Pisa für Politiker

Abgeordnete wollen wieder mal mehr Geld - allerdings fehlen in ihren Tätigkeitsbereichen immer noch Leistungskontrollen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am Freitag soll der Bundestag über einen Gesetzentwurf beraten, den das Kabinett gestern beschloss: Dem Willen der Großen Koalition zufolge werden danach die Abgeordnetendiäten auf 8159 Euro erhöht, womit der offiziellen Begründung zufolge dem Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst gefolgt wird. Eine "ganz normale Anpassung", wie der SPD-Fraktionschef Peter Struck meint.

Das Argument der Lohnerhöhung für die Angestellten im öffentlichen Dienst zeigt zum einen die Fragwürdigkeit prozentualer Lohnsteigerungen: Während acht Prozent für einen Geringverdiener vielleicht 100 Euro bedeuten, machen sie für einen Abgeordneten über 600 Euro aus. Aber das ist noch nicht alles: Denn nach einer Berechnung des Bundes der Steuerzahler würden die Abgeordnetenbezüge bis 2010 zufolge gar nicht um knapp 8, sondern um mehr als das Doppelte, nämlich um 16,4 Prozent steigen. In diesem doch recht dreisten Täuschungsversuch sah nicht nur der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim einen "Riesenskandal". Sogar die grüne Opposition sprach von einem "Selbstbedienungsladen".

Erst im November hatte sich der Bundestag mit einer Mehrheit der CDU- CSU- und SPD-Abgeordneten eine Diätenerhöhung in zwei Schritten genehmigt: Danach steigen die Bezüge Anfang 2009 bereits um 9,4 Prozent auf 7668 Euro. Der Öffentlichkeit verkauft wurde die Erhöhung damals mit Abstrichen bei den Altersbezügen. Allerdings wird den Berechnungen des Bundes der Steuerzahler zufolge aus der angeblichen Absenkung eine Erhöhung: "Gegenwärtig bekommt ein Abgeordneter nach acht Jahren Zugehörigkeit zum Parlament 1468 Euro, nach der geplanten Erhöhung wären es nun 1632 Euro", so der Präsident des Steuerzahlerbundes, Karl-Heinz Däke.

Wo bleibt die Arbeitszeitverlängerung?

Auffällig ist aber auch, dass beim Vergleich mit dem Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst ein wichtiges Element fehlt: Die Arbeitszeitverlängerung. Warum wird sie nicht auch für Abgeordnete eingeführt? Weil bei ihnen schon die Voraussetzung dafür fehlt - nämlich eine Kontrolle der Arbeitszeit. Sieht man also das von der Großen Koalition vorgebrachte Tarifargument als eine Gelegenheit, die Abgeordneten beim Wort zu nehmen, ergibt sich aus ihrer Forderung implizit auch der Ruf nach Einführung von Kontrollmechanismen.

Die Arbeitszeit von Angestellten im öffentlichen Dienst wird mit Stechuhren kontrolliert. Die könnte man durchaus auch für Abgeordnete einführen. Sie müssten dann ihre Arbeitszeit entweder im Parlament oder in ihren Büros absitzen. Bei Dienstreisen müsste dann die tatsächliche Notwendigkeit ebenso streng überprüft werden wie für andere Beschäftigte im Öffentlichen Dienst. Und eine gesellige Einnahme von Mahlzeiten zählt selbstverständlich nicht als Arbeitszeit.

Allerdings ist fraglich, ob dieses System der Kontrolle wirklich sinnvoll ist – bei Abgeordneten ebenso wie bei Angestellten. In beiden Fällen führen diese Mechanismen dazu, dass die Kontrollierten im Zweifelsfall eher den Sekundenzeiger wie ein Rennpferd verfolgen, als sich während der erzwungenen Verlängerung intensiver in Akten zu vertiefen. Sinnvoller als Zeit- wären deshalb regelmäßige Leistungskontrollen. Während überall sonst umfassende Qualifikationen verlangt werden, sind Hilfsarbeiter und Abgeordneter fast die einzigen Tätigkeiten, bei denen beim Stellenantritt keine Leistungskontrolle stattfindet. Wesentlich sinnvoller als eine Leistungskontrolle beim Antritt wäre allerdings eine bei der Ausübung der Tätigkeit.

Denn derzeit gibt es auch bei schwersten Eingriffen (etwa bei Verfassungsänderungen oder der Zustimmung zum Vertrag von Lissabon) keine Kontrolle darüber, ob sich der Abgeordnete wirklich ausreichend mit den Inhalten auseinandergesetzt hat, denen er zustimmt – oder ob er die Zeit stattdessen dazu nutzte, Lobbyisten zu empfangen und Wahlkampf zu machen. Es gibt starke Hinweise darauf, dass solch ein Verhalten eher die Regel als die Ausnahme ist: So konnte etwa 2005 kaum ein Abgeordneter einfache Fragen zu den Auswirkungen des EU-Verfassungsvertrages beantworten und die deutsche Justizministerin erließ zwar zahlreiche Gesetze, die erheblich in das "Computergrundrecht" eingreifen, wusste dabei aber offenbar nicht, was ein Browser ist. Im Ausland scheint dieses Problem ebenfalls zu bestehen: Ende letzten Jahres musste die österreichische Justizministerin zugeben, ihren "eigenen" Gesetzentwurf zu schwerwiegenden Verfassungsänderungen nicht gelesen zu haben.

Eine relativ einfache Lösung für dieses Problem bestünde in einer Prüfung zu jeder Gesetzesvorlage. Freilich müssten wegen der Gefahr des Unterschleifs jeden Abgeordneten andere Fragen gestellt werden – bei der Komplexität heutiger Gesetzentwürfe dürfte dies aber kaum ein Problem sein. Die Durchführung und Auswertung der Tests müsste durch von der Politik möglichst unabhängige Stellen erfolgen, Fragen und Antworten nachher öffentlich zugänglich gemacht werden. Und selbstverständlich müssten die Prüfungsergebnisse auch konkrete Auswirkungen haben: Wer bei den Fragen zu einer Gesetzesvorlage durchfällt, der darf nicht mit abstimmen. Damit nicht der Effekt eintritt, dass sich Abgeordnete nur zum Abstimmen über ihre Spezialthemen ins Parlament setzen, müsste es daneben – wie in der Schule - auch eine Durchfallregelung geben: Wer dreimal versagt, der verliert seinen Abgeordnetenstatus.