Was kostet Guinea-Bissau?

Per Geheimabkommen wird Guinea-Bissau zur Brüssler Kolonie

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Am 17. Juli 2007, kurz nachdem Portugal die Ratspräsidentschaft von Deutschland übernommen hatte, informierte Carlos Durrant Pais, portugiesischer Vertreter im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSC), den Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung im Europäischen Parlament, dass die EU erwäge, eine Militärmission in dem kleinen Land Guinea-Bissau an der westafrikanischen Küste durchzuführen. Eine erste Erkundungsmission hatte bereits Anfang Mai 2007, also noch unter deutscher Ratspräsidentschaft, stattgefunden.

Auch die UN waren offensichtlich bereits informiert: Deren Büro in Guinea-Bissau hatte exakt zwei Wochen zuvor dem Generalsekretär einen Bericht vorgelegt, in dem von der Erkundungsmission die Rede ist und davon, dass die EU sich bei der Reform des Sicherheitssektors des Landes beteiligen will. Die UN überwacht dort die politische Stabilisierung nach einer Serie eher unblutiger Putsche, die wiederholt Joao Bernardo Vieira als Präsidenten hervorbrachten. Dieser wurde zuletzt 2005 gewählt und hatte nach innenpolitischen Spannungen im Frühjahr 2007 einen Stabilitätspakt mit der Opposition ausgehandelt und eine neue Regierung gebildet, Neuwahlen sind für 2008 vorgesehen. Im Vordergrund des UN-Berichts stehen die Konsolidierung des politischen Systems und die katastrophale wirtschaftliche Lage des Landes.

Karte: CIA

Armut als Sicherheitsrisiko

Guinea-Bissau hat etwa 1.5 Mio. Einwohner, die zu 82% in der Landwirtschaft – überwiegend auf Basis der Subsistenzwirtschaft – tätig sind. Es ist eines der fünf ärmsten Länder der Erde. Jedes zehnte Kind stirbt, und die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 47,5 Jahre. Nicht einmal jeder Zweite kann lesen und schreiben und viele sprechen die Amtssprache Portugiesisch nur rudimentär.

Der Außenhandel ist mit 133 Mio. US$ äußerst gering und besteht fast nur aus Fischereiprodukten und Nüssen, insbesondere Cashew-Nüssen. Im Jahr 2005 wuchs das BIP zwar um 4.5%, das Wachstum brach aber 2006 auf 1.8% ein, insbesondere, weil die Nachfrage nach Cashew-Nüssen sank und sich einige Exporteure aus dem Land zurückzogen. Die Rohstoffe, über die das Land verfügt, insbesondere Bauxit, können noch nicht in großem Maßstab rentabel abgebaut und exportiert werden. Die industrielle Infrastruktur wurde 1998 bei Gefechten zwischen Regierung und Opposition weitgehend zerstört und seit dem kaum wieder aufgebaut: Guinea-Bissau verfügt nur über knapp 1.000 km asphaltierte Straßen und einen einzigen Flughafen, auf dem große Frachtmaschinen starten und landen können.

Auch die Öl- und Gasvorkommen vor der Küste des Landes sind deshalb bislang unerschlossen. Guinea-Bissau hat das UN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) von 1982 unterschrieben und ratifiziert, und besitzt somit das Recht, den Meeresboden bis zu 350 Seemeilen in den Atlantik hinein auszubeuten. Das Land ist mit fast 1 Mrd. Euro verschuldet und kann diese Schulden regelmäßig nicht bedienen. Der Gesamthaushalt der Regierung beträgt nur knapp über 100 Mio. US$, weshalb deren Beamte und Angestellte oft Monate lang nicht ausbezahlt werden können. Seit der Regierungsneubildung haben die Arbeiterunruhen zwar nachgelassen, doch im Juni 2007 drohten die Gewerkschaften der Lehrer und der Angestellten im Gesundheitssektor erneut mit Streiks.

Doch die UN und insbesondere die EU machten sich im zweiten Halbjahr 2007 andere Sorgen. Bereits am 24. September 2006 waren von der Kriminalpolizei 670 kg Kokain beschlagnahmt worden, die anschließend verschwanden. Am 3. April 2007 waren zwei Soldaten erneut mit 635 kg Kokain erwischt, der Militärpolizei übergeben, aber anschließend wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten zeigten sich beunruhigt über die Sicherheitslage in der gesamten Region und vermuteten, dass sich Guinea-Bissau zum Umschlagplatz für Drogen aus Lateinamerika nach Europa entwickelt hätte.

Dies bestätigte das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) im Dezember 2007: 33 Tonnen Kokain seien seit 2005 in ganz Westafrika beschlagnahmt worden und dabei handele es sich nach Angaben des UNODC- Direktors „möglicherweise nur um die Spitze des Eisberges“.

