"Das unabwendbare Schicksal ungerechter Regierungen ist der Sturz"

Iran: Tabubruch von innen und von außen erneute Kriegsgefahr

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Ende letzter Woche gingen die Iraner erneut zu den Wahlurnen, um an der Stichwahl teilzunehmen. Es ging um 82 noch zu vergebende Sitze von insgesamt 290. Aufgrund der beobachteten geringen Wahlbeteiligung, in Teheran nur 12%, haben die Konservativen unter Führung der „Vereinigten Front der Prinzipientreuen“ (VFP) ihren Vorsprung aus der ersten Runde ausgebaut. Somit werden die Konservativen verschiedener Schattierungen insgesamt 80% der Sitze im achten Parlament der Islamischen Republik innehaben. Entgegen der anfänglichen Bekanntgebungen wurde es unterdessen dem offiziellen Statistischen Zentrum Irans zufolge klar, dass an der ersten Wahlrunde (vgl. dazu Wahlen im Iran: Wie gehabt) landesweit nur 46% und in der Hauptstadt Teheran nur 27% der insgesamt 49 Mio. Stimmenberechtigten teilgenommen haben.

Machtkampf innerhalb der Konservativen, der Präsident schlägt um sich

Um den Vorsitz des neuen Parlaments ist ein Konkurrenzkampf entbrannt. Der jetztige Parlamentspräsident Gholam Ali Hadad-e Adel von der VFP und der Ex-Generalsekräter des Nationalen Sicherheitsrates Ali Laridschani aus dem Lager der regierungskritischen Konservativen bemühen sich um Unterstüzung unter den neugewählten Parlamentariern. In der letzten Zeit haben sich die Konkurrenten öffentlich bekämpft. Auch innerhalb der Regierung Ahmadinedschads bröckelt die Front. Um dies zu verhindern, entließ Ahmadinedschad kurzerhand seinen Innenminister Mostafa Pour-Mohammadi und den Minister für Wirtschaft und Finanzen, Davoud Danesch Dachafari.

Pour-Mohammadis Entlassung kurz vor der Abhaltung der Stichwahlen deutet auf einen nervösen Präsidenten hin, der seinen Minister als Wahlorganisator der Hauptrunde nicht mehr dulden konnte. „Ich weiß selber nicht, warum ich gehen musste“, sagte Pour-Mohammadi am Samstag. Insgesamt sind es fünf Minister, die in der bisher dreijährigen Amtszeit Ahmadinedschdas entlassen wurden.

Danesch Dachafari übte bei seiner Entlassungszeremonie heftige Kritik an Ahmadinedschad und warf ihm vor, dass seine Regierung mit etlichen Instanzen und Institutionen Probleme habe und dass er zu viel auf unfachliche Berichte und Interventionen achte. An die Adresse Ahmadinedschads richtete er harsche Kritik und bezichtigte ihn mangelnder Kompetenz:

Wenn wir wirtschschaftlichen Erfolg haben wollen, müssen wir mit den Grundlagen dieser Wissenschaft vertraut sein und uns an deren Eckpfeilern und Gesetzmässigkeiten festhalten.

Danesch Dachafaris Coup hat in der iranischen Presse und Öffentlichkeit für sehr viel Wirbel gesorgt, so dass Ahmadinedschad gezwungen wurde, sehr scharf zu reagieren. Für den Rest seiner Amtszeit scheint Ahmadinedschad ein absolut gehorsames Kabinett haben zu wollen. Ahmadinedschad hat sich auch kürzlich heftig mit dem Parlamentspräsidenten Hadad-e Adel angelegt, der dem Präsidenten einige Schwierigkeiten bereitet hatte. Der ungewöhnliche Briefwechsel zwischen den Chefs der Exekutive und Legislative hat für zeitweilige Furore in der politischen Landschaft Irans gesorgt.

Der Präsident hat sich ebenfalls mit Mohsen Rezaei, Generalsekrätär des „Rates zur Feststellung der Interessen des Regimes“ und Ex-Kommandeur der Revolutionswächter, angelegt. Rezaei pflegt über seine Website „Tabnak“ die Regierung heftig anzugreifen. Während einer Rede bezichtigte Ahmadinedschad Rezaei indirekt, aber deutlich der Verwicklung in den organisierten Zigarettenschmuggel. Indes haben führende Großayatollahs die Verantwortlichen aufgefordert, ihren Dissens beizulegen und sich um die dringenden Belange der Bevölkerung zu kümmern.

