It's a feature, not a bug

Die Telekom ließ zwischen 2005 und 2006 mehrere hunderttausend Festnetz- und Mobilfunk-Verbindungsdatensätze von wichtigen über die Telekom berichtenden deutschen Journalisten und deren privaten Kontaktpersonen ausforschen

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Für die Gegner der Vorratsdatenspeicherung ist die Spionageaffäre eine Steilvorlage. Nachdem sich der erste Rauch verzogen hat und man ungefähr weiß, was geschehen ist, sind drei Lehren zu ziehen: Wo immer es interessante Daten gibt, werden sie auch ausspioniert. Datenmissbrauch is a feature, not a bug. Deshalb wird die Angelegenheit keine nennenswerte Konsequenzen haben und sich auch wiederholen.

Verantwortlich waren zum Zeitpunkt der Affäre der Vorstandsvorsitzende Kai-Uwe Ricke und Klaus Zumwinkel, Vorsitzender des Aufsichtsrats und bis zum Februar 2008 auch Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post.

Beide streiten ab, einen Auftrag zur Datenspionage erteilt zu haben. Die Staatsanwaltschaft Bonn prüft zurzeit noch die strafrechtliche Relevanz der vom Telekom-Vorstand eingereichten Unterlagen. Möglich sind unter anderem Verstöße gegen folgende Bestimmungen:

  1. § 33 Bundesdatenschutzgesetz ("Werden personenbezogene Daten geschäftsmäßig zum Zweck der Übermittlung ohne Kenntnis des Betroffenen gespeichert, ist der Betroffene von der erstmaligen Übermittlung und der Art der übermittelten Daten zu benachrichtigen.")
  2. § 34 Bundesdatenschutzgesetz ("Der Betroffene kann Auskunft verlangen über die zu seiner Person gespeicherten Daten, die Empfänger und den Zweck der Speicherung.")
  3. § 206 Strafgesetzbuch (Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses). Der aktuelle Vorstand unter René Obermann wusste seit Ende April vom großen Lauschangriff seitens des Konzerns auf Journalisten und Manager und erstattete am 14. Mai Anzeige.

Man muss sich vor allem wundern, wie dämlich sich die "Sicherheitsbevollmächtigten" der Telekom anstellten. Die Manager ärgerten sich darüber, dass Interna aus ihren Sitzungen an die Medien gelangten. Die Telekom sei "löchrig wie ein Schweizer Käse", beklagte sich Ricke gegenüber dem Nachrichtenmagazin Spiegel. Leiter der Konzernsicherheit war der mittlerweile gefeuerte Harald Steininger. Der ehemalige Kriminalbeamte saß auch im 2003 gegründeten "Sicherheitsforum Deutsche Wirtschaft", dessen Zweck es ist, "in Sicherheitsfragen den Austausch zwischen Deutschlands größten Konzernen zu stärken und staatlichen Behörden wie Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und Bundesinnenministerium als Ansprechpartner in der Wirtschaft zu dienen."

Um die Informationslecks aufzuspüren, wurde eine externe Berliner Beratungsfirma von der Telekom beauftragt. Die bekam Uhrzeit, Länge und Teilnehmer von Telefonaten zahlreicher Wirtschaftsjournalisten und sollte herausfinden, wer mit wem telefoniert hatte und welcher Manager, welcher Arbeitnehmervertreter und welches Mitglied des Aufsichtsrats mit welchem Journalisten Kontakt hatte. Wie in einem drittklassigen Spionagefilm wurden auch Dokumente aus Vorstandssitzungen fingiert und vorab gezielt verteilt, um den Weg der Informationen nachvollziehen zu können. Die "Beraterfirma", deren Name zurzeit noch nicht publik geworden ist, soll nach eigenen Angaben sogar einen Spitzel in das Büro eines Journalisten eingeschleust haben.

Bei so vielen Beteiligten an halb- oder illegalen Lauschaktionen plaudert immer jemand etwa aus. Es ist kaum vorstellbar, dass die Beteiligten davon ausgingen, alles bliebe auf Dauer geheim - auch wenn man unter so geheimnisvollen Codebezeichnungen wie "Rheingold" oder "Clipper" agierte. Zu allem Überfluss stritten sich die Auftraggeber bei der Telekom noch über die Rechnung mit der "Beraterfirma", der es irgendwann zu bunt wurde und die deshalb die Geschäftsbeziehung kündigte. Die Informationen, die an die Presse lanciert wurden, stammen mit größter Wahrscheinlichkeit aus dieser Quelle.

"Sicherheitsexperten" wie die der Telekom lesen offenbar auch keine Zeitungen. Im Jahr 2005, als die Lauschaktion begann, diskutierte die Republik über die so genannte Cicero-Affäre. Das Bundesverfassungsgericht entschied später, dass die Durchsuchung der Redaktionsräume des Magazins illegal und ein schwer wiegender Eingriff in die Pressefreiheit war. Im Frühjahr 2005 ließ die Staatsanwaltschaft in Sachsen die Verbindungsdaten eines Reporters der Dresdner Morgenpost ausspähen - auch das wurde später von den Gerichten untersagt.

