay mit Sorge betrachten. Nach der Suspendierung droht zwar kein direkter Konflikt mit dem designierten Staatschef. Unleugbar aber hat die katholische Kirche in Paraguay die Gewaltherrschaft der „Colorados“ über Jahrzehnte hinweg gestützt und von ihr profitiert. Auch hier ist die Parallele zu anderen links regierten Staaten der Region offensichtlich: Seine privilegierte Position hat den katholischen Klerus auch in Venezuela und Bolivien gegen die dortigen Staatsführungen aufgebracht, weil diese auf eine Umverteilung des Reichtums setzen.

In Venezuela etwa waren führende Kirchenpolitiker aktiv in den Umsturzversuch 2002 verstrickt. Die Putschisten konnten damals mit dem Segen des Erzbischofs der Stadt Mérida, Baltazar Porras, rechnen. Im vergangenen Jahr dann verglich Porras Präsident Chávez mit den Faschisten Adolf Hitler und Benito Mussolini, in den vergangenen Monaten warnte er immer wieder vor einer zunehmenden sozialistischen Ausrichtung des politischen und wirtschaftlichen Reformprozesses in Caracas.

Die oppositionelle Haltung der katholischen Kirche in Venezuela ist dabei nicht auf die Person Porras´ beschränkt. Als im vergangenen Jahr Regierungsgegner gegen Chávez auf die Straße gingen, stellte der katholische Klerus mehrfach seine Räume für Planungstreffen zur Verfügung.

Ein ähnliches Bild bietet sich in Bolivien. Wenige Tage bevor in vier der neun Departements illegale Autonomiereferenden stattfinden sollen (vgl. Bolivien stehen neue Konflikte bevor), die eine Spaltung des Landes provozieren könnten, ist auch der Ton zwischen der sozialistischen Regierung und der Kirchenführung schärfer geworden. Er fühle sich von ihr „betrogen“ und „hintergangen“, erklärte Präsident Morales am vergangenen Wochenende.

Er reagierte damit auf eine öffentliche Erklärung des Kardinals der Oppositionshochburg Santa Cruz, Julio Terrazas, der die Kritik der Staatsführung an der Situation auf den Großgrundbesitzen zurückgewiesen hatte. Regierungsvertreter hatten zuvor beklagt, dass Guaraní-Ureinwohner in der Region Chaco unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten müssen. Sie würden von den Großgrundbesitzern zur Aufnahme von Krediten genötigt, die abzubezahlen sie durch die kargen Gehälter jedoch nicht imstande seien. Morales selbst hatte diese Form der Leibeigenschaft mehrfach scharf kritisiert.

Die Gegenattacke des Kardinals geht offenbar nicht nur auf seine politische Nähe zu der wirtschaftlichen Oligarchie des Landes zurück. Der katholische Klerus fühlt sich in Bolivien durch die geplante Verfassungsnovelle in seiner Macht bedroht. Die neue Konstitution, die durch die Autonomiereferenden verhindert werden soll, sieht gleich zu Beginn die Trennung von Staat und Kirche vor.

Vatikan gegen Befreiungstheologen

Diese auf den ersten Blick vereinzelten Konflikte zwischen den linken Staatsführungen und der katholischen Kirche in Lateinamerika gehen mit einer zunehmend aggressiven Politik des Vatikans gegen die Befreiungstheologen einher. Die Auseinandersetzung mit Rom findet auf verschiedenen Ebenen statt. Zunächst tritt der amtierende Papst Joseph Alois Ratzinger („Benedikt XVI.“) vehement einer politischen Exegese der Bibelgeschichte entgegen. Dem Bild eines „sozialistischen“ Jesus widersprach er in einem seiner jüngsten Bücher: Man könne die biblische Botschaft nicht als „soziales Programm“ interpretieren.

Die Auseinandersetzung Ratzingers mit der wieder erstarkenden Befreiungstheologie beschränkt sich aber nicht nur auf die theologische Diskussion. Im März vergangenen Jahres ließ er den progressiven Jesuiten Jon Sobrino mit einer so genannten Notifikation maßregeln. Dem 69-Jährigen wurde damit seine Lehrerlaubnis an der katholischen Zentralamerikanischen Universität in San Salvador entzogen.

In einem ausführlichen offenen Brief bezeichnete Sobrino den Angriff aus Rom damals als Verschwörung. Trotz mehrfacher Aufforderung habe keine haltbare inhaltliche Auseinandersetzung mit seinen Thesen stattgefunden, schrieb der Geistliche in Reaktion auf die Maßregelung des Vorsitzenden der "Glaubenskongregation", William Levada. Dieser hatte die Lehren des Befreiungstheologen als „Verwirrung der Gläubigen“ und „von großer Gefährlichkeit“ bezeichnet.

Ratzinger hatte sich schon vor seinem Aufstieg an die Kirchenspitze als vehementer Gegner der Befreiungstheologie einen Namen gemacht. Der Jesuit Sobrino ist ihm dabei bereits begegnet, als dieser als Berater des Erzbischofs von San Salvador, Oscar Arnulfo Romero, arbeitete. Der Reformer Romero wurde von einem rechtsradikalen Auftragskiller 1980 in der Kathedrale der Hauptstadt von El Salvador erschossen. Der Vatikan hatte sich nach diesem Mord damals nicht nur auffällig ruhig verhalten. Fünf Jahre später kam es zu einem weiteren Skandal, als Ratzinger, damals selbst Leiter der „Glaubenskongregation“, den brasilianischen Befreiungstheologen Leonardo Boff mit einem Lehr- und Predigtverbot belegte.

Kehrt der politische Konflikt zurück?

Damals wie heute hatte das Zerwürfnis zwischen Vatikan und lateinamerikanischen Befreiungstheologen weniger einen theoretischen denn einen politischen Charakter. Die Orientierung der Befreiungstheologen auf die Basisgemeinden sowie deren auf den Alltag bezogene Bibelexegese wurde von der Kirchenleitung als Bedrohung der ideologischen Hoheit empfunden. Verstärkt galt das für den lokalen Klerus, dessen Vormacht als Allianz zwischen „Thron und Altar“ unmittelbar kritisiert wurde.

Wer im Klerus vom postkolonialen Unrecht profitierte, blätterte an den Stellen der Bibel, auf die sich die Befreiungstheologen beriefen, lieber rasch weiter. Wenn es etwa heißt: „Er stößt die Mächtigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen“ (Lk 1,53).

Der damalige amtierende Papst Karol Józef Wojtyla betrachtete eine solche Bibellektüre als kommunistische Propaganda. Ratzinger kam unter Wojtylas Führung damals die Rolle zu, Washington mit einem Feldzug gegen die Befreiungstheologen in Lateinamerika den Rücken freizuhalten (Ratzingers Angst vor der Kirche der Armen). Wojtyla stärkte die Allianz zwischen dem vatikanischen Altar und dem Washingtoner Thron indes im Kampf gegen Moskau. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob eine solche unheilige Allianz gegen den in Lateinamerika diskutierten Sozialismus des 21. Jahrhunderts neu aufgelegt wird.

Die Koinzidenz zwischen dem Sieg Lugos in Paraguay und dem Besuch Ratzingers in Washington könnte ein Indiz dafür sein.