Sektor Bürgerdienst

Ein-Euro-Jobs haben reguläre Arbeitsstellen im öffentlichen Bereich verdrängt. Doch Wirtschaftsminister Glos möchte Pflichtarbeiten für Erwerbslose noch ausbauen

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Die Missstände der Ein-Euro-Jobs waren schon nicht mehr zu übersehen. Betten beziehen im Altenheim oder Kochen in der Kita: Bislang durfte es den Verantwortlichen für Arbeitsmarktpolitik schwer fallen, diese Tätigkeiten als "zusätzlich" zu rechtfertigen. Anfang Mai bestätigte der Bundesrechnungshof im Prüfbericht "Durchführung der Grundsicherung für Arbeit" einmal mehr, dass die wenigsten Ein-Euro-Jobs die gesetzlichen Kriterien, u. a. der "Zusätzlichkeit" und "Integrationsförderung", erfüllten: In 68 Prozent der untersuchten Fälle wurde gegen die Vorschriften verstoßen.

Wirtschaftsminister Glos befasste sich jedoch nicht mit der Kritik. Er verdeutlichte seine Absicht, künftig alle Erwerbslosen zu Bürgerarbeit zu 39 Stunden die Woche verpflichten ("Aktivierungsstrategie" für Arbeitslose). Damit könnte die Regierung zwei Probleme auf einen Streich lösen. Das Debakel mit den rechtswidrig durchgeführten Ein-Euro-Jobs würde vergessen. Und die Entlastung öffentlicher Haushalte mit den Arbeitsdiensten könnte weitergehen.

Tätigkeiten von Erwerbslosen bei der öffentlichen Daseinsvorsorge, bislang als MAE-(Mehraufwandsentschädigungs)-Kräfte bezeichnet, müssten nicht mehr als Integrationsmaßnahmen gerechtfertigt werden. Geht es nach Glos und den Wirtschaftsforschern vom Institut für Zukunft der Arbeit http://www.iza.org/, wäre die "Gegenleistung" für Arbeitslosengeld einzige Voraussetzung für Arbeitsdienste. Die Stoßrichtung ist eindeutig: Während der Bundesrechnungshof darauf verweist, dass Ein-Euro-Jobs reguläre Stellen verdrängten, erzielt Glos sogar noch, 485 000 weitere Stellen für Pflichtarbeiten – gegen geringfügiges Entgelt - im öffentlichen Bereich zu schaffen. Dabei müsste man wohl von einem dauerhaften Sektor der Bürgerdienste sprechen. Schon jetzt greifen die Ein-Euro-Jobs und die gesetzliche Unterfinanzierung bei der öffentlichen Hand ineinander – und die geleistete Arbeit ist unverzichtbar.

Essen in Schule und Kita – nicht ohne MAE-Kräfte

Laut Angaben der Bundesagentur kamen im März rund 280 000 Ein-Euro-Jobber zum Einsatz. Vorgesehen sind Hilfstätigkeiten - ein dehnbarer Begriff. Etwa an Schulen werden damit zahlreiche Aufgaben an Ein-Euro-Jobber übertragen – ausgenommen das Unterrichten.

In Sachsen sind derzeit 641 solcher Jobber an Schulen beschäftigt, zu deren Aufgaben Hausmeistertätigkeiten, Reinigungsarbeiten, Bibliotheksdienste sowie die Aufsicht und Betreuung von Schülern zählen. In Hamburg vermerkt die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaften (GEW), der Kantinenbetrieb an Ganztagsschulen mit Zuarbeiten in der Küche und Essensausgabe sei "ohne MAE-Kräfte nicht mehr denkbar". Geschäftsführer Dirk Mescher von der GEW Hamburg:

Vor dem Umfinanzierungsgesetz für Ganztagsschulen konnten die Kantinenbeschäftigten tarifgebunden entlohnt werden. Wir fordern eine Finanzierungslösung, die das wieder möglich macht.

Besonders in Berlin zeichnet sich die Entwicklung ab, dass bei gesenkter öffentlicher Finanzierung zunehmend Aufgabengebiete durch MAE-Kräfte besetzt wurden. "Für Handwerkerdienste an Schulen werden heute zwanzig Prozent weniger Stundenleistungen öffentlich bezahlt als vor vier Jahren", berichtet Uwe Januszewski vom Hauptpersonalrat Berlin. "Etwa sanitäre Reparaturen oder Malerarbeiten werden nun teilweise von den MAE-Kräften gemacht." Unterstützung im Sekretariat, Betreuung von Medienlabor und Computertechnik wird an Berliner Schulen häufig von Ein-Euro-Jobbern ausgeführt, erzählt Matthias Jähne von der GEW in Berlin: "Oft Tätigkeiten, die früher regulär geleistet und entlohnt wurden".

