Jagd auf Zigeuner

In Verona ist am Wochenende das andere Italien auf die Straße gegangen und hat vor einen neuen Faschismus gewarnt

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Die Demonstration, die am vergangenen Sonnabend in der norditalienischen Stadt Verona stattgefunden hat, sollte an den am 1.Mai 2008 von Neonazis in dieser Stadt ermordeten Nicola Tommasoli erinnern.

Der 29jährige Industriedesigner war mit zwei Freunden in der Innenstadt von Verona einer Gruppe rechter Skinheads begegnet, die nach Augenzeugenberichten Krawall suchten. Nachdem sie vergeblich von Tommasoli Feuer verlangten, schlugen sie auf ihn ein und verletzten ihn so schwer, dass er ins Koma fiel und wenige Stunden später starb. Die wenig später gefassten Täter bestritten jegliche politischen Motive und stellten die Angelegenheit als eine aus dem Ruder gelaufenen Streit unter Alkoholisierten hin. Doch mindestens drei der jungen Männer aus bürgerlichem Haus sind der Polizei als Aktivisten der Veneto Fronte Skinhead bekannt. Diese ultrarechte Gruppierung soll ca. 300 Personen umfassen und enge Verbindungen zur rechten Fußballfanszene haben.

Die rechte Szene vor allem im reichen Nordosten Italiens wird von den italienischen Ermittlungsbehörden als in hohem Maße ausländerfeindlich, rassistisch und gewaltbereit eingeschätzt. Obwohl ihre Mitgliederzahl klein ist, ist sie gut vernetzt und bekommt zunehmend Einfluss in der Jugendkultur Norditaliens.

Rechter Konsens in Verona

Die norditalienische Stadt Verona gilt in mehrfacher Hinsicht als Vorreiter. Allein im Zentrum der Stadt hat es nach Polizeiangaben in den letzten zwei Jahren 13 rassistische Vorfälle gegeben. Betroffen sind Menschen, die wegen ihres Äußeren oder ihrer Gesinnung nicht in das rechte Weltbild passen. So sind Tommasoli wohl seine langen Haare zum Verhängnis geworden. Doch für die Demonstranten vom vergangenen Samstag ist Verona auch einet Miniversion des künftigen Italiens.

In Verona regiert mit Flavio Tosi ein Bürgermeister der rechtspopulistischen Lega Nord, die schon mit ihren Plakaten deutlich macht, dass sie sich gegen Migranten und alles Fremde abschotten will. Flavio Tosi war vor seiner Wahl schon einmal wegen Volksverhetzung verurteilt worden. Das hat ihn nicht daran gehindert, im Wahlkampf getrennte Eingänge für Ausländer und Italiener in Bussen zu fordern. In seiner Amtszeit hat Tosi zahlreiche Roma aus der Stadt verwiesen sowie alternative und linke Kulturzentren schließen lassen. Bei der Parlamentswahlen in April konnte die Lega Nord in Verona mit über 30 % der Stimmen ein besonders gutes Ergebnis erzielen.

Tosi bezeichnete die Jungfaschisten, die für den Tod von Tommasoli verantwortlich ware, als Gesindel, das hart bestraft werden solle, und versicherte, dass Verona kein Problem mit Rassismus und Neofaschismus habe. Der neue italienische Parlamentspräsident, der frühere Neo- und heutige Postfaschist Gianfranco Fini stellte den Tod von Tommasoli in einen Zusammenhang mit dem Verbrennen von US-amerikanischen und israelischen Fahnen auf einer antiisraelischen Demonstration in Turin.

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

Die mehr als zehntausend Demonstranten, darunter junge Antifaschisten, viele Migranten, aber auch ältere Teilnehmer der Resistenza mit den Bannern von Gewerkschaften oder kommunistischen Organisationen, die am Sonnabend durch Verona zogen, verweigerten sich dieser Politik der Aufrechnung. Sie trugen ein großes Transparent mit der Aufschrift „Nicola è ognuno di noi” und wandten sich gegen Rassismus und Intoleranz nicht nur in Verona. Sie warnen vor einen neuen Faschismus in Italien unter der neuen Rechtsregierung unter Berlusconi (Rom: Bürgermeister mit brauner Vergangenheit).

So will der neue rechte Bürgermeister von Rom Giovanni Alemanno in Italiens Hauptstadt aufräumen. Im Visier sind Roma und andere papierlose Migranten sowie besetzte Häuser und alternative Kulturzentren. Die Ausweisung von Migranten ohne Papiere und speziell von Roma gehört auch zu den zentralen Programmpunkten der neuen Rechtskoalition. Dass es die Regierung ernst meint, zeigten ihre ersten Maßnahmen kurz nach dem Amtsantritt.

So ging die italienische Polizei in der letzten Woche in einer Blitzaktion im ganzen Land gegen Migranten vor. In neun Regionen und 15 Provinzen wurden neben Roma und Sinti Marokkaner, Albaner, Griechen und Chinesen überprüft, über 400 festgenommen, 118 in Abschiebehaft genommen, 53 sofort ausgewiesen. Augenzeugen, wie die Europaabgeordnete Viktoria Mohacsi berichten, dass die Menschen, unter ihnen zahlreiche Kinder, aus den Betten gerissen und abgeführt wurden.

Zeitgleich griffen Rechtsradikale unterstützt von Einwohnern eine Roma-Siedlung in dem neapolitanischen Stadtteil Ponticelli mit Molotowcocktails an. Als Auslöser dieser Aktion diente das Gerücht, dass ein Roma-Mädchen das Kleinkind einer Italienerin entführen wollte, wofür es allerdings keinen konkreten Hinweis gibt. Die Beschuldigung der Kindesentführung gehört allerdings schon seit langem zu den Verschwörungstheorien gegen Roma und Sinti. Die Gewaltaktionen gegen diese Menschen dienen wiederum der neuen Regierung als Beweis, endlich hart durchgreifen zu müssen und damit “Volkes Wille” zu exekutieren. In den italienischen Zeitungen wird treffend und knapp von einer Jagd auf Zigeuner gesprochen.

Für ihre harte Haltung gegen Migranten sucht die neue italienische Regierung den Schulterschluss mit der EU. So fordert der italienische Außenminister Franco Frattini als Beitrag zum gesamteuropäischen Kampf gegen illegale Migration, dass allen Einwanderern aus Nicht-Schengen-Staaten die Fingerabdrücke abgenommen werden sollen, die in einer neue Datenbank gespeichert werden sollen.

Schon versuchen andere europäische Rechtspopulisten von der harten Linie in Rom zu profitieren. So meldete sich der etwas in der Versenkung verschwundene Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider mit der Warnung vor einer Wanderung der Roma aus Italien nach Österreich zu Wort und fordert schaffe Grenzkontrollen und harte Maßnahmen gegen die Flüchtlinge. Die Regierungsbeteiligung von Haiders rechtspopulistischer FPÖ löste vor einigen Jahren noch eine mittlere Krise in der EU aus. Es wird sich zeigen, wie Brüssel auf den scharfen Rechtskurs in Italien reagiert.