Eltern nicht geeignet

Ein gegliedertes Schulsystem ist vor allem dann sozial undurchlässig, wenn die Trennung nicht strikt nach Fähigkeiten erfolgt

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Das dreigliedrige Schulsystem ist unter Beschuss. Auch wenn die in den 1970er und 1980ern propagierten Gesamtschulmodelle sich in der Praxis einen schlechten Ruf erwarben, waren es nicht nur die Pisa- und Iglu-Studien, welche den Kultusministern der deutschen Länder ins Gedächtnis riefen, dass die Praxis des gegliederten Schulsystems in Deutschland gelinde gesagt nicht ganz unproblematisch ist. Dabei wäre gegen eine Trennung nach Leistungsfähigkeit im Grunde wenig zu sagen: Theoretisch werden damit Schüler in Bereichen, in denen sie aufnahmefähiger sind, nicht durch Mitschüler gestört oder gelangweilt – und andere erhalten die Chance, zumindest so viel aufzunehmen, wie sie in einem gewissen Zeitabschnitt können und die Gelegenheit, zu zeigen, ob sie eventuell in Fächern wie "Handarbeit" oder Sport glänzen können.

In der Praxis entwickelten sich im dreigliedrigen Schulsystem allerdings mehrere Probleme, die es nicht nur extrem undurchlässig, sondern auch extrem ineffektiv werden ließen. Zum einen verkam die Hauptschule, zumindest in machen Bereichen, zu einer Restschule, wo Prestigeerwerb eher über Gewaltausübung als durch Lernerfolge funktioniert. Das zeigt sich auch eindrücklich in Zahlen, nach denen 39 Prozent der Hauptschüler höchstens mit "Basiskompetenzen" abschließen – was heißt, dass sie seit der vierten Klasse nichts Wesentliches mehr dazugelernt haben.

Zum anderen ist Voraussetzung für das Funktionieren solch einer Trennung, dass die Kriterien dafür möglichst objektive sind. Der schlechteste Mechanismus für Objektivität ist, wenn man Eltern die Entscheidung darüber lässt: Dann nämlich gibt es eine starke Tendenz dazu, das die Trennung nicht nach Leistungsfähigkeit, sondern nach sozialer Schicht erfolgt: Gebildete Eltern schicken ihre Kinder sehr wahrscheinlich auf ein Gymnasium – koste es, was es wolle. Bildungsferne Schichten verbieten häufig sogar einen Übertritt, weil sie – zurecht – eine Entfremdung ihrer Kinder von ihrer eigenen Welt befürchten.

Das derzeitige Mischsystem aus Notendurchschnitt und Elternwillen führt nicht zu einer wirklich objektiven Trennung: Gebildete Eltern erzwingen durch Nachhilfe und ähnliche Methoden mit Gewalt, dass auch ungeeignete Sprösslinge Übertrittszeugnisse bekommen und später auf höheren Schulen häufig den Lehrbetrieb behindern. Dagegen nützt ein Übertrittszeugnis auch sehr klugen Schülern aus bildungsfernen Schichten nichts, wenn die Eltern sich nicht explizit für den Übertritt auf eine höhere Schule entscheiden.

Die in der letzten Woche in Bayern geäußerte Forderung von SPD, Grünen und Lehrergewerkschaft, dass alleine der "Elternwille" für den Übertritt auf eine höhere Schule maßgeblich sein soll, ist deshalb kein Gegengift für die Mängel des dreigliedrigen Schulsystems, sondern verstärkt vielmehr dessen negative Auswirkungen. Sinnvoller wäre es, die zwangsläufig voreingenommenen Eltern aus der Entscheidung komplett auszuklammern und Schüler, welche die Leistungsfähigkeit und –bereitschaft zeigen, automatisch einer höheren Schule zuzuweisen.

Allerdings würden sich beim derzeitigen System der Leistungsermittlung zwei Probleme weiterhin stellen: Begüterte Eltern könnten weiterhin mit Nachhilfe ungeeignete Schüler in das Gymnasium pressen während bildungsferne Eltern Druck auf ihre Kinder ausüben könnten, in der Schule nicht "zu gut" zu sein. Besser geeignet als die Abfrage von Gelerntem wären deshalb – trotz ihrer bekannten Mängel – Intelligenztests, auf die Eltern ihre Kinder nur bedingt vorbereiten können.

Auch eine Verschiebung der Übertrittsgrenze auf die sechste Klasse ist nur sehr bedingt geeignet, dem Missstand abzuhelfen: Zwar mag sich der eine oder andere Schüler aus einem bildungsfernen Elternhaus mit zwölf gegen die Eltern vielleicht schon etwas besser durchsetzen können als mit zehn – an der grundsätzlichen Problematik ändert dies jedoch nichts.

Der dritte Mangel in der Praxis ist die fehlende Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit: Es ist wenig sinnvoll, einen Schüler, der das Leistungsniveau an einem Gymnasium nicht halten kann, dort zu belassen. Noch weniger Sinn macht es allerdings, Schüler, deren Potential sich erst im Laufe der Zeit entfaltet, auf unterfordernden oder belastenden Anstalten zu belassen.

Der bayerische Kultusminister Schneider kündigte nun an, die Probleme des Systems mit einer stärkeren "Durchlässigkeit" angehen zu wollen. So sollen etwa die Anschlussmöglichkeiten der verschiedenen Schultypen erweitert werden. Doch was die Landesregierungen hier mit der einen Hand geben, das haben sie mit der anderen schon doppelt und dreifach weggenommen: Etwa durch die Einführung von starren Regelstudienzeiten und –gebühren, welche vor allem Absolventen des Zweiten Bildungsweges treffen, die im Regelfall neben ihrem Studium Geld verdienen müssen und deshalb länger brauchen. Noch wesentlich schlimmer wirkt sich für sie allerdings die Bologna-Reform mit ihrer wesentlich stärkeren Verschulung des Studiums und den deutlich unflexibleren Präsenzpflichten aus.