Amerikas Süden ist sich (fast) einig

Die Gründung der Union Südamerikanischer Nationen könnte die internationalen Kräfteverhältnisse verändern

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Es ist das größte Staatenbündnis, das in den vergangenen Jahrzehnten entstanden ist. Mit der Unterzeichnung der Gründungscharta der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) am 23. Mai in Brasilien haben zwölf Staaten der Region eine langfristige Allianz besiegelt. Die UNASUR hat mit fast 390 Millionen Bewohnern nicht nur enorme wirtschaftliche Entwicklungschancen. Indem das Bündnis die Regionalstaaten über politische Grenzen hinweg zusammenschließt, sendet es eine deutliche Botschaft in die USA und nach Europa: Eine Spaltung Lateinamerikas wird nur noch schwer möglich sein.

Die UNASUR ist in relativ kurzer Zeit entstanden. Im Dezember 2004 waren die Staats- und Regierungschefs Lateinamerikas in der peruanischen Stadt Cusco zusammengekommen, um eine Absichtserklärung zu unterzeichnen. Formell wurde damals eine Gemeinschaft Südamerikanischer Nationen gegründet. Der Zusammenschluss bestand zunächst nur auf Papier. Zwei lockere Treffen in Brasilien 2005 und Bolivien ein Jahr später brachten kaum greifbare Ergebnisse.

Der Durchbruch kam dann vor einem Jahr. Im April 2007 wurde die Organisation auf einem Energiegipfel in Venezuela in die Union Südamerikanischer Staaten umbenannt. Ein permanentes Büro entstand in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito. Die Außenminister der zwölf Mitgliedsstaaten wurden beauftragt, das in der vergangenen Woche verabschiedete Gründungsdokument zu erarbeiten. Mit der Unterzeichnung dieser Charta hat die UNASUR nun eine feste Struktur. Neben einem Präsidialrat aus den Staatsoberhäuptern wurden ein ständiges Gremium der Außenminister und eine dritte Arbeitsgruppe gewählter Delegierter geschaffen. Ein Parlament der Regionalorganisation wird im bolivianischen Cochabamba seine Arbeit aufnehmen. Die Präsidentschaft übernimmt im Jahresturnus ein anderer Mitgliedsstaat.

Gemeinsame Wirtschafts- und Sicherheitspolitik

Venezuelas Außenminister Nicolás Maduro war sich nach dem Gründungstreffen in Brasilia sicher: Die UNASUR sei ein Beleg für den demokratischen Charakter der lateinamerikanischen Region "mit einer Mehrheit autonomer, souveräner und progressiver Regierungen". Der Gastgeber und brasilianische Präsident Luiz Inácio "Lula" da Silva rief alle Staaten Lateinamerikas und der Karibik auf, dem Bündnis beizutreten. Brasilia geht es nach eigenen Angaben vor allem um eine Stärkung der Zusammenarbeit im Handel und in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Die UNASUR tritt damit schon grundsätzlich den Bestrebungen der USA und der EU entgegen, über bilaterale und biregionale Bündnisse eine einheitliche Entwicklungspolitik in Lateinamerika im eigenen Interesse zu behindern. Washington versucht seit Jahren, das am breiten Widerstand gescheiterte Freihandelsabkommen FTAA/ALCA) durch Einzelverträge mit Staaten südlich des Rio Grande durchzusetzen. Und auch die EU und Deutschland stehen in Verhandlungen mit einzelnen Regionen Mittel- und Südamerikas, um den neoliberalen Handel gegen die Kritik aus der Region langfristig abzusichern. Durch die neue Staatenunion UNASUR können die Interessen des Südens nun effektiver durchgesetzt werden.

Gefördert wurde die Idee des Zusammenschlusses vor allem von Venezuelas Präsident Hugo Chávez und seinem Amtskollegen da Silva. In den Wochen vor dem Gründungstreffen reiste Brasiliens Verteidigungsminister Nelson Jobim in die Mitgliedsstaaten, um für die zeitnahe Einrichtung eines Verteidigungsrates der UNASUR zu werben. Neben dem politischen Austausch und der gemeinsamen Wirtschaftspolitik nimmt die UNASUR damit gleich zu Beginn das dritte Element erfolgreicher Staatenbündnisse auf: eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.

