PPP-Public Private Partnership oder Privat macht Public Pleite?

Korruptionsexperte Werner Rügemer zur Heuschrecken-Plage im öffentlichen Raum

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Korruptionsexperte Werner Rügemer deckte in seiner Bilanz "Privatisierung in Deutschland" zahlreiche fragwürdige Praktiken auf - eine vierte, aktualisierte Auflage brachte es jüngst hinsichtlich der Machenschaften von Bahn- und Treuhand auf den neuesten Stand. Sein neues Buch widmet er dem aktuell letzten Schrei der Privatisierer: den "Heuschrecken" im öffentlichen Raum. Thomas Barth sprach für Telepolis mit Werner Rügemer über die "Anatomie" des globalen Finanzinstruments Public Private Partnership.

Herr Rügemer, was ist das Besondere an der Public Private Partnership (PPP)?

Werner Rügemer: Bei der PPP, eingedeutscht auch ÖPP genannt, übernimmt ein privater Investor nicht nur wie bisher Sanierung oder Bau etwa einer Schule, eines Rathauses, eines Krankenhauses oder eines Gefängnisses, sondern auch Planung und Finanzierung sowie dazu gleich noch den langfristigen Betrieb. Die öffentliche Hand zahlt im Gegenzug 20-30 Jahre lang eine Miete.

Warum diese neue Konstruktion? Die Industrie lobt PPP in den höchsten Tönen.

Werner Rügemer: Nun, einmal ist die bisherige Praxis der Privatisierung durch Verkauf öffentlicher Einrichtungen nach desaströsen Erfahrungen, siehe Großbritannien, arg in Verruf gekommen. Andererseits will man den Anschein erwecken, die Staatsverschuldung in Grenzen halten zu können, indem man das mit immer neuen Steuererleichterungen aufgepäppelte Privatkapital für öffentliche Investitionen mobilisiert. New Labour unter Tony Blair entwickelte das Prinzip der Public Private Partnership, um die Privatisierungslinie von Thatcher in einer rosa gefärbten Light-Version fortsetzen zu können, und Schröder griff es hierzulande begeistert auf. Nun wird PPP in Deutschland und auch in der EU als neues Wundermittel gegen Staatsverschuldung und Investitionsstau gepriesen.

Die typische PPP ist tief eingestrickt in einen Dschungel von dubiosen Vertrags- und Finanzgeflechten

Aber wenn ein privater Investor die neue Schule baut, dann reduziert das doch tatsächlich die Staatsverschuldung und den Zinsdienst des Steuerzahlers, oder nicht?

Werner Rügemer: So erzählt es uns das Märchen der Privatisierer. Die Realität sieht anders aus. Die Zahlungsverpflichtungen des Steuerzahlers werden mindestens verdoppelt und die Schulden bleiben am Ende doch wieder am Staat hängen. Das läuft so: Die privaten Investoren der PPP-Projekte leihen sich einen Großteil der Investitionssumme bei Banken und müssen dafür Zinsen zahlen, aber wie jeder Vermieter zahlen sie diese Zinsen nicht selbst, sondern schlagen sie einfach auf die Miete oben drauf. Deshalb ist es ihnen auch egal, dass sie einen höheren Zins an die Bank zahlen müssen als die kreditwürdigere öffentliche Hand, wenn sie selbst den Kredit aufgenommen hätte. Ist nun der Staat weiterhin pleite, wozu auch die abnorm hohen Mieten der PPP-Projekte beitragen, so muss er die Mietzahlungen doch wieder über Kredite finanzieren und deren Zinslast noch dazu tragen.

Wie kommt es zu abnorm hohen Mieten? Arbeiten die Privaten nicht effizienter als der Staat?

Werner Rügemer: Die märchenhaften Effizienzgewinne bei PPP existieren nur in der Phantasie der Privatisierungsapostel aus Politik und Medien. Belegt werden sie mit Aussagen von jenen Experten der Privatwirtschaft, die zu den ersten Privatisierungs-Profiteuren gehören, den Beratern, Wirtschaftsprüfern, Kanzleien, die kräftig an jedem PPP mitverdienen.

