Wandel bevor Obama kommt?

Mit dem ACTA-Vertrag sollen schwer revidierbare Urheberrechtsänderungen geschaffen werden

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Derzeit wird im Geheimen an einem neuen internationalen Vertrag gearbeitet. Neben den USA und der EU-Kommission sollen auch Vertreter Japans und Kanadas an den Verhandlungen beteiligt sein. Die EU-Parlamentarier wurden bisher nicht mit einbezogen, sondern erfuhren – wenn überhaupt – aus der Presse von dem Vorhaben. Trotzdem würde eine in Wikileaks aufgetauchte, aber unbestätigt gebliebene Diskussionsgrundlage für ein "Anti-Counterfeiting Trade Agreement" (ACTA) beträchtliche Auswirkungen haben.

Nach Ziffer 3 des Papiers sollen etwa Urheberrechtsverletzungen ohne Bereicherungsabsicht zwingend mit strafrechtlichen Sanktionen belegt werden – eine Klausel, die mittlerweile als "Pirate-Bay-Killer" bekannt ist. Internet-Provider sollen haftbar gemacht werden, wenn sie Sperraufforderungen nicht schnell genug durchführen – eine Praxis, die bereits beim amerikanischen DMCA dazu führte, dass viele Provider bei Sperraufforderungen überhaupt keine Kontrolle mehr durchführen, sondern sofort sperren – selbst wenn sie (wie Versuche bewiesen) mit einer absurden Anschuldigung von einer Hotmail-Adresse aus kommen.

Am problematischsten könnte jedoch eine Regelung zur „Kooperation zwischen Strafverfolgungsbehörden" sein. Unter anderem auch deshalb, weil die EU-Kommission gleichzeitig an einem Wegfall des ordre public arbeitet. Dass (wie die FAZ befürchtete) dann bald auch Scharia-Urteile in Europa gelten, steht zwar weniger zu erwarten, aber eine faktische Vereinheitlichung des Urheberrechts nach dem monopolfreundlichsten Standard dafür um so mehr.

Eine kanadische Zeitung sprach sogar davon, dass der Vertrag die verdachtsunabhängige Kontrolle von Medien und elektronischen Geräten durch den Zoll und andere Behörden erlauben solle. Verheerend wäre das vor allem für die Bürgerrechtssituation in den europäischen Ländern, weil dort Zollbehörden seit dem Schengen-Abkommen auch im Landesinneren tätig werden dürfen. Im schlimmsten Fall würde auf diesem Umweg eine ständige Durchsuchungsbereitschaft von Laptops und MP3-Playern durch die Hintertür eingeführt. Vor allem im Zusammenhang damit, dass Urheberrechtsverletzungen auch ohne Antrag des Rechteinhabers verfolgt werden sollen, würde eine Situation entstehen, in der der Behördenwillkür Tür und Tor geöffnet wäre.

Angeblich soll das Abkommen bis Ende des Jahres beschlossen werden – möglicherweise auf dem kommenden G8-Gipfel in Japan. Der Grund dafür könnte - wie bei anderen Vertragsvorhaben auch - in der Unsicherheit liegen, welche der US-Präsidentenwechsel im nächsten Jahr mit sich bringt.

Zwar segnet der amerikanische Kongress letztendlich solche Verträge ab, doch in den allermeisten Fällen werden die Dokumente von den Abgeordneten und Senatoren vorher kaum gelesen, geschweige denn genau auf juristische Konsequenzen geprüft. Als der Kongress in den 1990er Jahren über das GATT-Abkommen abstimmte, machte sich ein einziger Senator - Hank Brown aus Colorado - die Mühe, das fast 30.000 Seiten lange Vertragswerk zu lesen. Als er damit begann, unterstützte er GATT. Als er damit fertig war, lehnte er es vehement ab. Beim Vertrag von Lissabon und den nationalen europäischen Parlamenten dürfte die Komplettleserquote unter den Abgeordneten ähnlich niedrig liegen.

Die eigentliche politische Macht liegt also in den Händen jener, die das Vertragswerk formulieren. Bei ACTA ist dies vor allem Susan Schwab, die den Posten des United States Trade Representatives (USTR) bekleidet. Ihr Büro führt die Verhandlungen mit den Delegationen der anderen Länder. Schwab gehört zwar nicht formell dem Kabinett an, ihr Amt ist aber organisatorisch auf gleicher Ebene angesiedelt. Und es ist ein typischer Spoils-Posten, den Präsidenten neu besetzen, wenn sie an die Macht kommen. Zwar wurde das spoils system im Laufe der Geschichte etwas abgeschwächt, dennoch liegt die Zahl der nach einem Amtsantritt ausgewechselten Staatsdiener auch in der Gegenwart noch bei etwa 3.000. George W. Bush ernannte erst Robert Zoellick (der später Paul Wolfowitz' Nachfolger bei der Weltbank wurde), dann Rob Portman und schließlich Susan Schwab.

Ob eine Obama-Administration allerdings im Bereich internationaler Urheberrechtsverträge für Wandel sorgen wird, hängt sehr stark davon ab, inwieweit der Kandidat sein zentrales Wahlversprechen tatsächlich wahr werden lässt und mit Lobbyisten in der eigenen Partei aufzuräumen bereit ist – etwa mit Howard Berman, der ebenfalls maßgeblich an dem ACTA-Entwurf beteiligt gewesen sein soll. Der Abgeordnete aus Kalifornien fiel nicht nur durch eine Reihe extremer Gesetzentwürfe auf, sondern bezog auch erhebliche Gelder von Medienkonzernen wie Time Warner, Rupert Murdochs News Corporation, Sony und Disney. Im Mai sprach er sich gegen Clinton und für Obama als Kandidaten seiner Partei aus.