Das goldene Kalb Vollbeschäftigung

Pünktlich zum Wahlkampf in Bayern holt die CDU/CSU die Idee der Bürgerarbeit aus ihrem vorübergehenden Koma. Und schürt einmal öfter den Neid der Besitzenden

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In regelmäßigen Abständen begegnet einem, so man sich zum Thema Arbeitslosigkeit informiert, das Thema der Bürgerarbeit. So auch in einer letzte Woche erschienenen Studie des Instituts für die Zukunft der Arbeit (IZA), die vom Wirtschaftsministerium in Auftrag gegeben war. (Langzeit)arbeitslose sollen, so die Idee, dafür, dass sie vom Staat immerhin das Existenzminimum erhalten, entsprechend auch dem Staat helfen, indem sie „freiwillige Aufgaben“ übernehmen. Wobei auch hier wieder die Regelung "Was Arbeit ist, bestimmen wir" gilt, denn eine nicht offiziell vermittelte (ehrenamtliche) Arbeit wird in der Regel bei der Arbeitsverteilung durch das Amt nicht berücksichtigt. Die Freiwilligkeit wird hier auch gleich auf sehr kreative Weise erläutert – es bestünde ja keine „Pflicht zur Arbeitsaufnahme“ sondern lediglich eine „Pflicht zur Mitwirkung“. Für denjenigen, der in ein solches „Arbeitsverhältnis“ gezwungen wird, eine mehr als zynische Anmerkung. Wer die Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und die Weiterführenden Informationen studiert, stößt allerdings auf mehr Fragen und Auslassungen als Antworten.

1.400 neue Arbeitsplätze pro Tag

Gleich zu Beginn der weiterführenden Informationen herrscht positives Denken, fast schon an Euphorie erinnernd, wenn es heißt:

„Täglich entstehen über 1.400 neue Arbeitsplätze. Noch nie haben in Deutschland so viele Menschen gearbeitet wie heute. Rund 1,1 Millionen Personen haben seit dem Jahr 2005 den Weg aus der Arbeitslosigkeit gefunden."

Bereits Anfang des Jahres stieß man auf ähnliche begeisterte Meldungen über den Rückgang der Arbeitslosigkeit, welche jedoch allesamt die Frage der Qualität der Arbeit außer Acht lassen. Diese Frage zielt nicht darauf ab, dass ein Professor doch auch Taxifahren erwägen solle, sondern vielmehr behandelt sie die Problematik der prekären Arbeitsverhältnisse sowie der oft sinnfreien Beschäftigungstherapien, in denen z.B. Langzeitarbeitslose lernen sollen wie sie mit dem PC umgehen können (unabhängig davon ob sie bereits seit Jahren mit dem PC arbeiten oder nicht). Schon der erste Satz ist also sachlich nicht falsch, doch er suggeriert, dass über 1.400 neue Arbeitsplätze täglich automatisch ein Grund zum Jubeln sind.

Um die Absurdität dieser Annahme einmal zu verdeutlichen, ein absichtlich ebenso absurdes Beispiel: Nehmen wir an, eine Firma mit 100 Mitarbeitern teilt 50% davon mit, dass sie von nun an lediglich 50% des bisherigen Gehaltes ausgezahlt bekommen, dafür werden aber weitere 50 Mitarbeiter mit dem gleichen (geringen) Gehalt eingestellt. Es wäre weder sachlich falsch, davon zu sprechen, dass diese Firma (im Gegensatz zu anderen Firmen z.B.) Mitarbeiter einstellt statt entlässt, noch davon, dass 50 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Erst wer die Zahlen hinterfragt, wird bemerken, dass hier Gehälter extrem gekürzt wurden und dass neue Mitarbeiter ebenfalls mit Gehältern auskommen müssen, die gegebenenfalls durch Sozialleistungen aufgestockt werden.

Über die Personen, die weiterhin ohne Arbeit sind, ist zu lesen:

"Besonders betroffen [von der Arbeitslosigkeit] sind Langzeitarbeitslose und weniger Qualifizierte. Hier bedarf es besonderer Anstrengungen, um Menschen aus zum Teil langjähriger Arbeitslosigkeit wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren."

Dass gerade diese Klientel besonderer Anstrengungen bedarf ist eine Binsenweisheit. Wer qualifiziert ist und erst kurze Zeit arbeitslos, der hat automatisch größere Chancen am Arbeitsmarkt als derjenige, dessen Qualifikation lediglich für einen geringbezahlten Arbeitsplatz ausreichen würde (der oft genug schlichtweg auf Grund der Automatisierung nicht mehr vorhanden ist).

