Wird das Öl knapp?

Erdölförderung nach Ländern (Nicht-OPEC-Staaten). Die Zahlen geben das Jahr an, in dem die Förderhöchstmenge erreicht wurde.

Die einen schieben den starken Preisanstieg des Erdöls allein auf Spekulation, doch andere warnen, dass die Förderung vielleicht schon an ihre Grenzen gestoßen sein könnte

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Der Ölpreis scheint kein Halten mehr zu kennen. Am Donnerstag musste für die besten Sorten zeitweise über 135 US-Dollar das Fass gezahlt werden. Zum Wochenende gingen die Preise wieder etwas zurück, aber für ein Fass der Sorte Brent lieferbar im Juli mussten immer noch etwas über 130 US-Dollar hingelegt werden. Anzeichen für einen ernsthaften Preisrückgang sind nirgendwo auszumachen.

Das ist angesichts des Anstiegs in den letzten Wochen immerhin bemerkenswert. Um 20 Prozent hat sich Rohöl allein seit Anfang Mai verteuert. Mit einigen Unterbrechungen hält die Ölpreis-Ralley inzwischen seit fast sechseinhalb Jahren an. Anfang 2002 kostete das Fass Rohöl (159 Liter) nur etwa 20 US-Dollar. Es liegt also eine langfristige Entwicklung vor. Allerdings muss das nicht ausschließen, dass diese aktuell durch Spekulation verstärkt wird.

Der Guardian nennt den Ölpreis "eine gewaltige Blase, die darauf wartet, zum Platzen gebracht zu werden". Zum Beleg verweist der Autor zum einen auf den besonders schnellen Anstieg der letzten Wochen und zum andere auf das Beispiel des Weizenpreises, der kürzlich nach der Auflösung einer ähnlichen Spekulationsblase um 40 Prozent gefallen sei.

Monatlich gemittelter Preis für ein Fass (159 Liter) Rohöl der Sorte Brent bis April 2008. Die schwarzen Punkte beschreiben den Mittelwert, die senkrechten Striche die monatliche Spannbreite. Deutlich sichtbar ist, dass es seit Beginn 2004 einen inzwischen sehr lang anhaltenden positiven Trend gibt. Das spricht dagegen, dass der Anstieg vor allem das Ergebnis des Zuflusses spekulativen Kapitals ist. Grafik: http://www.futures.tradingcharts.com

Nun ist es offensichtlich so, dass seit Ausbruch der Finanzkrise in den USA viel Geld in die Rohstoffmärkte geflossen ist, weil sich dort mit der Erwartung steigender Preise viel Geld verdienen lässt. Das schließt jedoch nicht aus, dass diesem Trend realwirtschaftliche Fakten unterlegt sind, die die Preise langfristig steigen lassen. Nicht nur beim Öl, sondern auch bei Erzen und vielen Agrarrohstoffen ist diese Entwicklung bereits seit etwa 2002 auszumachen. Eine ganze Reihe von Rohstoffexporteuren – nicht zuletzt in Lateinamerika – hat davon bereits erheblich profitiert und die Stellung ihrer Länder auf dem Weltmarkt deutlich verbessert.

Ökonomische Verwerfungen

Was das Öl angeht, so wird bereits seit einigen Jahren von verschiedenen Fachleuten Knappheit als ein wesentlicher Grund für den Preisanstieg diskutiert. Einige wie die deutsche Energy Watch Group bevorzugen dabei die eher alarmierende Variante, die unter dem Schlagwort "Peak Oil" von einem baldigen und raschen Abnahme der verfügbaren Reserven ausgeht, andere wie die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) sehen das Fördermaximum erst gegen Ende des nächsten Jahrzehnts kommen.