Drei führende konservative Blätter haben Ahmadinedschad Unprofessionalität, Verwirrung, Chaos und unüberlegte Handlungen vorgeworfen. Unter diesen Umständen wird es für Ahmadinedschad schwer, nächstes Jahr erfolgreich für eine zweite Amtszeit anzutreten. Ahmadinedschad hat mit der Entlassung von zwei Schlüsselministern erst einmal den Blick auf sich gelenkt. Für viele Politiker verschiedener Provinienz im Iran ist mehr als deutlich, bei wem die Entscheidungsgewalt liegt.

Tabubruch im Gottesstaat: Kritik am obersten Religionsführer

Nach Einschäzung vieler iranischer Inlandsexperten ist Ahmadinedschads Regierung mit Abstand das schwächste und inkompetenteste Kabinett in den 30 Jahren der Islamischen Republik. Obschon Teheran mit dem höchsten je dagewesenen Ölpreis (über 100 US-Dollar pro Barrel/159 Liter) die bisher günstigsten materiellen Rahmenbedingungen hat, hat die Regierung Ahmadinedschads den Staat innenpolitisch wie auch außenpolitisch ins Abseits manövriert. Weil der Religionsführer Ayatollah Ali Khamenei stets betont hat, dass die Regierung Ahmadinedschad seine Wunschregierung darstellt, wird allmählich auch die Kritik an ihm gewagter und lauter.

Für manche politischen Kreise im Iran ist die derzeitige Lage insofern willkommen, da endlich einmal der Religionsführer fast direkt dem Volk gegenübersteht und keine Regierungen wie eine Reformregierung unter Mohammad Khatami für Missstände verantwortlich gemacht werden können. So gesehen werden nun die unübersehbaren Misserfolge Ahmadinedschads auf allen Ebenen auch als eine Niederlage Khameneis gedeutet.

Behzad Nabawi, ein Führungsmitglied der reformistischen „Organisation der Mudschahedin der Islamischen Revolution“ (Sazman-e Modschahedin-e Enqelab-e Eslami) kritisierte kürzlich heftig den Religionsführer wegen seiner bisherigen Rückendeckung des konservativen Wächterrates:

Unsere Verfassung hat alle Machtinstanzen beschränkt, vom Religionsführer bis zu den unteren Rängen. (…). Als Khatami 1997 für das Präsidentenamt kandidierte, sagte er zum Religionsführer, dass er die Herrschaft des Rechtsgelehrten nur im Rahmen der Verfassung akzeptiere und keineswegs außerhalb dieser.

Nabawi, der zehn Jahre als Minister drei Kabinetten diente und Vizepräsident des von den Reformern dominierten sechsten Parlaments war, fährt fort:

Nirgendwo in der Verfassung steht dem Religionsführer zu, dem Parlament Dekrete und Anweisungen aufzuzwingen.

Nabawi weist auf einen interessanten Aspekt hin und sagt, dass die Verteidigung des Systems der Herrschaft des Rechtsgelehrten (Velayat-e Faqih) und der damit verbundenen Instanz des Religionsführeres ohnehin problematisch sei, da nur zwei, drei Großayatollahs, darunter Ayatollah Khomeini hinter dieser Theorie standen.

Die Islamische Republik ist für uns keine feste Burg und wir müssen uns auf den Gesellschaftsvertrag, unsere Verfassung, besinnen.

Vor einigen Wochen hat der islamische Reformist Ahmad Ghabel in einem offenen Brief mit Ayatollah Ali Khamenei abgerechnet. Ghabel, dessen Bruder Hadi, ein Geistlicher und Vorstandsmitglied der reformistischen Partizipationspartei, vor kurzem ins Gefängnis gesteckt wurde, machte den „Religionsführer und die herrschende Bande im Staat“ verantwortlich für den Niedergang des Iran. Mitte April hat der oppositionelle Abgeordnete für die Stadt Tabriz, Akbar Alami, eine historische Rede zum Ende der siebten Legislaturperiode gehalten.

