"Emotionsarbeit kann krank machen!"

Emotionsarbeit nimmt zu, weil der tertiäre Sektor wächst und immer mehr Menschen Emotion gezielt einsetzen müssen

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Die Arbeits- und Organisationspsychologin Melanie Holz erforscht an der Universität Frankfurt, welche Rolle Gefühle im Arbeitsleben spielen. Sie warnt im Telepolis-Gespräch davor, Mitarbeiter zu überfordern.

Kürzlich berichtete die „Apotheken Umschau“, dass verordnetes Lächeln bei der Arbeit Depressionen, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Krankheiten hervorrufen kann.

Melanie Holz: Das ist richtig, mittlerweile wissen wir das aus vielen Studien. Wenn Freundlichkeit erzwungen, statt empfunden wird, kann das zu Burnout, Depressionen und psychosomatische Krankheiten führen. Das zeigt sich auch im Arbeitsverhalten: Wer von der Emotionsarbeit überfordert ist, leistet weniger.

Wodurch wird Fühlen zur Arbeit?

Melanie Holz: Wenn die Gefühle den Mitarbeiter von dem Unternehmen, in dem sie tätig sind, detailliert vorgeschrieben werden, also wenn zum Beispiel eine Fluggesellschaft ihren Mitarbeiterinnen das Lächeln vorschreibt. Unter Psychologen sprechen wir von Emotionsarbeit; ein Begriff, der von Arlie Hochschild geprägt wurde. Nach ihrer Definition wird sie immer dann geleistet, wenn die Mitarbeiter in Mimik, Gestik oder Sprache ganz bestimmte Emotionen zum Ausdruck bringen müssen, unabhängig davon, ob sie mit den eigenen Empfindungen übereinstimmen oder nicht. Der Kellner, der gerade ein schlimmes Erlebnis hatte, muss trotzdem lächeln. Diese Dissonanzerfahrung macht Emotionsarbeit schädlich.

Das muss sich übrigens durchaus nicht immer auf positive Gefühle beziehen. Es ist öffentlich immer viel die Rede von Flugbegleiterinnen und Verkäufern, aber auch der Gerichtsvollzieher, der eine ernste Miene machen muss, oder die Kindergärtnerin, die gegen ihren Willens streng sein muss, leisten Emotionsarbeit. Viele Dienstleistungsberufe verlangen, ganz gezielt negative Emotionen einzusetzen. Außerdem gibt es noch eine weitere Form, die emotionale Anteilnahme, wenn Beschäftigte gezielt Mitgefühl zeigen müssen.

Emotionale Dissonanzträgt viel stärker zu Burnout und psychosomatischen Krankheiten bei als Zeitdruck

Ist Lächeln bei der Arbeit also ungesund?

Melanie Holz: Nur, wenn einem nicht danach zumute ist! Aber Dissonanzsituationen, wenn die gezeigten und empfundenen Emotionen auseinander klaffen, sind tatsächlich ungesund. Denken Sie an jemanden in einem Call Center, der acht Stunden am Tag mit Kunden zu tun hat und permanent freundlich sein muss! Für solche Anforderungen muss man wirklich gut gelaunt sein. Es kommt auch darauf an, wie groß der Anteil von Emotionsarbeit ist, wie lange die Interaktion mit den Kunden dauert. Wenn wir verschiedene Stressfaktoren gewichten, finden wir heraus, dass die emotionale Dissonanz viel stärker zu Burnout und psychosomatischen Krankheiten beiträgt als beispielsweise Zeitdruck.

Wer ist davon besonders betroffen?

Melanie Holz: Emotionsarbeit ist besonders anstrengend, wenn die Mitarbeiter starre Vorgaben haben. Call Center–Mitarbeiter haben nur einen kleinen Handlungsspielraum, wie sie den Arbeitsprozess gestalten. Sie können nicht entscheiden, ob und wie sie eine bestimmte Emotion zeigen. Auch wenn ein Mitarbeiter gerade von einem Kunden angeschrien wurde, wird er gezwungen, zum nächsten Anrufer wieder freundlich zu sein. Auf Dauer macht das krank. Ein Professor oder Arzt dagegen muss zwar auch Freundlichkeit zeigen, aber weil sie mehr Macht haben und einen höheren Status besitzen, können sie ihr Verhalten selbst regulieren. Eine typische Frage von uns ist deshalb: „Können Sie selbst bestimmen, wann Sie ein Gespräch beenden?“ Je stärker die Kontrolle und Vorschriften, desto negativer die Auswirkungen auf die Gesundheit. Wir Arbeitspsychologen können außerdem vor Arbeitsplätzen ohne Rückzugsraum nur warnen. Es ist wichtig, nicht rund um die Uhr Emotionsarbeit leisten zu müssen.

Dabei gilt Deutschland doch als Dienstleistungswüste ...

Melanie Holz: Emotionsarbeit nimmt zu, weil der tertiäre Sektor wächst. In Europa schrumpft der industrielle Bereich, deshalb stehen immer mehr Menschen bei der Arbeit im Kontakt mit anderen Menschen und kommunizieren. Aber sie tritt ja nicht nur im Umgang mit Kunden auf, sondern auch innerhalb von Unternehmen. Auch ein Vorgesetzter kann sich gegenüber seinen Mitarbeitern nicht einfach so verhalten, wie es ihm gerade gefällt. Team- und Projektarbeit nehmen zu, die Menschen deshalb müssen mehr interagieren, und dazu gehört eben auch, seine Emotionen gezielt einzusetzen.

Lässt sich die Fähigkeit zur Emotionsarbeit erlernen? Sie können wenigstens Strategien lernen, wie man bestimmte Situationen deeskaliert, und wie man die eigenen Grenzen bewusst zieht. Je kürzer die Interaktion, desto einfacher ist es, nur zu schauspielern. Wir unterscheiden bei der Emotionsarbeit grundsätzlich zwischen oberflächlicher und tiefer Darstellung von Gefühlen. Beim surface acting lächelt man, aber es nicht wirklich echt und authentisch, sondern eben aufgesetzt. Aber gerade das ist gesundheitsschädlicher als deep acting! Wenn Sie tatsächlich empfinden, was Sie zeigen sollen und müssen, befinden Sie sich nicht in einem widersprüchlichen Zustand. Es ist viel unbequemer, den ganzen Tag eine Maske zu tragen. Insofern ist das deep acting auch ein Selbstschutz. Deshalb entwickeln Mitarbeiter Strategien, um in die gewünschte Stimmung zu kommen.

Wie geht denn das?

Es gibt im Umgang mit Kunden oder auch Patienten sozusagen Rückkopplungen. Die Menschen merken, ob Freundlichkeit authentisch ist oder nicht, und sie reagieren entsprechend. Studien haben gezeigt, dass man sogar am Telefon den Unterschied hört, ob die Person am anderen Ende der Leitung lächelt oder nicht. Eine andere Studie von Thorsten Henning-Thurau wiederum belegt, dass es weniger auf die Häufigkeit des Lächelns ankommt, als auf die empfundene „Echtheit“. Echte Gefühle machen Kunden zufrieden. Außerdem gibt es bestimmte Vorstellungen, die bei der Freundlichkeit helfen. Flugbegleiter stellen sich beispielsweise bei der Arbeit vor, sie befänden sich in ihrem Wohnzimmer und die Passagiere wären ihre Verwandte.