Wie wichtig dieser Faktor ist, war den UNASUR-Mitgliedern vor wenigen Wochen erst vor Augen geführt worden. Mit der politischen und militärtechnischen Unterstützung der USA hatte die rechtsgerichtete Regierung Kolumbiens ein Lager der Guerillaorganisation Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) auf ecuadorianischem Boden überfallen und zwei Dutzend Menschen getötet. Der Überfall hatte beinahe einen bewaffneten Konflikt mit den Nachbarstaaten Ecuador und Venezuela ausgelöst und war in der Region uneingeschränkt auf Ablehnung gestoßen. Lediglich die USA stärken der Uribe-Führung den Rücken.

Mehr als eine wirtschaftliche Einheit

Nach Angaben der brasilianischen Regierung soll der geplante Verteidigungsrat der UNASUR solche Krisensituationen künftig vermeiden helfen. Das Gremium habe keinen offensiven Charakter, heißt es aus Brasilia, sondern solle ein Forum für Debatten und gemeinsame Lösungssuchen sein. Nach seiner Reise zeigte zog Brasiliens Verteidigungsminister Jobim eine positive Bilanz. Einige seiner Gesprächspartner seien "enthusiastischer", andere "weniger enthusiastisch" gewesen, sagte der Politiker.

Tatsächlich hatte nur Kolumbiens Staatsführung einen Beitritt in das sicherheitspolitische Gremium abgelehnt. Bogotá machte damit deutlich, dass es als Alliierter der USA zunehmend eine Sonderrolle in der südamerikanischen Gemeinschaft einnimmt. Das gilt wirtschaftlich - Bogotá hat ein bilaterales Handelsabkommen mit den USA unterzeichnet - wie sicherheitspolitisch, denn aus Washington flossen alleine im vergangenen Jahr über 700 Millionen US-Dollar Militärhilfe in den südamerikanischen Bürgerkriegsstaat. Die Weigerung der Uribe-Regierung, den sozialen und bewaffneten Konflikt mit den Guerillaorganisationen auf dem Verhandlungsweg zu lösen, wurde so unterstützt und die Lage im Land verschlimmert. Die Militärpolitik der Achse Bogotá-Washington bedroht zunehmend auch die Stabilität in der Region. Die neue südamerikanische Union soll auch diese Bedrohung zu neutralisieren helfen.

Von der engen Zusammenarbeit Venezuelas und Brasiliens in der Entstehung der UNASUR geht eine weitere politische Botschaft aus: Die Unterscheidung zwischen einer "guten" und einer "schlechten" Linken in Lateinamerika hält dem Realitätstest nicht stand. Trotz des Ringens um die politische Vormachtstellung haben Caracas und Brasilia offensichtlich gemeinsame außen- und regionalpolitische Interessen - vor allem in Hinblick auf die Politik der Industriestaaten. Dass die sicherheitspolitische Komponente der UNASUR von der Regierung da Silva und nicht von Venezuela forciert wurde, ist ein weiterer Beleg dafür. Isoliert ist nicht Caracas, wie man auch in Berliner Regierungskreisen hofft, sondern das mit den USA und Deutschland alliierte Rechtsregime in Bogotá.

Nach mehreren Anläufen hat sich Südamerika mit der Gründung der UNASR politisch zusammengeschlossen. Der Schritt ist bedeutsam, weil alle bisher bestehenden Regionalbündnisse - vor allem die Andengemeinschaft und der Mercosur - lediglich wirtschaftspolitische Interessen verfolgt haben. Versuche Venezuelas, etwa über die Gruppe der 77 ein politisches Forum des Südens zu schaffen, waren gescheitert. In einem Interview nach dem UNASUR-Festakt in Brasilia zeigte sich Hugo Chávez trotz anfänglicher Streitigkeiten um die Kompetenzen der verschiedenen regionalen Strukturen zuversichtlich. Der geplante Verteidigungsrat werde das "Rückgrat" der südamerikanischen Union werden, der Mercosur seine wirtschaftliche Basis. Außen vor blieb nur Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe. Er lehnte die Übernahme der Präsidentschaft ab. Wegen der Streitigkeiten mit Venezuela und Ecuador sei dieses Amt für sein Land derzeit "nicht angebracht", sagte der umstrittene Politiker.