Strafvereitelung im Amt?

Der Umgang der Polizeibehörden mit Autokorsos und Hupkonzerten steht rechtlich auf wackligen Beinen

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In ihren täglichen Berichten vermeldete die Münchner Polizei, dass jene Areale, deren Anwohner sich seit dem Beginn der Fußball-Europameisterschaft immer länger andauernden Lärmbelästigungen ausgesetzt sehen, schon vor dem Abpfiff der Begegnungen von der Polizei abgesperrt wurden. Die vermeintlich belanglosen Minuten zwischen Spielende und Beginn der "Jubelfeiern" sind rechtlich durchaus von Bedeutung: Mit ihnen gibt die Polizei zu, dass sie nicht auf "spontane" Versammlungen reagiert, sondern diese – wenn man so will - mit vorbereitet.

Auf die Rechtsgrundlage für diese Maßnahme angesprochen, beruft sich Dieter Gröbner von der Pressestelle des Polizeipräsidiums München auf eine "atypische Maßnahme" nach dem Polizeiaufgabengesetz (PAG) zur "Abwehr einer Gefahr". Worin diese Gefahr genau besteht, kann Gröbner allerdings nicht spontan sagen und will stattdessen wissen, "warum das den Heise Verlag überhaupt interessiert."

Bild: tz 17.6.2008

Hätte Gröbner an diesem Morgen die Nachrichten des Bayerischen Rundfunks gehört, wäre er möglicherweise weniger verlegen um eine Antwort gewesen: Dort war unter anderem von Verletzten durch Bierflaschenwürfe und zahlreichen Sachbeschädigungen an geparkten Autos die Rede. Anwohner beklagen sich seit Beginn des Fußballspektakels zudem über den Lärm, der im Falle des nicht nur nach § 16 der Straßenverkehrsordnung strikt verbotenen "Hupkonzerts" auch eine Straftat sein könnte.

Hinzu kommt, dass auch ein Autokorso rechtlich als Demonstration gewertet wird, und damit anmeldepflichtig ist. Bei anderen nicht angemeldeten Demonstrationen werden im Allgemeinen "Rädelsführer" ermittelt und wegen Verstößen gegen das Demonstrationsrecht zur Rechenschaft gezogen, was mit durchaus empfindlichen Strafen bewehrt ist: Schon ein nicht mitgeführter und nicht verlesener Auflagenbescheid wurde von Münchner Gerichten mit 110 Tagessätzen geahndet.

Gröbner aber beruft sich darauf, dass die Veranstalter nicht ermittelt werden könnten. "Sollen wir vielleicht", so der Pressesprecher, "den nehmen, der ganz am Anfang fährt?" Auf die Frage, was genau denn gegen solch ein Vorgehen spreche, kann er lediglich vorbringen, dass es sich um "spontane Jubelfeiern" handeln würde, die gar nicht angemeldet werden müssten – Demonstrationsrecht hin oder her.

Endgültig die Fassung verloren zu haben scheint der Polizeimitarbeiter (der der Auskunft einer Kollegin zufolge an diesem Morgen später als gewöhnlich zum Dienst erschien) aber bei der Frage, wer denn genau das Vorgehen anordnen würde und ob es schon Anzeigen gegen Unbekannt hinsichtlich § 258 a StGB (Strafvereitelung im Amt) gab. In jedem Fall legt er den Hörer auf, ohne die Frage zu beantworten.

Was Gröbner möglicherweise überfordert, ist der in solchen Ereignissen zutage tretende Graben zwischen theoretischer Rechts- und praktischer Behördenwirklichkeit. Machen Bürger auf die Rechtslage aufmerksam, führt dies zwar in den seltensten Fällen zur Abhilfe – aber es sorgt (solange die Eingaben schriftlich vorgenommen und beharrlich fortgeführt werden) dafür, dass sich Beamte und Staatsanwälte Begründungen überlegen müssen, von denen sie oft selbst am besten wissen, dass sie einer ernsthaften juristischen Überprüfung nicht standhalten würden. Und wer weiß - vielleicht ringt sich in Zukunft ein leidgeplagter Anwohner tatsächlich einmal dazu durch, den Rechtsweg ohne Rücksicht auf Mühen und Kosten bis ganz nach Oben zu durchschreiten: Denn mit den vorauseilenden Vorbereitungen der Polizei schaffen die Verantwortlichen eine Situation, in der Gesetzesverstöße nicht eingedämmt oder auch nur auf dem Status Quo gehalten werden, sondern in der - im Gegenteil - ein Wettbewerb zwischen den Nationalitäten entsteht, noch lauter und länger zu randalieren als alle anderen. Und so dreht sich die Lärmspirale mit jedem Großereignis ein weiteres Stück nach oben.