Denkt man allerdings über die Konsequenzen nach, dies sich aus diesen Analysen ergeben, dann sind die Unterschiede letztlich graduell. Denn klar ist, dass nach dem Fördermaximum, dem "Peak Oil", de Förderung sehr schnell abnehmen, die Schere zwischen Angebot und Nachfrage also rasch aufgehen wird. Die Folge wird eine erhebliche Verteuerung sein, womit rund um die Welt nicht nur die Transportkosten steigen, sondern auch die für Düngemittel und viele andere Produkte, die auf Öl als Grundstoff angewiesen sind. Letztlich würde das auf alle Waren durchschlagen und die Welt stünde mit ziemlicher Sicherheit vor einer schweren Wirtschaftskrise.

"Aus der Sicht der Ökonomen", meinte letzte Woche in Berlin Josef Auer, der für die Deutsche Bank Research als so genannter Senior Economist Energiemarktanalysen erstellt, "ist der Endpunkt der Reservenutzung – anders als für Geologen – weniger spannend. Reichweiten geben zwar einen Eindruck über das Ende der Förderzeit. Sie suggerieren aber Versorgungssicherheit über einen Zeitraum, in dem der Energieträger tatsächlich bereits drastisch knapp wird und in der Verteilungskämpfe zu erwarten sind. Interessanter ist der Zeitpunkt der Höchstförderung, denn wenn ab diesem Zeitpunkt die Förderung – bei konstanter oder gar weiter zunehmender Nachfrage – sinkt, sind starke Preisreaktionen und volkswirtschaftliche Verwerfungen möglich."

Vage Hoffnungen

Einige wollen jedoch die drohende Verknappung immer noch nicht recht wahr haben. So wird zum Beispiel gerne auf neue Ölfelder verwiesen, die in Saudi Arabien angeblich kurz vor dem Beginn der Förderung stünden. Bis Ende 2009 solle in dem Königreich die tägliche Förderung von heute 11,3 Millionen auf 12,5 Millionen gesteigert werden, heißt es in Asia Times. 50 Milliarden US-Dollar wolle man in den nächsten Jahren in die Ausweitung der Förderung stecken.

An derlei Ankündigungen hatte es in den vergangenen Jahren allerdings keinen Mangel. Meist haben sich die Termine immer wieder verschoben. Die Förderung der OPEC, deren wichtigstes Mitglied Saudi Arabien ist, ist seit Jahren weitgehend konstant, wie die Daten der Internationalen Energie Agentur (IEA) zeigen, die in Paris für die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) arbeitet. Auch die US-Energieinformationsagentur (EIA) hat ganz ähnliches ermittelt, wie man unten stehender Grafik entnehmen kann. bei steigenden Preisen und der erklärten Absicht der OPEC, diese nicht zu sehr aus dem Ruder laufen lassen zu wollen, ist das immerhin bemerkenswert. Sollte das vielleicht heißen, dass die Förderung nicht mehr zu steigern ist?

Die unteren beiden Kurven beschreiben die Rohölförderung der OPEC-Staaten. Trotz steigender Preise und wiederholter Ankündigungen, diese durch Steigerung der Förderung in Schach halten zu wollen, bewegt sich die Fördermenge der OPEC seit etwa Mitte 2004 zwischen 30 und 32 Millionen Fass pro Tag. Obere Kurve: Zu den "Liquids" gehören auch Kondensate, die aus unbehandelten Erdgas gewonnen werden. Dabei handelt es sich um eine Art natürliches Benzin, das bei der Abkühlung des Rohgases kondensiert. Grafik: The Oil Drum

Interessant ist jedenfalls, dass die IEA-Zahlen, die von kritischen Experten auf der Internetseite The Oil Drum zitiert werden, auch in Hinblick auf Saudi Arabien, dem gemeinhin die mit Abstand größten Vorräte nachgesagt werden, wesentlich weniger optimistisch sind. Zum einen beträgt derzeit die tägliche Förderung nicht 11,3 Millionen Fass, wie von dem Asia-Times-Autoren angenommen, sondern 10,5 Millionen, zum anderen scheint die Produktion tendenziell eher rückläufig zu sein, wie folgender Grafik zu entnehmen ist.

