Rapunzel-Diät statt Macht-Kontrolle

Die Feminisierung des Journalismus trifft auf dessen Niedergang

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Zuerst die gute Nachricht: Die Emanzipation schreitet auch im Berufsfeld des Journalismus voran. Laut Michael Haller, Journalistik-Professor in Leipzig, lassen sich erstmals deutlich mehr Frauen ausbilden als Männer. Der Journalismus wird - wenn auch langsam - feminisiert, so das Urteil des Branchenmagazins Journalist. Jetzt die schlechte Nachricht: Sozialwissenschaftlich bedeutet eine „Verweiblichung“ einer Berufssparte, dieser Beruf ist auf dem absteigenden Ast.

Berufe haben ebenso wie soziale Klassen oder andere soziale Formationen eine „Laufbahn“. Sie unterliegen dem sozialen und technischen Wandel. Manche Berufe wie zum Beispiel derzeit der IT-Ingenieur sind im Aufstieg begriffen, sie werden nachgefragt und sind überdurchschnittlich bezahlt. Andere Berufe sind im Niedergang begriffen, zum Beispiel der des Elektroingenieurs, der sich bisher vor allem mit analoger Kommunikationstechnik beschäftigte - Siemens hat hier gerade eine Entlassungswelle angekündigt. Andere Berufe wie etwa der des Schriftsetzers sind technisch überholt und sterben schließlich aus.

Mit diesen Auf- und Abwärtsbewegungen von Berufen verbunden ist die Zusammensetzung der Berufsausübenden nach Geschlecht und die Sozialwissenschaft fasst dies unter dem Begriff der „Verweiblichung“ von Berufen. Dies meint, dass bei Berufen, die im Niedergang begriffen sind, die Männer bei der Berufswahl auf attraktivere Positionen ausweichen und Frauen nun in die freigewordenen Positionen des gesellschaftlich absteigenden Berufszweiges nachrücken. Die Entwicklung vom Sekretär zur Sekretärin spiegelt dies etwa wider.

Im Journalismus beträgt der Frauenanteil in Deutschland laut „Journalist“ derzeit 37 Prozent, in Österreich gar bei 42 Prozent. Damit ist freilich der durchschnittliche Journalist immer noch männlich, und dies umso mehr, je höher man in den Hierarchien sich umblickt. Denn im Journalismus ist Beruf und Familie beziehungsweise Kindererziehung gerade für Frauen noch immer schwer zu vereinbaren.

Trotzdem ist die Feminisierung des Berufszweiges deutlich, der Frauenanteil bei der Ausbildung wächst und bei den Volontären stellen die Frauen laut „Journalist“ schon seit Jahren die Hälfte.1 „Die Mehrheit der Berufseinsteiger ist weiblich“, lautet auch aktuell die Botschaft des Journalistikprofessors Michael Haller in der Fachzeitschrift Message2. Und in einer Studie des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft in Leipzig über die Zukunft des Journalismus von 2005 war eines der Ergebnisse: Über 70 Prozent der befragten Journalisten/innen gehen davon aus, dass der Anteil der Frauen im Journalismus stark ansteigen wird. Und sie sehen einen deutlichen Funktionswandel: Die Aufgabe der Journalisten, Kritik und Kontrolle zu üben, verliert an Bedeutung. Wichtiger wird es, eine Rundum-Orientierung sowie Lebenshilfe und Nutzwert zu geben.

Dieser Funktionswandel des Journalismus kann als eine der Ursachen für den Niedergang der „bedrohten Profession“ wie es in der Studie heißt, angesehen werden. Noch mal zur Verdeutlichung: Der Niedergang eines Berufes hat nichts damit zu tun, dass Frauen womöglich schlechter recherchieren oder schreiben als Männer, sondern der Frauenanteil ist ein Indikator für eine gewandelte gesellschaftliche Beurteilung.

Dieser Wandel wiederum lässt sich an massiven aktuellen Tendenzen der Deprofessionalisierung und Deklassierung des Journalismus fest machen: Verlage verlassen die Tarifgebundenheit, ganze Redaktionsteile werden ausgegliedert und zu externe Dienstleister verlagert, Redakteure in Tochtergesellschaften ohne Tarifbindung verschoben. „Billig und gut“, so ein Chefredakteur einer süddeutschen Lokalzeitung, solle der Journalist künftig sein und das was er herstellt, ist längst zum „Content“ degradiert.

