Chatrooms sind kein rechtsfreier Raum

Erstmals wurde in Deutschland wegen Verbreitung von Aufrufen zum Heiligen Krieg im Internet ein Urteil gesprochen

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Wegen „Werbung für eine ausländische terroristische Vereinigung" verhängte das Oberlandesgericht Celle am Donnerstag eine Haftstrafe von 3 Jahren gegen den im Irak geborenen Ibrahim R. Der 37jährige Mann wurde beschuldigt, von seinen Wohnort im niedersächsischen Georgsmarienhütte bei Osnabrück unter anderem Reden von Osama Bin Laden und dessen Stellvertreter Aiman al-Sawahiri ins Internet gestellt zu haben. In diesen werde so die Anklagebehörde terroristische Anschläge gerechtfertigt und verherrlicht. R. sitzt seit Herbst 2006 in Untersuchungshaft.

Mit dem Urteil blieb das Gericht im Strafmaß nur unwesentlich unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft, die eine Haftstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten gefordert hatte. Die Verteidigung hatte einen Freispruch gefordert. Sie warf der Anklagebehörde vor, nicht konkrete Taten, sondern die Gesinnung ihres Mandanten zu bestrafen. Dass R. Werbung für eine terroristische Vereinigung machen wollte, wies der Pflichtverteidiger Klaus Rüther mit dem Argument zurück, der fragliche Chatroom Al-Ansar, in dem ihr Mandant kommunizierte und die Texte verbreitete, werde ausschließlich von Gesinnungsgenossen frequentiert.

Angeklagter berief sich auf Meinungsfreiheit

Der Angeklagte, der in dem Prozess lange Zeit geschwiegen hatte, äußerte sich wenige Tage vor der Urteilsverkündigung erstmals zu den Vorwürfen. Er gab zu, vier Reden von Al-Qaida-Mitgliedern ins Netz gestellt zu haben. Allerdings will er damit nicht für eine terroristische Organisation geworben haben.

Ansonsten gab sich R. in seinem Statement kämpferisch. Er habe in Deutschland den gleichen Terror und dieselben Ungerechtigkeit erfahren, wegen derer er aus seiner Heimat geflohen sei, so der Angeklagte. Sein einziges Verbrechen sei es gewesen, an die Demokratie und Meinungsfreiheit in Deutschland geglaubt zu haben. Er werde als Terrorist betrachtet und behandelt, weil er Reden und Videos ins Internet gestellt habe, die alt seien und bereits im weltweiten Netz gestanden hätten.

Diese von wenig Schuldbewusstsein geprägten Einlassungen haben sicherlich das Urteil beeinflusst. In der Begründung betonte Richter Wolfgang Siolek, dass die R. zur Last gelegten Anklagepunkte weit über eine straffreie Sympathiebekundung für Al-Qaida hinaus gingen. Siolek verwies darauf, dass R. die Reden von Bin Laden und al-Sawahiri nicht nur ins Internet gestellt, sondern sie auch kommentiert habe. Al-Qaida-Anführer habe er als seine Brüder beschrieben. Damit sei der Angeklagte als "uneinsichtiger fanatischer Kämpfer" für eine extremistische Ideologie aufgetreten, so Siolek. Oberstaatsanwalt Peter Ernst von der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe nannte das Urteil einen „Wegweiser dafür, dass man sich auch auf Seiten der Islamisten nicht straffrei im Internet bewegen darf".

Die Verteidigung wird wahrscheinlich in Berufung gehen. Dafür gäbe es mehrere Anhaltspunkte. Schon im Vorfeld hatten Juristen moniert, auf welche Weise die Ermittlungsbehörden Kenntnis über die Aktivitäten von R. bekommen haben. Gegen ihn wurde schon im Jahr 2005 wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen islamistischen Vereinigung ermittelt. Bei einer Razzia fanden die Ermittler Anhaltspunkte für R.s Aktivitäten im Internet. Daraufhin wurde er ein Jahr lang überwacht. Die Maßnahme erfolgte nach den Bestimmungen des niedersächsischen Polizeigesetzes, das später vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt wurde (Kein Freibrief für Überwachungen).

Die gegensätzlichen Einlassungen zu dem Urteil sind schon abzusehen. Während die Befürworter der präventiven Überwachung darauf verweisen werden, dass die Aktivitäten von R. damit erst gerichtsverwertbar ermittelt werden konnten, werden die Gegner die Frage stellen, ob sie durch eine später als verfassungswidrig erklärte Maßnahme überhaupt im Prozess verwendet werden können.

Unterschiedliche Rechtsauffassungen

„Das Urteil gegen R. wurde auch deshalb mit Spannung erwartet, weil ein Freispruch des Angeklagten so unwahrscheinlich nicht war. „Der Iraker hatte im Internet Qaida-Propaganda verbreitet, selbst aber wohl keine Beziehungen zu Terroristen. Reicht das, um wegen "Anwerbung von Mitgliedern oder Unterstützern al-Qaidas" verurteilt zu werden?", fragte etwa der Spiegel.

Die Anklageschrift gegen R. hatte bereits für Dissens zwischen dem Bundesgerichtshof und der Generalbundesanwaltschaft geführt. So zitierte der Spiegel aus einem Schriftverkehr zwischen beiden Behörden. Dort hieß es, dass nach der Neufassung des Paragrafen 129a des Strafgesetzbuches im Jahr 2002 ein „Werben, das nicht auf personellen Zuwachs“ für eine Organisation, sondern als allgemeine „Sympathiewerbung“ gedacht ist, nicht mehr von diesem Tatbestand erfasst wird. "Nach bisheriger Erkenntnis wird in den dem Beschuldigten zugerechneten Texten nur allgemein zum Dschihad“ aufgerufen, so der BGH. Eine Werbung für eine Organisation sei „nicht unmittelbar zu erkennen“. R.'s Anwalt Klaus Rüther erwartete damals eine Aufhebung des Haftbefehls gegen seinen Mandanten.

Unabhängig vom Bestand des Urteils dürfte es im In- und Ausland bald weitere Verfahren wegen Werbung für islamistische Organisationen via Internet geben. In Wien wurde der Vorsitzende der Islamischen Jugend Österreichs (IJÖ) Mohammed Mahmud ebenfalls wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Auch er wird beschuldigt, Al-Qaida-Erklärungen und –Videos ins Netz gestellt zu haben. Auch gegen sein Urteil läuft die Berufung.