Grafik: The Oil Drum

Wie groß die Bedeutung Saudi Arabiens ist, wird im Vergleich mit den weltweiten Förderzahlen deutlich. Laut The Oil Drum berechnet die IEA für 2007 eine durchschnittliche Tagesförderung von 85,41 Millionen Fass (Rohöl plus Kondensate). Die EIA kommt auf 84,6 Millionen Fass täglich. In den ersten Monaten des Jahres ist die Tagesproduktion etwas angestiegen, fiel aber im April gegenüber dem Vormonat um 400.000 Fass. Schaut man sich die Entwicklung der weltweiten Förderung in den letzten Jahren, so fällt auf, dass seit 2004 die Produktion kaum noch ansteigt. Um das ernsthaft zu ändern, müsste die durchschnittliche Tagesförderung nicht um 1,2 Millionen Fass in knapp zwei Jahren, wie für Saudi Arabien angekündigt, sondern eher um zwei bis drei Millionen pro Jahr steigen.

Seit einigen Jahren steigt die globale Ölförderung trotz wachsendem Bedarfs und steigender Preise kaum weiter an. Grafik: The Oil Drum

Kalte Füße

Wie berichtet bekommt auch die IEA, bisher eher für optimistisch Prognosen bekannt, langsam kalte Füße. Um einen Engpass in der Versorgung zu vermeiden, müssten die Förderkapazitäten bis 2015 nicht um 25 Millionen Fass pro Tag, sondern um 32,5 Millionen Fass ausgedehnt werden. Das würde eine Steigerung der Produktion auf bis zu 116 Millionen Fass pro Tag bedeuten. Inzwischen befürchten aber bei der Agentur viele, dass mehr als 100 Millionen pro Tag nicht drin sein werden.

Zu einer ähnlich Zahl war die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schon 2006 gekommen. Spätestens in 15 Jahren sei das Maximum der Förderung bei jährlich knapp fünf Milliarden Tonnen erreicht, heißt es in einer Presseerklärung aus dem Jahre 2006. Weltweit seien seit Beginn der industriellen Erdölförderung insgesamt rund 143 Milliarden Tonnen Erdöl gewonnen. „Damit sind bereits über 37 Prozent des erwarteten Gesamtpotenzials an konventionellem Erdöl verbraucht und unseren Berechnungen zufolge ist das Maximum der Förderung zwischen 2015 und 2020 erreicht“, so der Geologe Hilmar Rempel von der BGR.

Die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) geht davon aus, dass das Fördermaximum im Jahre 2020 erreicht sein wird und bei knapp fünf Milliarden Tonnen pro Jahr (5 Gt) liegen wird. Das entspricht ziemlich genau den 100 Millionen Barrel pro Tag, die nach jüngsten Zeitungsberichten von der IEA prognostiziert werden. Grafik: BGR

Die BGR meint allerdings, dass Öl nach dem "Peak Oil" auch weiter eine bedeutende Rolle in der Energieversorgung spielen wird. Der Erschließung so genannter nicht-konventioneller Ölvorkommen (Der kanadische Ölsand-Komplex) steht man jedoch eher zurückhaltend gegenüber: "Bei Ölsanden und Schwerstölen hingegen wurden in den letzten Jahren zahlreiche Projekte in Kanada und Venezuela in Angriff genommen. Allerdings ist zu erwarten, dass diese dort in absehbarer Zeit nur ein Bruchteil der Kapazität der Förderung von konventionellem Erdöl erreicht“, heißt es bei der BGR.