30 000 Ein-Euro-Jobber sind in Berlin heute tätig. 16 000 waren es noch in 2006. Schon damals kritisierte der Hauptpersonalrat von Berlin, dass die Ein-Euro-Jobs reguläre Arbeitsstellen verdrängten. Die Entwicklung dauert an – indem für "zusätzlich" erklärt wird, was früher zu festen Leistungen des Landeshaushaltes zählte. Heute werden die Jobber von den Bezirken über einen Pool an Maßnahmen-Angeboten der Beschäftigungsträger ausgewählt – und diese Maßnahmen beinhalten oft, was früher Standard war. Etwa das "Ernährungsprojekt frische Kost" an Kindertagesstätten. Der Einkauf und das Verarbeiten von frischem Gemüse würde darum heute häufig von den erwerbslosen Hilfskräften erledigt, so Januszewski vom Hauptpersonalrat. Denn für den Landeshaushalt zählt nur noch die Zubereitung von Dosenessen durch öffentlich beschäftigte Köche zum gewährleisteten Standard. Bei den Grünflächenämtern wurde der feste Personalstand des Landes Berlin seit vier Jahren um die Hälfte abgebaut. Januszewski: "Beim Bezirk Lichtenberg, in dem allein in diesem Jahr hundert MAE eingesetzt wurden, hat man seit Beginn des Jahres zehn Prozent des Arbeiterpersonals im Grünflächenbereich abgebaut."

38,5 Stunden-Woche für Ein-Euro-Jobber

Als Rechercheure auf eigene Faust betätigten sich Gewerkschafter in Wiesbaden. Sie hatten im Februar unangekündigt Ein-Euro-Jobber an ihren Arbeitsplätzen besucht. Ergebnis: Die Tätigkeiten der Jobber wären kaum verzichtbar für den regulären Betrieb. Das mahnten Horst Schmitthenner (IG Metall) und Veit Wilhelmy (IG Bau) an. Beispielsweise wären im Küchenbetrieb der Caritas in der Herrmann-Ehlers-Schule neben zwei festangestellten Köchen acht bis zwölf der erwerbslosen Kräfte tätig gewesen. Schmitthenner, der beim Verbindungsbüro für soziale Bewegungen der IG Metall aktiv ist:

Hier sieht man, dass die Zulässigkeitskontrollen nicht eingehalten werden- für die Zubereitung der 360 Schulessen müssten mehr Festangestellte bereitstehen.

Mit einer Welle der Empörung antworteten CDU-Lokalpolitiker auf die Hausbesucher und warfen ihnen "Hausfriedensbruch" und "militantes Auftreten" vor. Die "Kontrolleure" verwiesen hingegen auf Missstände. Nach ihrer Schätzung würden von den rund 1.200 Ein-Euro-Jobbern der Stadt gut die Hälfte rechtswidrig eingesetzt. Die Vorwürfe der Gewerkschafter gingen dabei an die Caritas, die Diakonie und die Domäne Mechthildshausen. "Weder die Träger noch die Optionskommune Wiesbaden gingen auf unsere Kritikpunkte ein," sagt Schmitthenner. "Dazu kommt noch, dass die Optionskommune flächendeckend Ein-Euro-Jobber zu 38,5 Wochenstunden verpflichtet. Gegen diese Praktik läuft derzeit eine Klage beim Sozialgericht."

Bei Caritas und Diakonie werden zahlreiche Ein-Euro-Jobber mit Hilfsarbeiten betraut. Indessen haben freigemeinnützige Träger wie diese vierzig Prozent der ambulanten Pflege und 55 Prozent der Pflegeheime bundesweit inne – so kommt es mittlerweile vor, dass MAE-Kräfte in Seniorenheimen und in der Hauspflege arbeiten. "Etwa Betten beziehen kann heute Aufgabe einer MAE-Kraft sein, die damit als Pflegehilfskraft eingesetzt wird", so Holger Knörr vom Deutschen Berufsverband für Altenpflege:

"Die Gefahr ist groß, dass in Pflegebereichen eingesetzte Erwerbslose auch außerhalb ihrer fachlichen und sozialen Kompetenz arbeiten müssen. Etwa, wenn sie zu Beschäftigung mit Demenzkranken herangezogen werden.

