Die unendliche Fortsetzung der Besatzung?

Wie lange werden die US-Truppen im Irak bleiben und wie souverän ist der Irak?

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Wie geht es weiter mit den USA im Irak? Werden die amerikanischen Truppen noch Jahrzehnte bleiben? Oder ist die irakische Regierung stark genug (und willens), um auf die baldige Beendigung der Besatzung zu drängen? Wer ist der Souverän im Land? Wie groß ist der Einfluss Irans auf den Nachbarstaat und dessen Regierung? Und was ist, wenn der Konfrontationskurs zwischen den USA und Iran eskaliert? Diese Fragen stellen sich gewiss nicht zum ersten Mal, aber sie stellen sich augenblicklich in einer neuen Dringlichkeit: Bei den gegenwärtigen Verhandlungen zu einem neuen Abkommen über US-Militärstützpunkte im Irak (vgl. Abkommen über US-Militärstützpunkte im Irak)steht einiges auf dem Spiel.

Hintergrund für die bilateralen Verhandlungen zwischen den USA und Irak über das „Status of Forces Agreement (SOFA)“: Das UN-Mandat, das die Besatzung des Irak legitimiert, läuft Ende dieses Jahres aus und die Bush-Regierung will einen Großteil der US-Truppen weiter im Irak stationiert wissen, ohne Zeitbegrenzung, um die Sicherheit des Landes zu garantieren, so die offizielle Standardbegründung. Klar ist natürlich auch, dass geo-,sicherheits- und energiepolitische Strategien hier eine sehr wichtige Rolle spielen.

Alle Bilder: Pentagon

Seit die Verhandlungen begonnen haben, sorgen sie für Schlagzeilen. Verantwortlich sind dafür geheime Pläne, bzw. Vorschläge, Forderungen und Ansprüche von Seiten der Amerikaner, die in die Öffentlichkeit durchsickerten und für Entrüstung sorgten, weil sie ungehemmt amerikanische Interessen formulieren, ohne groß auf Empfindlichkeiten der Iraker zu achten.

So enthüllte der Independent letzte Woche Pläne der Amerikaner, wonach permanente Miltärbasen errichtet werden sollen und die US-Soldaten ungehindert - ohne eigens eingeholte Autorisierung von der irakischen Regierung – militärische Operationen durchführen können und Immunität vor dem irakischen Recht haben sollten. Da dies auch für die sogenannten Private Contractors gelten soll, ist dies ein heikler Punkt, denkt man nur an die Wut, die von Irakern (auch vom US-freundlichen Premier Maliki) im Zusammenhang mit den Blackwater-Schießereien geäußert wurde (vgl. Wiedergänger der Prätorianer?).

Nach Informationen, die aktuell von Parlamentariern aus den Reihen der schiitischen Regierungsparteien an die Öffentlichkeit gebracht wurden, wollen die USA ein Abkommen über „52 permanente Militärbasen“, also mehr als die etwa 30, die sie jetzt haben sollen. Und sie wollen ein deutliches Mitspracherecht darüber, welcher feindliche Akt als Aggression gegen den Irak verstanden werden soll. Die USA sollen sogar verlangt haben, dass sie es sind, die letztlich die Interpretationsmacht darüber haben, was als Angriff verstanden werden kann. Das weist natürlich Richtung Iran, der befreundete Nachbar Iraks und die Regionalmacht, mit der die USA auf Konfrontationskurs liegen. Von den Abgeordenten der größten schiitischen Partei ISCI (früher SCIRI)wird diese amerikanische Forderung kaum akzeptiert werden. Zu lesen war, dass Maliki seinerseits vereinbaren solle, dass die US-Truppen sich die Erlaubnis der irakischen Regierung für militärische Operationen einholen solle.

Den US-Vertretern dürfte diese Einschränkung zu weit gehen, sie wollen sich ihre Kontrollmöglichkeiten nicht beschränken lassen, was man allein an ihrer Forderung erkennt, welche die absolute Kontrolle über den irakischen Luftraum oberhalb c.a. 10.000 Meter beansprucht. Das Abkommen soll unbefristet gelten, aber nach zwei Jahren von einer der beiden Seiten kündbar.

Keine große Überaschung, dass sich angesichts dieser weitgefassten Kontrollmöglichkeiten und Machtansprüche, die sich die USA im Irak damit sichern wollen, die Vertreter des nominellen Souveräns, die politischen Mandatsträger des irakischen Volkes, wie z.B. Jalal al Din al-Saghir vom Islamic Supreme Council of Iraq gegenüber der McClatchy-Reporterin erbost zeigen:

The points that were put forth by the Americans were more abominable than the occupation. But now we are being asked to sign for our own occupation. That is why we have absolutely refused all that we have seen so far.