Tatsächlich gelten Häfen in fragilen Staaten mit schlecht bezahlten und deshalb korrupten Sicherheitskräften mittlerweile als Bedrohung im Sinne der US-amerikanischen und europäischen Sicherheitsstrategien. Nicht nur, weil sie als Umschlagplatz für Drogen und Waffen dienen können, auch weil sie von undokumentierten Migranten und Piraten genutzt werden können und einen reibungslosen Ablauf des Welthandels beeinträchtigen.

25% ihres Öls wollen die USA zukünftig aus Afrika beziehen, eine Pipeline aus dem Tschad transportiert schon heute Öl an die Küste Kameruns, Pläne existieren, eine weitere aus dem Sudan an den Golf von Guinea zu verlegen. Deshalb bemühen sich auch die USA gegenwärtig um „die Förderung einer durch Regionalstaaten bereitgestellten Fähigkeit zur Überwachung des Seeraums vor Westafrika“. Dies betrifft zwar überwiegend die Länder südlich von Guinea-Bissau, dessen zerklüftete Küsten müssen aber die Tanker nach Europa wie auch die in die USA passieren, bevor sie auf den offenen Atlantik fahren.

Vorbereitungen zur Intervention

Am 31.Oktober 2007 konkretisierte das PSC gemeinsam mit Vertretern der EU-Mitgliedsstaaten die Pläne für einen EU-Militäreinsatz zur Reform des Sicherheitssektorreform in Guinea-Bissau, die noch unter portugiesischer Ratspräsidentschaft, also bis Ende des Jahres, beschlossen werden sollte.

Hierzu wurde eine weitere Erkundungsmission in das Land entsandt, die am 10. Dezember den EU-Verteidigungsministern im Rat Vorschläge zu Eckpunkten des Einsatzes vorlegte, welche „ohne Diskussion“ angenommen wurden: 12-15 Soldaten und Polizisten sollten ab März 2008 für zunächst ein Jahr nach Guinea-Bissau entsandt werden, um bei der Ausarbeitung einer nationalen Sicherheitsstrategie zu helfen, die dortige Armee umzustrukturieren, die Polizei bei Ermittlungen zu beraten und ihre Zusammenarbeit mit dem lokalen Büro von Interpol zu verbessern. Nachdem dies beschlossen wurde, erfolgte am 10. Januar 2008 eine offizielle Einladung durch die Regierung von Guinea-Bissau an die EU, eine Sicherheitssektorreform im Land durchzuführen. Diese wurde vom Rat der EU-Außen- und Verteidigungsminister am 12. Februar unter dem Namen EU SSR GUINEA-BISSAU beschlossen.

Am 5. Mai wurde vom PSC auf Vorschlag des EU-Außenbeauftragten Solana der spanische General Juan Esteban Verástegui als Oberkommandierender eingesetzt, ein Logistik-Experte, der bereits in Bosnien und Herzegowina, Guatemala und der DR Congo im Einsatz war und als Verbindungsoffizier zur NATO diente. Damit wurde endgültig besiegelt, was sich schon in der Vorbereitung durch das PSC und den EU-Militärstab andeutete, nämlich dass die Mission unter militärischem Kommando stattfinden wird. Nach Solana ist dies die erste Mission, welche alle drei Bereiche Polizei, Militär und Justiz gemeinsam umfasse. Bisher fanden bspw. in der DR Congo getrennte Missionen zur Reform der Armee und dem Aufbau neuer Polizeieinheiten statt.

Verástegui trat am 20. Mai vor die Presse und erläuterte die genaueren Ziele der Mission. Nach der Umstrukturierung solle die neue Armee Guinea-Bissaus über 2.000-2.500 Soldaten verfügen, nicht aber über schwere Geschütze oder gepanzerte Fahrzeuge. Dafür soll es zukünftig eine Gendarmerie geben, also schwer bewaffnete Polizeieinheiten, die auch unter militärischem Kommando eingesetzt werden können. Die Schutzpolizei soll zentralisiert und ein rechtlicher Rahmen für einen offiziellen Geheimdienst und Bereitschaftspolizei geschaffen werden. Auch die Ausbildung einer Justiz-Polizei wird erwogen, wohlgemerkt: all das soll unter militärischem Kommando erfolgen. Der Beginn der Mission war mittlerweile auf Anfang Juni verschoben worden, drei „Experten“ seien aber bereits im Land, um das Verteidigungsministerium zu beraten.