Wie aber auch schon bei der Einführung der ALGII-Regelungen wird durch diesen Satz suggeriert, dass das neue Modell der Bürgerarbeit dazu dienen soll, eben diese Anstrengungen auf sich zu nehmen. Bei ALGII hieß dies „Fördern und Fordern“. Dieses Prinzip wurde aber bereits bei ALGII ad absurdum geführt, da insbesondere diejenigen, die einer besseren Förderung bedürfen, diese nicht erhalten. So zeigte die Software beispielsweise lediglich 100 Bewerberprofile bei einer Bewerbersuche an, womit ALGII-Bezieher bereits bei der Auswahl hinausfielen und weiterhin zu reinen Betreuungskunden mit zwei Vermittlungsgesprächen pro Jahr wurden. Auf die Frage, warum die Software nicht mehr Bewerberprofile anzeigt lautete die Antwort: „So etwas kann keine Software der Welt.“

Angesprochen auf den Gegensatz zwischen dem, was nach Außen transportiert, und dem, was real umgesetzt wurde, hatte der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Weise, ein anschauliches Beispiel für das Verhalten seiner Behörde parat:

"Die Agentur hat keinen sozialpolitischen Auftrag. Denn dann muss mir mein Auftraggeber sagen, soll ich wie im Krankenhaus hundert Schwerstfälle mit ganz hohem Mitteleinsatz retten oder Tausende von Leichtverletzten."

Bei der Bürgerarbeit klaffen Anspruch und Wirklichkeit genauso weit auseinander:

"Auf der Seite des 'Forderns' steht also die Pflicht zur Gegenleistung für Leistungen der Grundsicherung. Auf der Seite des 'Förderns' soll jedem erwerbsfähigen Empfänger von Arbeitslosengeld II ein Beschäftigungsangebot in Form von 'Bürgerarbeit' gemacht werden."

Die „Pflicht zur Mitwirkung“ wird also mit einem Angebot einer gering bezahlten Arbeitsstelle belohnt. Wobei, anders als bei den 1-Euro-Arbeitsplätzen, hier kein zusätzliches Entgelt anfällt, sondern der Höchstsatz des Entgeltes bei dem liegt, was der Arbeitslose durch ALGII erhalten würde. In perfekter Rabulistik wird hier einmal öfter der humane Aspekt des Ganzen betont, der auch schon 2006 vom CSU-Politiker Stefan Müller hervorgehoben wurde:

„[...]die Betroffenen hätten 'so nicht länger das Gefühl, überflüssig zu sein' und gewöhnten sich wieder an regelmäßige Arbeit. 'Positiver Nebeneffekt: Sie können in dieser Zeit nicht schwarz arbeiten.'"

Glos schlägt in die gleiche Kerbe, wenn in der Pressemitteilung vollmundig die positiven Aspekte der Arbeit sowie der Motivationsschub durch gering bezahlte (Zwangs)arbeit verkündet werden:

"Bürgerarbeit wirkt dem schleichenden Verlust der Arbeitsfähigkeit bei lang anhaltender Arbeitslosigkeit entgegen. Arbeit fördert soziale Kontakte, strukturiert den Alltag und ermöglicht die Integration in den regulären Arbeitsmarkt. Hierdurch können vormalige Hilfeempfänger ihre Einkommens- und Entfaltungschancen im Vergleich zur Situation des Transferbezugs erheblich vergrößern."

Diese Argumentation ist umso unsinniger als dass ja die neue Bürgerarbeit lediglich für die „Drückeberger“ zur Verfügung stehen soll. Zitat aus den weiterführenden Imformationen: „Nur für den Teil der Stellensuchenden, der wegen schwerwiegender Vermittlungshemmnisse oder Motivationsprobleme nicht anderweitig zu integrieren ist, wird ein Bürgerarbeits-Angebot bereitgestellt.“ Solche "Motivationsprobleme" dürften jedoch bei den meisten Arbeitslosen bereits insofern zu einem Motivationsschub führen, als sie mit Kürzungen bis hin zur Streichung des ALGII beantwortet werden. Inwiefern dann die Vermittlung einer Tätigkeit, welche höchstens den ALGII-Satz als Gehalt mit sich bringt, plötzlich bei eben jener Klientel den Motivationsschub auslösen soll, der nicht nur eine intensivere Arbeitsplatzsuche zur Folge hat, sondern auch gleichzeitig noch dafür sorgt, dass eben ein nicht prekär bezahlter Arbeitsplatz (der mehr Gehalt als die Bürgerarbeit mit sich bringt) zur Verfügung steht, wird allerdings in der der Pressemitteilung zu Grunde liegenden Studie nicht beantwortet.

Ökonomisch betrachtet wäre es für einen Unternehmer unsinnig, Arbeit für Geringqualifizierte zu einem höheren Satz als dem ALGII-Satz anzubieten weil dadurch sein Profit sinken würde. Schon jetzt werden reguläre Arbeitsplätze durch 1-Euro-Jobs verdrängt oder ersetzt. Warum also beispielsweise der Bautrupp für das neue Denkmal in Stadt X (fördert den Tourismus, ergo gemeinnützig) pro Person mehr als ALGII erhalten sollte, wird für den Bauunternehmer kaum nachvollziehbar sein - erhält er doch bei entsprechender Argumentation die (Langzeit)arbeitlosen vermittelt und kann diese auch noch (ganz im Sinne der Motivation) zu einem Stundenlohn von ca. 6-7 Euro brutto beschäftigen (von einem ALGII-Satz in Höhe von 347 Euro RS, 430 Euro Miete plus Krankenversicherung und Sozialversicherung ausgehend).