Ein Unternehmen, das Journalisten nachspioniert und sich dabei erwischen lässt, muss - schon seit der Spiegel-Affäre 1962 - damit rechnen, dass die Richter der höchsten Instanz außerordentlich unwillig werden und im Namen der Pressefreiheit schweres juristisches Geschütz auffahren. Aber versucht wird es immer wieder - wie im Fall des Bundesnachrichtendienstes, der im Sommer 2005 den Computer des afghanischen Handelsministers Amin Farhang verwanzte und damit gleich die E-Mails der Spiegel-Journalistin Susanne Koelbl mitlas.

Der Marktführer Telekom sitzt bei der Datensammelei ohnehin im Glashaus, ist doch der Bund größter Anteilseigner des Konzerns. Seit Jahresbeginn 2008 speichert das Unternehmen als eine Art Hilfspolizist die Kommunikationsdaten aller Bürger. Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zwingt die Telekommunikations-Anbieter, alle Telefon-Verbindungsdaten zum Zwecke der Strafverfolgung ein halbes Jahr aufzuheben. Ab Januar 2009 soll das auch für die Bewegungsprofile im Internet gelten. Das Bundesverfassungsgericht hatte im März 2008 im Einstweiligen Verfügungsverfahren die Datensammelwut vorläufig auf schwere Straftaten eingeschränkt.

Durch den massiven und umfangreichen Lauschangriff der Telekom wird auch den Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung klar geworden sein, wie schwierig der gesetzlich gewährte Schutz der Privatsphäre ist, sind die gesammelten Informationen erst einmal vorhanden und abrufbereit. Die Telekom machte es vor: Schaun mer mal, ob die Betroffenen es merken. Entweder lag kein Unrechtsbewusstsein bei den Initiatoren und Verantwortlichen des Konzerns vor (was für eine gehörige Portion Rechtsverachtung oder noch größere Dummheit spräche) oder man handelte ein vollem Bewusstsein illegal. Das würfe ein bezeichnendes Licht auf die Mentalität deutscher Unternehmenschefs. Im Nachhinein wäscht jeder die Hände in Unschuld und lässt Subalterne die Suppe auslöffeln.

Überwachung ist ein allgegenwärtiges Thema, sei es aktuell beim Lebensmitteldiscounter Lidl, der seine Mitarbeiter per Video ausspähte, bei vielen Providern, die den Netzverkehr der Kunden durchleuchten, bei Burger King, wo kritische Mitarbeiter ebenfalls per Video überwacht wurden - als nähmen sich deutsche Firmen ein Beispiel am Überwachungsskandal bei Hewlett-Packard oder anderen Fällen in den USA und Großbritannien. Wenn sich in den letzten Wochen ein Daten-GAU an den anderen reihte, muss man vermutlich zu Recht annehmen, dass die Telekom-Affäre nur die Spitze eines Eisbergs ist.

Der jetzige Datenlauschangriff, der zudem vom amtierenden Vorstand der Telekom der Staatanwaltschaft anvertraut wurde, bevor die Medien davon Wind bekamen, demonstriert vor allem, dass nicht nur die Inhalte der Kommunikation, sondern auch die Verbindungsdaten brisant und begehrt sind. Wenn sich herausgestellt hätte, dass ein Manager der Telekom öfter mit einem bestimmten Wirtschaftsjournalisten telefoniert hätte, wäre über das Gesagte noch nichts bekannt geworden und hätte auch nichts zu dessen Ungunsten bewiesen werden können. Die Ergebnisse der vermutlich illegalen Lauschaktion hätten nur Munition für das interne Hauen und Stechen in der Chefetage des Unternehmens geliefert.

Mit etwas Fantasie kann man sich aber vorstellen, welche Sprengkraft die Tatsache hat, wenn in wenigen Monaten alle deutsche Provider über alle Kommunikationsdaten aller Bürger über einen relevanten Zeitraum verfügen. Irgendjemand plaudert nicht nur immer, sondern irgendjemand ist immer bestechlich oder verhökert eine wertvolle Ware aus anderen Motiven an halbseidene Datensammler.

Für die Diskussion um das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wird das keine Rolle spielen. Alle Argumente für und gegen den gläsernen Bürger sind schon bekannt und haben bei deutschen Parlamentariern dennoch nicht zur Erleuchtung zugunsten des Datenschutzes geführt. Man muss den Managern der Telekom dankbar sein, dass sie den Bürgern gezeigt haben, dass Datenschutz in eigener Verantwortung geschehen muss. Appelle an die Wirtschaft und die Politik, sich bitte zurückzuhalten, nutzen nur wenig und treffen in der Regel auf taube Ohren.