Das Abkommen

Erst am 10. Juni legte aber der Rat der Außen- und Verteidigungsminister seinen geheimen Vorschlag für ein Abkommen zwischen der EU und der Republik Guinea-Bissau über die Rechtsstellung der Mission vor. Dabei handelt es sich de facto um einen Besatzungsvertrag, der von einem souveränen Staat normalerweise allenfalls nach einer bedingungslosen Kapitulation unterschrieben würde.

Die Republik Guinea-Bissau soll dem Vertrag zur Folge auf nahezu alle souveränen Rechte gegenüber dem Personal der EU-Mission verzichten. Dieses ist rechtlich immun, unterliegt lediglich der Straf- und Disziplinargerichtsbarkeit des Entsendestaates und seine Fahrzeuge, Gebäude und Eigentum sind vor Durchsuchung, Beschlagnahme und Pfändung geschützt. Das Personal unterliegt „keinen Pass-, Zoll-, Visum- oder Einwanderungsvorschriften und keinerlei Einwanderungskontrollen“, außer für erbrachte Dienstleistungen ist es von allen Steuern und Abgaben befreit.

Guinea-Bissau und alle öffentlichen Bediensteten haben der EU-Mission „uneingeschränkte Unterstützung“ zu leisten und Zugang zu allen „Gebäuden, Anlagen, Örtlichkeiten und Dienstfahrzeugen, die der Aufsicht des Aufnahmestaats unterliegen“, sowie allen „Dokumenten, Material und Informationen, über die der Aufnahmestaat verfügt und die für das Mandat der EU SSR GUINEA-BISSAU von Bedeutung sind“, zu gewähren. Archive, Unterlagen und Korrespondenz der EU-Mission sind hingegen „unverletzlich“ und damit für die Behörden des Aufnahmelandes nicht einsehbar.

Auch für Mieten etc. muss das europäische Personal nicht aufkommen, „[d]er Aufnahmestaat stellt Anlagen im Besitz des Aufnahmestaats und Anlagen im Besitz juristischer Personen des Privatrechts soweit verfügbar kostenlos bereit, sofern diese Anlagen für administrative und operative Tätigkeiten der EU SSR GUINEA-BISSAU benötigt werden.“ Diese ist die Mission befugt, nach Belieben „entsprechend ihren operativen Erfordernissen zu errichten, zu verändern oder auf andere Weise umzugestalten.“ Sie ist außerdem befugt, „Funksende- und -empfangsanlagen sowie Satellitensysteme einzurichten und zu betreiben... Der Aufnahmestaat gewährt kostenfreien Zugang zum Frequenzspektrum.“

Ausdrücklich wird noch festgelegt, dass weder Personal noch die Mission selbst für Verluste „aufgrund von Maßnahmen in Verbindung mit zivilen Unruhen oder dem Schutz“ der Truppe haftbar gemacht werden können. Das Abkommen gilt, bis die EU es für beendet erklärt: „Dieses Abkommen tritt am Tag seiner Unterzeichnung in Kraft und bleibt bis zu dem Zeitpunkt in Kraft, zu dem die letzten Mitglieder des Personals der EU SSR GUINEA-BISSAU entsprechend einer Mitteilung der EU SSR GUINEA-BISSAU das Land verlassen.“

Dieser Abzug der EU-Soldaten und Polizisten wird aber absehbar auf sich warten lassen, ist es doch erklärte Absicht der EU-Mission, die Armee des Landes auf eine Größenordnung zu reduzieren, mit der sie nicht einmal gegen eine Miliz verteidigungsfähig ist. Insofern wird sich die EU dauerhaft als Schutzmacht im Land etablieren. Analysten haben die Vermutung geäußert, dass ein mittelfristiges Ziel der EU darin besteht, zumindest Satelliten- und Radaranlagen im Land zu installieren, andere denken gleich an eine größere EU-Militärbasis, die dauerhaft in Westafrika entstehen soll. Während die USA nach wie vor nach afrikanischen Kooperationspartnern suchen und ihr Hauptquartier für Militäreinsätze in Afrika (AfriCom) einstweilen provisorisch in Stuttgart eingerichtet haben, habe die EU schlicht ein kleines Land annektiert, wird in Brüssel gespottet.

Warum aber sollte Guinea-Bissau diesem Abkommen zustimmen? Vielleicht weil der Regierung die 19.5 Mio. Euro, die schon jetzt durch den Europäischen Entwicklungsfond für die Reform des Sicherheitssektors, also den Aufbau neuer Armee- und Polizeieinheiten, Justizgebäude und Gefängnisse, bereitgestellt wurden, attraktiv erscheinen. Vielleicht auch, weil EU-Vertreter unter der Hand weitere 100 Mio. Euro, ebenfalls aus dem Entwicklungsfond, in Aussicht gestellt haben. Das ist immerhin fast ein Jahreshaushalt.