Mietsteigernd wirken nicht zuletzt die enormen Kosten dieser Expertokratie, das heißt Kosten für Beratung, Begutachtung und einer aufwendigen Vertragsgestaltung, die den Privatinvestor vor jedem Risiko schützen soll. Dazu kommt der Aufwand für die Gründung von Projektgesellschaften, Tochter- und Subunternehmen in denen die Verantwortung solange hin- und hergeschoben werden kann, bis sie sich in Wohlgefallen auflöst. Die typische PPP ist tief eingestrickt in einen Dschungel von dubiosen Vertrags- und Finanzgeflechten. Ein Dschungel, der die von den Privatisierern gescholtene Staatsbürokratie oft weit in den Schatten stellt.

Teurer, nicht billiger

Wie sieht es konkret mit der PPP-Effizienz aus?

Werner Rügemer: Ein in meinem Buch ausführlich dokumentiertes Beispiel ist das Frankfurter Bildungszentrum Ostend (BZO). Die Oberbürgermeisterin der schwarz-grünen Rathauskoalition behauptete für den von 2005-2025 vereinbarten Mietvertrag einen Effizienzvorteil von 25 Prozent gegenüber der Eigenerbringung durch die Stadt. Anfangs zahlt die Mainmetropole 4 Mio. Euro jährlich, was sich gestaffelt bis auf 5,6 Mio. steigert, um 2025 das Zentrum für 11 Mio. zurück zu kaufen. Die Stadt zahlt also insgesamt 102 Mio. gegenüber 55 Mio. Euro Investitionen der privaten Betreiber.

Es zeigte sich, dass Effizienzgewinne vorliegen, aber solche, die der Betreiber zu Lasten der Staatskasse macht und vor allem zu Lasten der Lehrer und Schüler. Die Billigbauweise, die den Profit steigert, mindert den Nutzungswert, etwa wenn die Klassenräume teilweise bis fast zu einem Drittel kleiner sind als die Standardgröße (41 statt 60 qm). Eine Turnhalle wurde nicht gebaut, die könne man auswärts mieten. Eine Cafeteria gibt es, aber als Subunternehmen mit Gastronomiepreisen, die Schüler jedoch kaum zahlen können, weshalb seit mehr als zwei Jahren kein Pächter gefunden wurde. Die Stadt zahlte kräftig für den Bau von Parkplätzen, doch nur 24 davon sind kostenlos und 500 Lehrer staunen über 60 Euro Parkgebühren monatlich, die der Betreiber einstreichen will. Lebensgefährlich war das effiziente Einsparen der Fluchttreppen, die nach Rüge der Bauaufsicht dann doch nachgebessert werden mussten.

Wem ist das alles aufgefallen?

Werner Rügemer: Der Lehrergewerkschaft GEW, die gegen die PPP-Pläne erfolglos opponierte und ihre Mitglieder aufforderte, z.B. die Klassenräume nachzumessen, und dem städtischen Revisionsamt, dessen Revisionsbericht vom Stadtkämmerer aber seit 2006 geheim gehalten wird. Es sickerte jedoch durch, dass die Revisoren z.B. bemängelten, durch Billigbauweise wären die Heizkosten um 30 Prozent höher als bei sachgerechter Wärmedämmung. Insgesamt schätzt der Bericht, der Bau wäre bei Realisierung durch die Stadt um gut sechs Prozent günstiger gewesen, statt 25 Prozent teurer, wie von der Oberbürgermeisterin behauptet.

Ein Anwalt würde jedem Mieter bei solchen Mängeln eine sofortige Mietminderung anraten.

Werner Rügemer: Darum sind die Verträge bei PPP-Projekten so umfangreich und kompliziert: Die Investoren sichern sich in alle Richtungen dagegen ab, Verantwortung zu übernehmen. Die juristischen Tricks, mit denen sie nicht nur den gesunden Menschenverstand, sondern sogar das Bürgerliche Gesetzbuch umgehen können, betrachten sie als hochgeheime Betriebsgeheimnisse. Deshalb wissen nicht einmal die Parlamente, was genau in dieser sogenannten "Partnerschaft" vorgeht. Nur die unterzeichnenden Spitzenbeamten haben Einblick, ob sie auch den Durchblick haben, darf bezweifelt werden.

Die finanziellen Verpflichtungen des Staates und der Kommunen werden ohne demokratische Kontrolle an unbekannte Finanzakteure weiterverkauft

Was ist das fragwürdigste PPP-Projekt hierzulande?

Werner Rügemer: Extrem sozialschädlich für unsere Gesellschaft sind sicherlich die Privatisierungen im Schulbereich, da wird jungen Menschen durch die McDonaldisierung die Zukunft verbaut und unsere Sozial- und Bildungskultur flächendeckend verwahrlost. Aber das größte PPP-Einzelprojekt ist Toll Collect als Vorzeige-Privatisierung der rotgrünen Bundesregierung.