"Peak Oil ist jetzt"

Deutlich skeptischer ist da die Energy Watch Group, eine Vereinigung von Ökonomen, Politiker und Naturwissenschaftlern, die sich Sorgen um die Sicherheit der Energieversorgung machen. Bereits im November 2007 hatte sie eine Studie vorgestellt (Peak-Oil in 2006?), wonach der Höhepunkt der Erdölförderung bereits erreicht sei. Dieser Tage wurde das Papier aktualisiert und in deutscher Übersetzung vorgestellt. Anhand des Vergleichs mit historischen Förderzahlen kommt die Studie zu dem Schluss, dass nach dem Erreichen der Förderhöchstmenge die Produktion rasch abfällt.

Historische Förderdaten einzelner Felder in Großbritannien. Jede Farbe entspricht einem anderen Feld. Wie man sieht, wurden zunächst die größten Felder erschlossen. Wie in vielen anderen Nicht-OEC-Ländern wurde der Höhepunkt der britischen Förderung längst überschritten. Grafik: EWG "Zukunft der weltweiten Ölversorgung"

Das lässt sich, wie obige Grafik zeigt, ganz gut am Beispiel der britischen Ölindustrie ablesen. Man sieht daran, dass zunächst die größten Felder erschlossen werden, deren Förderung nach einiger Zeit abfällt. Eine Ausweitung der Produktion ist nur durch die Erschließung neuer Felder möglich, doch die werden immer kleiner, bis die Erschließung neuer Felder irgendwann auch in der Summe nicht mehr in der Lage ist, die Produktion auf dem erreichten Niveau zu erhalten. Danach kommt ein ziemlich rascher Abstieg.

Die Prognose der EWG beruht im wesentlichen darauf, diese Erfahrungen auf den ganzen Globus auszudehnen. Auf die Angaben der Ölkonzerne und Förderländer über die zur Verfügung stehenden Reserven gibt man hingegen wenig. Insbesondere den saudischen Zahlen traut man nicht über den Weg. Ziemlich sicher ist indes, dass die meisten Nicht-OPEC-Staaten, die bisher für rund die Hälfte der weltweiten Förderung verantwortlich sind, das Maximum bereits überschritten haben.

Außerhalb der OPEC wird es also schon in den nächsten Jahren bergab gehen, und dass vermehrte Förderung der OPEC dies auffangen kann, ist – siehe Saudi Arabien – fraglich. Auch den Neufunden traut die EWG nicht viel zu. Ölfelder in der Arktis seien pure Spekulation, meinte letzte Woche EWG-Mitglied Werner Zittel von der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH bei der Vorstellung der Studie in Berlin. Viele der Ankündigungen der letzten Jahre hätten sich im Nachhinein als übertrieben erwiesen. Die neuen Funde seien meist schwierig zu erschließen oder aus anderen Gründen wie etwa hohem Schwefelgehalt und Druck problematisch.

Außerdem sei das Maximum der Neufunde bereits in den 1960ern Jahren erreicht worden. Seit etwa 20 Jahren übersteigt die Förderung die Neufunde. Es wird also schneller Öl aus den Reserven entnommen, als diese durch neue Felder vergrößert werden können. Außerdem wird das Entdecken wirklich großer Felder immer unwahrscheinlicher. Kleine Felder sind aber, wie das britische Beispiel zeigt, nur dann in der Lage das erreichte Produktionsniveau zu halten oder gar zu steigern, wenn sie in wirklich große Zahl erschlossen werden können.

Neufunde von Ölfeldern und Förderung im Vergleich. Grafik: EWG

Angesichts dieser Analyse, sagt Zittel: "Peak Oil ist jetzt. Die weltweite Förderung hat mit großer Wahrscheinlichkeit das Fördermaximum bereits überschritten. Bis zum Jahre 2030 könnte sie auf die Hälfte sinken." Da aber in den Förderländern der Energieverbrauch steigt, sei davon auszugehen, dass die Exporte und damit das Weltmarktangebot noch schneller als die Förderung zurückgehen werden. Hierzulande, so Zittel, könnte das heißen, das vielleicht bereits 2030 kein Erdölimport mehr möglich sei.