Die Abwertung der Wertschätzung des Intellektuellen und des kritischen Journalisten

Man kann diese Abwertung eines Berufsfeldes aber auch in einen größeren Zusammenhang stellen und ihn generell mit der Abwertung des Intellektuellen seit dem Ende der Systemkonkurrenz in Verbindung bringen. Zur Erinnerung: Dieser Intellektuelle stand zu Zeiten des Kalten Krieges hoch im Kurs. Sowohl die CIA als auch Ostberlin umwarben Künstler, Schriftsteller, Maler und Publizisten mit Geld, Jobs, Publikationsmöglichkeiten, Ehrungen. So erblickte 1948 die deutsche Zeitschrift „Der Monat“ das Licht der Welt, ein monatlich erscheinendes Magazin, das eine ideologische Brücke zwischen deutschen und amerikanischen Intellektuellen schlagen sollte mit dem Ziel, „größere Teile der deutschen Bildungsschicht dem kommunistischen Einfluß zu entlocken“.3

Finanziert wurde der Monat aus „vertraulichen Fonds“ des Marshallplans und danach von der CIA. Die Zeitschrift existierte bis 1971. Ähnlich die Zeitschrift „Encounter“. Das Magazin war 1953 gegründet worden und war das englischsprachige Gegenstück des deutschen „Monats“. Finanziert wurde die Kulturzeitschrift vom britischen Geheimdienst und der CIA:

In der Washingtoner CIA-Zentrale wurde der Encounter gleichwohl stolz als ‚Flaggschiff’ betrachtet, das auf beispielhafte Weise die Vorstellung einer durch den Atlantik verbundenen, nicht getrennten kulturellen Gemeinschaft transportiere. Manche CIA-Agenten benutzten ihn sogar als eine Art Visitenkarte.

Saunders, F.: Wer die Zeche zahlt…Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg

Der Encounter war auch das „Flaggschiff“ des „Kongresses für kulturelle Freiheit“, der 1950 in Berlin gegründet wurde und europäische Intellektuelle um sich versammelte.

Sein Auftrag war es, der westeuropäischen Intelligenz allmählich ihre latente Sympathie für den Marxismus und Kommunismus auszutreiben, um sie so nach und nach an den American Way heranzuführen.

Saunders

Der Kongress war auch das „Kernstück“ eines geheimen Programms der US-Regierung, das der „kulturellen Propaganda in Westeuropa diente“. Ein wesentliches Element dieses Programms bestand in der Verschleierung, also darin, „die Beteuerung der Regierung, kein derartiges Programm zu unterhalten, nach außen hin glaubhaft zu machen“.

Hintergrund war die Einsicht, dass die Atombombe und das atomare Gleichgewicht das Verhältnis von „friedlichen“ und „kriegsähnlichen“ Methoden verändern werde. Der Kalte Krieg war, so verstanden, ein psychologischer Machtkampf, in dem um die Herzen und Köpfe der Menschen gerungen wurde und indem die Propaganda die gegnerische Position untergraben sollte. Als geeignetste Waffe hatte man dabei die Kultur auserkoren: „Der Kalte Krieg in der Kultur hatte begonnen.“ In der Folge flossen geheime Geldströme über diverse Kanäle nach Westeuropa:

Ob es ihnen gefiel oder nicht, ob es ihnen bewusst war oder nicht: Es gab nach dem Krieg in Europa nur wenige Schriftsteller, Dichter, Künstler, Historiker, Naturwissenschaftler oder Kritiker, deren Namen nicht auf irgendeine Weise mit diesem geheimen Projekt in Verbindung zu bringen sind. Ungehindert und unentdeckt konnte Amerikas Spionagenetzwerk im Westen über zwanzig Jahre lang eine höchst ausgefeilte, stark subventionierte kulturelle Schlacht führen – eine Schlacht für den Westen, und das im Namen der Meinungsfreiheit.

Saunders

Und was für den Westen galt, galt auch für den Osten: Über die DKP finanzierte Ostberlin eine ganze Reihe von Zeitschriften, Verlagen und sponserte Künstler.

Mindestens seit dem Fall der Mauer und dem Ende der Systemkonkurrenz ist diese Wertschätzung des Intellektuellen und damit auch des kritischen Journalisten ähnlich nach unten gegangen wie die Aktienkurse im Crash des Jahres 2000. „Man kann schreiben was man will, den Mächtigen ist es einfach wurst“, sagte sinngemäß Seymour Myron Hersh, das „Urgestein“ des kritischen Journalismus in den USA.

Es ist freilich klar, dass eine Abwertung des Journalismus nicht ohne eine Abwertung der Demokratie möglich ist. Der Journalist und die Journalistin produzieren ja sozusagen das Lebenselixier dieser Demokratie: Sie stellen eine kritische Öffentlichkeit her, wodurch der Bürger sich eine Meinung bilden und politisch urteilen und handeln kann. Verzichtbar ist derartiges freilich in Diktaturen, Autokratien, Oligarchien und Plutokratien. Dass Journalisten eine Abnahme der Kontrolle von Politik, Macht und Herrschaft durch eine kritische Öffentlichkeit erwarten und stattdessen Ratgeber und Lebenshilfen wie die neueste Rapunzel-Diät oder die Ranking-Liste der besten Privat-Unis am Horizont aufsteigen sehen, macht sowohl den möglichen Stellenwert des künftigen Journalismus wie den der Demokratie deutlich.