Riesenchance für den Datenschutz

Die "Schnüffelaffäre" rund um die Telekom hat auch die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung neu entfacht. Die angebotenen Lösungen sind allerdings eher für das Kuriositätenkabinett geeignet

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Einen interessanten Vorschlag, wie eine solche Zweckentfremdung von gespeicherten Daten vermieden werden kann, hatte Klaus Jansen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Seiner Meinung nach liegt das Problem nicht darin, dass (letztendlich durch die Vorratsdatenspeicherung) beim Provider anfallende Daten Begehrlichkeiten wecken. Eher sei der Ort der Datenspeicherung das Problem.

"Die heutige Praxis einer sechsmonatigen Speicherung direkt beim Telefonanbieter öffnet Missbrauch Tür und Tor", so Jansen. Er übernimmt damit die Argumentation von Datenschützern und Bürgerrechtlern, um dann allerdings zu einem ganz anderen Resultat zu kommen: „Es ist doch offensichtlich, dass sensible Kundendaten bei privaten Unternehmen mehr als schlecht aufgehoben sind.“

Damit schafft er es, sämtliche privaten Unternehmen in Misskredit zu bringen - sozusagen eine datenschutztechnische Sippenhaft. Wenn die Telekom schon die Daten missbraucht, so der unterschwellige unheilvolle Tenor Jansens, dann muss dies ja bei anderen auch so sein. Weiterhin gibt er damit auch vor, dass Daten, die nicht bei privaten Unternehmen sondern beispielsweise in dem von ihm vorgeschlagenen „Sicherheitscenter“ unter Aufsicht des Datenschutzbeauftragten stehen, automatisch dort sicherer wären.

Dass eine zentrale Datenbank als „single point of failure“ per se stärkeren Angriffen ausgesetzt ist als eine dezentralisierte Version – davon spricht Jansen ebenso wenig wie von den diversen Datenpannen, die von versehentlich veröffentlichten Einsatzprotokollen bis hin zu versehentlich versandten Objektschutzdaten und ebenso versehentlich veröffentlichten Mitschnitten von Notrufen reichen.

Selbstverpflichtung zur Gesetzeseinhaltung

Ähnlich absurd wie die Idee, Begehrlichkeiten dadurch zu verringern, dass Daten zentral statt dezentral gespeichert werden, mutete die Idee des Bundesinnenministers an. Er lud die Telekommunikationsunternehmen an einen „Runden Tisch“ und erwog eine Selbstverpflichtung der Unternehmen. Damit schloss er sich einerseits der Logik Jansens an, diese Affäre der Telekom würde darauf hinweisen, dass alle Telekommunikationsunternehmen Missbrauch betreiben. In einer nicht wirklich unüblichen Rhetorik teilte Dr. Wolfgang Schäuble mit, dass „die Branche [der Telekommunikationsunternehmen] gut beraten wäre, dieses Angebot [eines Treffens] anzunehmen.“

Auch wenn manchem Datenschützer die Telekomaffäre nun als Katalysator für ein neues Datenschutzbewusstsein willkommen ist, so ist die vorgenannte Argumentation eine, die seit Jahren von ihnen kritisiert wird: Wer nicht Anordnung x Folge leistet, hat etwas zu verbergen. Hier sind es die Unternehmen, die sich allfällig gen Berlin begeben und eine Selbstverpflichtung unterzeichnen sollen, um demonstrativ zu zeigen: „Wir haben nichts zu verbergen, bei uns gibt es so etwas nicht.“ Es ist wenig verwunderlich, dass die betreffenden Unternehmen dieser Einladung zur plakativen Bezeugung der Unschuld nicht Folge leisten wollten.

Die Argumentation, komplett mit unheilvollem Grollen (Ihr tut besser, was wir sagen...), wird in ihrer Absurdität klarer, wenn man sie einmal auf die Gegner der Vorratsdatenspeicherung anwendet: Hätte einer der Kritiker oder Gegner beispielsweise eine Straftat begangen, so müsste, wenn man der Logik Schäubles folgt, jeder Kritiker/Gegner einbestellt werden, auf dass er eine Selbstverpflichtung unterzeichnet, die besagt, dass er eben nicht straffällig wurde und sich an Gesetze hielt, und dass er nicht etwa die Vorratsdatenspeicherung ablehnt, weil er dadurch die Aufdeckung seiner Missetaten befürchten müsste. Eine moderne Form des positiven Prangers: Seht her, diese Leute sagen offen: „Bei uns ist alles in Ordnung“, während diejenigen, die sich dieser Methoden verweigern, automatisch als verdächtig gelten.

Dazu kommt, dass Selbstverpflichtungen letzten Endes sanktionsfrei sind. Sie sind sozusagen „Ehrenworte“ ohne die Möglichkeit, diese bei Verletzung zu ahnden. In den meisten Fällen dienen sie eher der Imagepflege der beteiligten Unternehmen, die hier dann die „Nichts-zu-verbergen“-Logik nutzen, um sich möglichst öffentlichkeitswirksam darzustellen.

Was aber in diesem speziellen Fall viel wichtiger ist und die Absurdität des Ganzen noch betont ist die Tatsache, dass es um Rechtsverletzungen geht. Eine Tatsache, die nicht einmal der Bundesjustizminister verneint. Es stellt sich somit offen die Frage: Wozu eine Selbstverpflichtung? Um klarzustellen, dass man keine Gesetze bricht? Ist dies nicht selbstverständlich? Und wird es für jene, die die Gesetze brechen, überhaupt noch einen Unterschied darstellen, ob sie gegen ein Gesetz und eine Selbstverpflichtung oder lediglich gegen ein Gesetz verstoßen? Die Idee der Selbstverpflichtung erinnert hier etwas an die Dokumente, die man unterzeichnet, bevor man in die USA einreisen möchte. „Planen Sie einen Terroranschlag?“ lautet eine der Fragen sinngemäß. Derjenige, der dies plant, wird die Frage wohl kaum mit „Ja“ beantworten. Eine ähnliche Situation würde sich durch die Selbstverpflichtung ergeben.

So aber Wolfgang Schäuble wirklich davon ausgeht, dass eine Selbstverpflichtung der Unternehmen es verhindern würde, dass Datenmissbrauch betrieben wird, bleibt eine Frage offen: Könnte man die Vorratsdatenspeicherung dann nicht einfach ad acta legen, wenn jeder sich nunmehr kurz selbst verpflichtet, dass er keinerlei Taten begeht, die eine Vorratsdatenspeicherung notwendig machen? Auf diese Frage wird es aber wahrscheinlich keine Antwort geben. Und auch nicht auf die Frage, warum außer der Opposition niemand, weder bei den Strafverfolgern noch beim Bundesinnenministerium, die Frage nach der Datensparsamkeit in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung aufwirft.