Ein Musterbeispiel für undemokratische Intransparenz: Das Vertragswerk zum Toll-Collect-Mautsystem umfasst gut 17.000 Seiten, die bis heute Betriebsgeheimnis der Privatinvestoren geblieben sind. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz fordert auf Basis des neuen Informationsfreiheitsgesetzes die Offenlegung. Die Regierung weigert sich, wegen der Betriebsgeheimnisse und der Firmenstruktur. Das Konsortium aus Telekom, Daimler und dem französischen Bauriesen Cofiroute hat als Vertragspartner der Bundesregierung die Toll Collect GmbH gegründet, die mit der hoheitlichen Aufgabe beliehen wurde. Die GmbH gründete aber eine Tochter Toll Collect GbR, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, als solche zu keinerlei Offenlegung verpflichtet, die mit der Ausführung des Vertrages beauftragt wurde und ihren Vertraulichkeitsanspruch für die Betriebsgeheimnisse geltend macht.

Die Bundesregierung versucht heute 5 Milliarden Euro an Einnahmeausfällen und Vertragsstrafe vom Betreiber einzuklagen, aber ein Teil der 17.000 Seiten legt für den Konfliktfall einen Ausschluss des ordentlichen Klageweges fest. Statt dessen soll nach US-Rechtsparadigma ein privates Schiedsgericht berufen werden, mit je einem Vertreter der beiden Seiten und einem "neutralen Dritten", auf den man sich einigen müsse.

Warum hört man so selten Kritik an Privatisierungen und PPP?

Werner Rügemer: Schwarzgelb wie Rotgrün vertreten heute das Privatisierungsparadigma, nur die Linkspartei opponiert und der Medienmainstream ist ebenfalls neoliberal geprägt. Der größte deutsche und europäische Medienkonzern Bertelsmann ist mit seiner Stiftung ein Hauptlobbyist für Privatisierungen und gerade auch PPP. Seine Medien von RTL bis "Stern" und "Spiegel" machen Stimmung für Privatisierung und seine Internet- und Logistikabteilung "Arvato", in der annähernd die Hälfte der 80.000 Mitarbeiter tätig ist, setzt PPP um. Im Buch stelle ich die PPP-Privatisierung der Stadtverwaltung von Würzburg dar, von Bertelsmann bzw. Arvato mit finanzieller Zurückhaltung, um nicht zu sagen gebremster Profitgier betrieben: Man will ein Pilotprojekt als Türöffner für einen Multi-Milliarden-Euro-Markt etablieren. Fragwürdig ist der Ansatz einer Privatisierung der Bürgerdaten allemal, Arvato handelt ohnehin mit unseren Daten, verwaltet sie im Auftrag der Telekom, der Deutschen Bahn, der Schufa usw. Bekannt wurde, dass der Würzburger eGovernment-Vertrag zwar die PPP-typische Klausel für ein privates Schiedsgericht enthält, aber keine Angaben für einen besonders garantierten Datenschutz.

Auch Toll Collect bekam ja einen Big Brother Award. In Ihrem Buch sprechen Sie von einer Tendenz der Privatisierer bzw. der PPP-Projekte, der Demokratie mit Verachtung gegenüber zu stehen. Warum?

Werner Rügemer: Vor allem wegen der undemokratischen Intransparenz, mit der hoheitliche Aufgaben privaten Investoren übergeben werden, mit der unsere Daseinsvorsorge, unsere persönlichen Daten unsere Grundrechte auf Leben, Gesundheit, Bildung verkauft werden. Die PPP-Investoren verbergen sich hinter anonymen, verwinkelten Rechtskonstruktionen, ihre Geldflüsse und internen Effizienzgewinne sollen geheim bleiben. Die finanziellen Verpflichtungen des Staates und der Kommunen werden ohne demokratische Kontrolle an unbekannte Finanzakteure weiterverkauft. Der Staat geht langfristige Verpflichtungen ein, die den Bürgern sowieso, aber selbst den Parlamenten verheimlicht werden. Solche Praktiken sind einer Demokratie unwürdig.

Werner Rügemer: "Heuschrecken" im öffentlichen Raum. Public Private Partnership - Anatomie eines globalen Finanzinstruments. transcript Verlag, 2008.