Bei den kirchlichen Trägern tendiere man dazu, Personalkosten einzusparen: Fachkräfte würden zunehmend auf Teilzeit angestellt, und Hilfskräfte hätten für immer mehr Tätigkeiten aufzukommen. "Pflegefachkompetenz wird außerdem per Ländergesetz ausgehöhlt", meint Knörr. In Nordrhein-Westfalen liege derzeit ein Gesetzesentwurf auf dem Tisch, der letztlich den Abbau von Pflegefachkräften an Heimen möglich mache. "Das Spazierengehen und die Beschäftigung mit Demenzkranken, eigentlich eine therapeutische Aufgabe für geschulte PflegerInnen, wird immer häufiger von Hilfskräften übernommen." Und auch Ein-Euro-Jobber werden heute in solche Tätigkeiten vermittelt. Für den DBVA ist der Einsatz von Ein-Euro-Jobbern in diesen Bereichen inakzeptabel. "Wir fordern eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung, bei der auch der psychosoziale Aspekt in der Altenpflege berücksichtigt wird, " so Knörr.

Bürgerarbeit seit 2006 politisch gewollt

Kein Echo kam bis heute für die Kritiker der MAE-Maßnahmen von Seiten der Bundesregierung. 2007 dokumentierte der Verdi-Erwerbslosenausschuss mit dem umfangreichen Bericht Ein-Euro-Jobs, Zusatzjobs, MAE, in welchem Ausmaß öffentliche Kulturarbeit in Berlin zur Sache der Erwerbslosen wird – und Beschäftigungsträgern wie der Goldnetz gGmbH, der RAG Bildung GmbH und MeCo GmbH ein einträgliches Geschäft sichert. Ein bundesweites Netzwerk von Jugendprojekten und Bildungsangeboten betreut etwa der Internationale Bund, der im Vorjahr 5700 MAE-Kräfte in unterschiedliche Aufgabenbereiche vermittelte.

Ohne Antwort blieb auch die Berliner Kampagne gegen Hartz IV . Deren Arbeitsgruppe "Ein-Euro-Jobs ersetzen!" trat in den vergangenen zwei Jahren mit SPD- und Linkspartei-Vertretern, Gewerkschaften und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband in Kontakt. Die AG "Ein-Euro-Jobs ersetzen!" legte ein ausgefeiltes Konzept vor, in dem sie zeigte, dass MAE-Stellen durch sozialversicherungspflichtige, gesellschaftlich sinnvolle Teilzeitarbeit ersetzbar wären - ohne dass der finanzielle Aufwand der MAE-Maßnahmen dabei überschritten werden müsste. Rosi Kobold (Name geändert) von der Kampagne gegen Hartz IV: "Obwohl finanziell tragbar, fand unser Konzept keine Umsetzung. Wir haben den Eindruck, dass unsere Idee politisch nicht gewollt ist." Offenbar liege Bürgerarbeit in der Zielsetzung der Arbeitsmarktpolitiker.

Die wurde schon im Dezember 2006 von der Bundesagentur für Arbeit umgesetzt - in Sachsen-Anhalt- Thüringen. "Vollbeschäftigung anstatt Hartz IV"- mit diesem Motto hatte damals Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Reiner Haseloff die Bürgerarbeit eingeführt. "Vollbeschäftigung" beinhaltete dabei nicht Festanstellung bei der Kommune, sondern dauerhafte Tätigkeit für "schwer vermittelbare" Erwerbslose, bei einer Kombination aus Geldern der Agentur und Sozialversicherungsleistungen vom Land. Die öffentliche Arbeit wird meist vom Amt zugewiesen. Kobold von der Kampagne gegen Hartz IV: "Wir haben das arbeitsmarktpolitische Instrument der Bürgerarbeit von Beginn an kritisch vermerkt und wollten dem unsere Idee von einer selbstgewählten Teilzeitarbeit entgegensetzen." Damit das sächsische Projekt "Bürgerarbeit" jetzt nicht bundesweite Realität werde, sei mehr Widerstand nötig – sowohl von Gewerkschaften, als auch von der Zivilgesellschaft.