Anne gegen den politischen Willen

Warum ein CDU-Politiker die Absetzung einer ARD-Moderatorin fordert

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Die ganz großen Quoten bleiben aus, aber an Skandalen mangelt es der ARD-Journalistin Anne Will nicht. Nach der letzten Ausstrahlung ihrer gleichnamigen Talkshow am Sonntagabend fordert der Berliner Oppositionsführer Friedbert Pflüger (CDU) nun sogar die Absetzung der Sendung, bei der es zuletzt um die Akzeptanz der Linkspartei ging. Sein Vorwurf: Will habe "mit aller Gewalt propagandistisch eine Linie vertreten". Die ARD-Leitung hält dagegen. Programmdirektor Günter Struve bezeichnete die Vorwürfe des Christdemokraten als "absurd". Der Disput sagt wenig über die Sendung, aber viel über die Streitkultur in Zeiten des (partei-)politischen Umbruchs aus.

"Alles auf rot - warum nicht mit der Linken?" Unter diesem Motto hatte Will am Sonntagabend unter anderem den Vorsitzenden der Linkspartei, Oskar Lafontaine, den bayrischen Ministerpräsidenten Günter Beckstein und den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), eingeladen

. Was Beckstein sofort in Rage brachte, sorgte am Folgetag für den Nachschlag Pflügers: In dem Einspielfilm hieß es, die amtierende rot-rote Regierung der Hauptstadt habe 60 Milliarden Euro Schulden von der vorherigen großen Koalition "geerbt". Doch dem nicht genug: "Dass man mit der Linkspartei erfolgreich Politik machen kann, das weiß der Chef der einzigen rot-roten Koalition in Deutschland", stellte Anne Will ihren Gast Wowereit vor.

Während dem Bayern Beckstein in der Debatte mit Lafontaine noch vor laufender Kamera der Kragen platzte ("Wer so saudumm daherredet …"), ging der Berliner CDU-Chef am Dienstag zur Attacke über. Wills Sendung zeichne sich "immer mehr durch Un- und Halbwahrheiten und bewusste Verzerrung von Sachverhalten aus", erklärte er über die BILD-Zeitung. Pflüger forderte deswegen den Rauswurf der Moderatorin, um an ihren Sendeplatz das Programm Hart, aber fair von Frank Plasberg zu setzen, der offenbar politisch den Schwarzen genehmer zu sein scheint als Will. Dafür werde er sich als Mitglied des rbb-Senderates einsetzen.

Folgen des Berliner Bankenskandals

Die zentrale Kritik Pflügers, der Ende 2006 in Ermangelung von eigenem Führungspersonal als Chef der Christdemokraten nach Berlin geschickt wurde, verdient eine Prüfung. Nicht mit 60 Milliarden Euro Schulden sei Berlin bei der Absetzung des letzten Regierenden Bürgermeisters der CDU, Eberhard Diepgen, im Jahr 2001 belastet gewesen. Damals hätte die Berliner Stadtkasse ein Soll von 38,5 Milliarden Euro aufgewiesen, sagte er. Formal stimmt das, doch die ARD hatte wenige Probleme zu kontern. Mit dem Wort "erben" habe man sich auf "die gesamten finanziellen "Altlasten" bezogen - etwa aus der Berliner Bankenkrise. Pflüger wusste, warum er den Hinweis auf diese Affäre geflissentlich überging. Denn sowohl die Absetzung Diepgens als auch die milliardenschwere Finanzkrise Berlins sind eine Folge potentiell krimineller Machenschaften der damaligen Hauptstadtregierung.

Unter Mitwirkung des damals führenden CDU-Politikers Klaus-Rüdiger Landowsky war 1993 eine landeseigene Bankgesellschaft gegründet worden. Als Holding war sie mit der Landesbank Berlin, der Berliner Hypotheken- und Pfandbriefbank und der Berliner Bank verbunden. Unter führender Beteiligung von Politikern der Regierungsparteien richtete die Bankgesellschaft Immobilienfonds zu enorm günstigen Konditionen ein. Dazu zählten nicht nur Laufzeiten von mehreren Jahrzehnten, sondern auch überdurchschnittliche Mietzinsgarantien - auch über Leerstände der Immobilien hinweg - und die Gewährleistung von Rückzahlungen.

Die Entscheidungsträger schanzten ihnen Freunden aus den eigenen Parteien sowie Familienmitgliedern zum Teil sogar noch günstigere Sonderfonds zu. Das Land Berlin trat in jedem Fall als Bürge ein. Im ersten Halbjahr 2001 dann kollabierte das System: Diepgen stürzte über die Affäre. Gegen die Verantwortlichen aus den Koalitionsparteien - vor allem der CDU - konnten jedoch keine erfolgreichen Ermittlungen durchgeführt werden. Der Kronzeuge eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses wurde tot im Berliner Grunewald aufgefunden, bei einer Einbruchsserie kamen zudem wohl wichtige Akten abhanden.

Rot-rot sanierte die Kassen

All dies spielte bei Anne Will keine Rolle. Der Hinweis auf die "erfolgreiche" Politik der seit damals regierenden rot-roten Koalition aber ist nachvollziehbar. Gegen den Widerstand sozialer Gruppen beschloss die damalige SPD-PDS-Koalition die Übernahme von Risiken aus dem mutmaßlich kriminellen Immobiliengeschäft des CDU-Manns Landowsky in Höhe von 21,6 Milliarden Euro. Ein Volksbegehren über die Entscheidung, wie sie damals von Basisgruppen gefordert wurde, fand nie statt. Die Klage einer Bürgerinitiative vor dem Landesverfassungsgericht wurde im Herbst 2005 abgeschmettert.

Mit einem rigiden Sparkurs bekamen die Sozialdemokraten und Sozialisten die geerbte Schuldenlast seither in den Griff. Die gelang vor allem durch die Streichung zahlreicher Sozialleistungen und der Ausdünnung des Netzes öffentlicher Einrichtungen und sozialer Organisationen. Seit 2007 muss Berlin keine neuen Schulden mehr aufnehmen, sondern erwirtschaftet sogar geringe Überschüsse.

Solche Fakten spielten in der Debatte bei "Anne Will" kaum eine Rolle. In der folgenden Diskussion über die Sendung fehlen sie völlig. Der CDU-Mann Pflüger echauffiert sich stattdessen über die implizite Kernthese Wills, die lautet: Auch bei der Linkspartei handelt es sich um eine System stabilisierende Kraft. Denn ihre Systemtreue hat sie gerade mit der Übernahme des enormen Schadens durch den Bankenskandal bewiesen. Auf dieser Basis war es für Parteichef Lafontaine ein Leichtes, den CSU-Mann Beckstein mit seinen Extremismus-Vorwürfen ins Leere laufen zu lassen. Sichtlich amüsiert verwies er auf "verfassungsfeindliche Bestrebungen" von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Verteidigungsminister Franz Josef Jung: "Die werden wir im Saarland beobachten müssen, wenn wir die Wahl gewinnen."

So stellt der Skandal um Anne Wills Sendung am Ende zwei politische Realitäten unter Beweis: Die Linkspartei ist als Kraft einer bürgerlichen Linken weiter auf Erfolgskurs. Und die Nerven bei manchen Vertretern ehemaliger Volksparteien liegen blank.