Auch wenn große Teile von ISCI das Abkommen in der derzeitigen Form lautstark ablehnen: Die Reaktion der Iraker ist nicht so koheränt, wie diese Entrüstung, die heute auch von der Washington Post zitiert wird, nahelegt: eine einheitliche Front gegen das Abkomen mit den USA existiert (noch?) nicht. Kommentatoren wie z.B. "Missing Link", der Übersetzer arabischer Öffentlichkeitsströmungen, unterscheiden zwei große Lager: Einmal die Vertreter der nationalen Haltung, die das unbedingte Ende der Besatzung fordert und über eine Verlängerung erst gar nicht verhandeln will – und das andere Lager: Premier Maliki - und einige Teile seiner Regierung, welche die Situation nicht so strikt lesen wollen und sich Vorteile von einem Deal mit den Amerikanern erhandeln wollen.

“Wir sind in der Lage unsere eigenen Probleme selbst zu lösen“

Repräsentanten des ersten Lagers sagten vergangenen Mittwoch vor dem amerikanischen Kongress aus und sorgten dort mit klaren Worten für Aufsehen. In einem Brief an die Führer des Kongresses heißt es:

The majority of Iraqi representatives strongly reject any military-security, economic, commercial, agricultural, investment or political agreement with the United States that is not linked to clear mechanisms that obligate the occupying American military forces to fully withdraw from Iraq

Unterzeichnet wurde der Brief laut Reuters von mehr als der Hälfte der irakischen Parlamentarier. Nadeem Al-Jaberi, der als Mitbegründer der schiitischen al-Fadhila-Partei, die vor allem in Basra mächtig, nicht zur irakischen Regierung gehört, traf mit seiner Frage den Zentralnerv der Kontroverse um das „Status of Forces Agreement (SOFA)“:

Was sind eigentlich die Bedrohungen, welche die Präsenz der amerikanische Streitkräfte fordern?

Al-Jaberi lieferte die Antwort selbst:

Ich freue mich, Ihnen mitzuteilen, dass es keine Bedrohungen für den Irak gibt. Wir sind in der Lage unsere eigenen Probleme selbst zu lösen.

Doch nicht nur die amerikanische Regierung und die Briten („die irakischen Sicherheitskräfte sind nicht soweit“) widersprechen einer solchen Auffassung, auch im politischen Establishment Iraks wird diese Meinung nicht von jedermann geteilt, allen voran zeigt sich Premier Maliki sehr bemüht, die Abhängigkeit Iraks von größeren Mächten realpolitisch auszutarieren. Zum einen verhandelt er mit den Amerkanern auf der Grundlage, dass sie noch länger bleiben werden, zum anderen reiste er vergangenes Wochenende zum befreundeten Nachbarn Iran, um dort wahrscheinlich nicht nur bloße Meinungen zum anstehenden Abkommen mit den USA einzuholen.

Dass sich iranische Führer, die natürlich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, um die andauernde Besatzung des Iraks durch westliche Truppen lauthals zu verurteilen, wie dies Khamenei tat, muss dabei nicht so viel heißen. Dass interessante Moment ist ja, wie die beiden großen Antagonisten USA und Irak auf diesem Spielfeld zusammenfinden und -arbeiten werden, denn das müssen sie in irgendeiner Weise, da die Amerikaner mit der Unterstützung der Regierungsparteien, insbesondere ISCI, genau auf jene Kräfte im Land setzen, die besonders freundschaftliche und enge Beziehungen zu Iran haben. Wie der neue US-Präsident mit dieser paradox anmutenden Hinterlassenschaft von Bush umgehen wird, gehört zu den spannenden Rätseln der künftigen US-Außenpolitik. Kaum vorstellbar allerdings, dass „der Neue“, egal wie er heißen mag, das Heft im Irak aus der Hand geben wird: Die uneingeschränkte Souveränität für den Irak wird es so schnell nicht geben.

Daran ändern auch die jüngsten Beteuerungen aus dem Pentagon nichts, wonach man erstens Iraks Soveränität respektiere, zweitens das Übereinkommen völlig transparent halte – dass es also keine Geheimabsprachen geben würde – und drittens, dass das Übereinkommen eine nationale Entscheidung der Iraker sein wird, dass es dem irakischen Parlament vorgelegt würde und es die Kammer passieren muss, um ratifiziert zu werden.

Nach den bisherigen Erfahrungen mit der Bush-Politik im Irak kann man davon ausgehen, dass nichts davon der Wahrheit entspricht und nichts, wie beschrieben, passieren wird. Dazu kommt, dass das irakische Parlament, wie etwa das Ölgesetz zeigt, dass zwischen den politischen Fronten festsitzt und nicht vorankommt, durchaus Unabhängigkeit beweisen kann. Die Regierung Bush wird also entweder einen Umweg finden (müssen) oder das Problem seinem Nachfolger hinterlassen.

Ein ranghohes amerikanisches Regierungsmitglied und Verhandlungsteilnehmer gab einstweilen gegenüber McClatchy (dessen Journalisten schon für Knight Ridder gutunterrichtete Berichte über den Irak verfasst haben) zu verstehen, dass es „sehr gut möglich“ sei, dass die USA das UN-Mandat zu verlängern versuchen.