Auf zum letzten Gefecht?

In Deutschland und in Tschechien müssen die Verfassungsgerichte über den Lissabon-Vertrag entscheiden

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Gestern passierte der Lissabon-Vertrag wie erwartet den Bundesrat. Im Bundestag wurde dessen Annahme bereits am 24. April verabschiedet. Der Abgeordnete Peter Gauweiler hat angekündigt, nun eine Verfassungsklage anzustrengen. Durch eine einstweilige Anordnung soll verhindert werden, dass der Bundespräsident den Vertrag unterzeichnet, bevor das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gesprochen hat. In diesem Urteil entscheidet das Gericht dann auch über seine eigene Zukunft.

Eine Möglichkeit wäre, dass die Richter in Karlsruhe eine Volksabstimmung nach Artikel 146 des Grundgesetzes verlangen (der entgegen eines weit verbreiteten Irrglaubens nicht mit der Wiedervereinigung gestrichen wurde). Dort heißt es:

"Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."

Eine andere Option wäre, dass das Gericht die Wirkung des Vertrages deutlich begrenzt – etwa, was seine Anwendbarkeit auf die Abwägung von Grundrechten betrifft: Sonst würde durch den Lissabon-Vertrag unter anderem unter anderem ein neu eingeführtes Recht auf "Geistiges Eigentum" absolut gesetzt und keiner sozialen Verpflichtung unterliegen.

Die Grundlagen für eine solche Einschränkung der Anwendbarkeit finden sich in den beiden "Solange"-Urteilen: 1974 entschied das Verfassungsgericht, dass es solange das Recht habe, europäische Vorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit Grundrechten zu prüfen, solange das "Gemeinschaftsrecht" keinen dem deutschen Grundgesetz entsprechenden Grundrechtekatalog beinhaltet. In der "Solange-II-Entscheidung" aus dem Jahre 1986 stellte das Gericht fest, dass es nur solange nicht einschreiten muss, solange die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs "den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt" und einen ausreichenden Schutz der deutschen Grundrechte "im Wesentlichen" gewährleistet.“1 Jetzt geht es darum, ob das Verfassungsgericht diese Linie aufrechterhält, oder ob es die beiden von Justizministerin Zypries vorgeschlagenen neuen Richter auf einen anderen Kurs bringen. Einen Kurs, der in der Selbstentmachtung enden könnte.

Allerdings entscheidet nicht nur in Deutschland, sondern auch in Tschechien ein Verfassungsgericht über den Lissabon-Vertrag. Hier stoppte die zweite Parlamentskammer den Ratifizierungsprozess, nachdem die erste bereits zugestimmt hatte. Als Begründung führten die Senatoren, die mit einer deutlichen Mehrheit von 48 zu 4 für eine Prüfung des Vertrages durch das oberste tschechische Gericht votierten, erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Papiers an. Wann die gerichtliche Prüfung abgeschlossen sein wird, ist noch offen.