Zu dieser Problematik findet sich etwas verschämt der Satz „Auch seien Verdrängungseffekte auf dem regulären Arbeitsmarkt nicht auszuschließen.“. Hier ist jedoch zu beachten, in welchem Kontext der Satz steht - denn er stellt keineswegs die Ansicht der Studienersteller oder des BMWI dar. Im Gegenteil: dort ist man der Meinung, dass es lediglich wichtig sei, die gegenwärtigen „Anreizmechanismen im Transfersystem sowie die Hinzuverdienstregelungen“ zu überprüfen. Der Verdrängungseffekt wird im Zusammenhang mit den Kritikern des Bürgerarbeitssystems angesprochen bzw. es findet sich auch gleich eine Lösung dafür:

"Verdrängungseffekte werden umso kleiner, je offener und aufnahmefähiger der reguläre Arbeitsmarkt vor allem im Niedriglohnbereich ist."

Offener kann hier auch als Neuregelung in Bezug auf Kündigungsfristen usw. gedeutet werden. Denn die neu geschaffenen Bürgerarbeitsplätze sollen keinesfalls die „Annehmlichkeiten“ eines regulären Arbeitsplatzes mit sich bringen. Wie auch bisher bei den 1-Euro-Jobs soll der Arbeitslose zwar die Arbeit so motiviert und qualitativ hochwertig wie irgend möglich erledigen (schon um nicht mit Leistungskürzung oder gar -streichung rechnen zu müssen), an den Vorteilen einer Beschäftigung (Kündigungsfristen, Betriebsratanrufung usw. usf.) soll er jedoch nicht partizipieren können, da dies seine Motivation senken würde, sich eine bessere Arbeit zu suchen.

Die Idee der Bürgerarbeit folgt insofern der Logik der englischen „less eligibility“. Armenhäuser, in denen gearbeitet wurde, sollten solch schlechte Arbeitsbedingungen mit sich bringen, dass jeder, der dazu in der Lage war, automatisch versuchen würde, eine andere Tätigkeit zu finden. (Wobei hier Kranke etc. ausgenommen waren.) Gleichzeitig ebnet sie den Weg zu einer noch stärkeren Hire-und-Fire-Mentalität - rabulistisch umschrieben mit einem „offenen aufnahmefähigen Niedriglohnsektor“.

Die Wut der Besitzenden

Doch die Idee fällt auf fruchtbaren Boden. Effektiv wird seit Jahren der Neid derjenigen geschürt, die noch einen Arbeitsplatz haben. Mit Argumentationen, die an bewusst simpel gehaltene Parolen erinnern, wird der Arbeitslose per se als Schmarotzer, als Teil des Lumpenproletariats und als Parasit bezeichnet - als derjenige, der lediglich mehr Geld will, ohne dafür zu arbeiten. Für diejenigen, die (oft genug zu Niedriglohntarifen) 40 Stunden und mehr pro Woche arbeiten, erscheint derjenige, der womöglich die Füße hochlegen kann, ohne sich wie der Arbeitende „abzurackern“, als der Feind - nicht derjenige, der den Niedriglohn zahlt. Darauf angesprochen, dass er ja auch auf ALGII umsteigen könne, wenn dies solch ein "Schmarotzerparadies" sei, findet sich der Kritiker oft genug von Pathos und vermeintlichem Heldentum umgeben. „Ich arbeite für mein Geld, mir würde es nie einfallen, mich durchzuschmarotzen“ konstatiert derjenige, der dann auch zum Stundenlohn von 5 Euro oder weniger seine 46-Stunden-Woche durch- und stoisch das Dogma „besser eine schlecht bezahlte Arbeit als keine Arbeit“ aufrechterhält.

So richtet sich die Wut, geschürt durch solche Ideen wie die Bürgerarbeit, nie gegen ein überholtes System des „Arbeit, Arbeit über alles“ (wobei Arbeit natürlich weiterhin Definitionssache ist und vielerlei Arbeit nicht als solche anerkannt wird), gegen ein zunehmend unmenschliches System, welches die Gesamtheit aller Arbeitssuchenden an den Pranger stellt und beschimpft und der Ausbeutung im Sinne eines gnadenlosen Kapitalismus das Wort redet (nicht von ungefähr kommt es, dass man bei der Studie des „Instituts für die Zukunft der Arbeit“ zwangsläufig schon beim ersten Recherchieren auf Bertelsmann stößt) – nein, die Wut richtet sich gegen jene, die es vermeintlich besser haben, erhalten sie doch vermeintlich Geld, ohne zu arbeiten. Ob dies überhaupt der Fall ist, interessiert ebenso wenig wie die Frage, inwiefern Unternehmen denjenigen, die derzeit die Argumentation des „Sozialschmarotzers“ kritiklos übernehmen, eigentlich noch Löhne/Gehälter zahlen sollen, wenn sie doch Arbeitskraft zum Billigtarif erhalten. Einzelne Bevölkerungsgruppen werden so systematisch weiter gegeneinander aufgestellt, ohne dass auffällt, dass so an der eigenen Entrechtung weitergearbeitet wird.