Alami warnte Khamenei mit den Worten: "Das unabwendbare Schicksal ungerechter Regierungen ist der Sturz". Laut der Verfassung sei die Stellung des Religionsführers gegenüber dem Gesetz der jedes anderen Bürgers gleich. Der Religionsführer sei für seine Position, Amtsführung und Taten dem Gesetz und dem Volk Rede und Antwort schuldig. Im Falle schlechter Amtsführung könne er nach Art. 111 seines Amtes enthoben werden.

Die Geschichte ist Zeuge dafür, dass in der Französischen Revolution Robespierre Danton, der an den ursprünglichen Idealen der Revolution, der Freiheit, festhielt, dem Guillotine-Rat auslieferte, damit die gnadenlose Klinge der Guillotine seinen Kopf als Konterrevolutionär abschlüge. Es sieht ganz danach aus, dass heute der Wächterrat und seine offenen und versteckten Unterstützer diese Verantwortung übernommen haben, die genuinen Revolutionskräfte, die auf der idealen Regierung beharren, mit dem Stempel "Anti-Islam" und "Anti-Regime" zu verdrängen.

Akbar Alami hatte schon zuvor eine aufsehenerregende Rede im Parlament gegen den Versuch des Estabilishments, die Oppositionskräfte einzuschüchtern, gehalten:

Sollte Imam Hussein (dritter schiitischer Imam, Red.) das Kabinett führen und von der Verfassung abweichen, werde ich ihn kritisieren und zur Rechtfertigung ins Parlament bestellen.

Akbar Alami hat eine langjährige politische Laufbahn hinter sich. Er war fast während des gesamten achtjährigen Iran-Irak-Krieges (1980-88) an der vordersten Front und hat nur mit Glück den Krieg überlebt. Es mehren sich kritische Stimmen gerade aus dem Munde von Politikern mit einer so revolutionstreuen Vita wie Alami, wenngleich nicht immer in dieser Eindeutigkeit und Schärfe.

Sorgen der Opposition

Oppositionspolitiker im Iran sind sich sicher, dass es mit der Machtfülle des Religionsführers nicht so weitergehen kann. Auch die kritischen Konservativen sehen die Unterstützung Ahmadinedschads seitens Khameneis mit Argwohn. Für sie stellt Ahmadinedschad keinesfalls die Zukunft dar. Die Opposition und Teile der moderaten Konservativen haben nicht nur die dramatisch wachsende Verarmung der Bevölkerung im Auge, sie fürchten ebenfalls ein außenpolitisches Desaster, das durch verschärfte Sanktionen oder im schlimmsten Fall einen Krieg entstehen könnte.

Der Rücktritt von Admiral William Joseph Fallon, Kommandeur des US Central Command im Nahen Osten, der sich sehr oft gegen einen Militärschlag gegen den Iran geäußert hatte, sowie die wiederaufflammende Anti-Iran-Rhetorik der höchsten Offiziellen der Vereinigten Staaten machen iranischen Politikern Angst. Denn sie wissen, dass die USA zu einem neuen Krieg imstande sind.

Die Aktivitäten des Predigers Moqtada al-Sadr im Irak wurden sofort Teheran zu Last gelegt. Die Äußerungen des CIA-Chefs Michael Hayden, wonach der Iran sicher die Produktion von Atomwaffen anstrebe, sind de facto eine Rücknahme des Berichtes der US-Geheimdienste vom vergangenen Dezember (vgl. Keine Bombe vor 2010), in dem konstatiert wurde, dass der Iran sein Atomwaffenprogramm aufgegeben habe. Dieser Wandel etwa vier Monate nach jenem Bericht ist sehr bedenklich und gefährlich. Das Thema Iran scheint dermaßen akut sein, dass selbst Präsidentschaftskandidaten sich überbieten, um sich im Wahlkampf zu positionieren.

Für einen Krieg bedarf es sicher nicht eines atomaren Schlages des Irans gegen Israel, eine absurde Aussage der ehemaligen First Lady. Es sieht so aus, dass das Gespenst des Krieges wieder zurückgekehrt ist. Man täte gut dran, es ernst zu nehmen. Europa wäre gut beraten, sich an solchen Drohgebährden nicht zu beteiligen. Das wäre eine Dummheit und Ignoranz gegenüber den beschriebenen inneren Widersprüchen der iranischen Gesellschaft.