Urheberrecht schlägt den Raab

Was Eltern dem Landgericht München I zufolge ganz selbstverständlich erkennen müssten, war für Fernsehjuristen offenbar eine zu harte Nuss

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Wie aus einem jetzt schriftlich vorliegenden Urteil des Bundesgerichtshofs hervorgeht, hat Stefan Raabs Produktionsfirma eine 20 Sekunden lange Filmsequenz der HR-Regionalsendung "Landparty in Hüttenberg" in einer TV-Total-Sendung widerrechtlich verwendet und muss deshalb Lizenzgebühren nachzahlen.

Die von Raabs Sender ProSieben am 4. September 2001 ausgestrahlte Sequenz lässt interessante Einblicke darin zu, wie öffentlich-rechtliche Anstalten ihre Gebühren verwenden: Ein vom Hessischen Rundfunk bezahlter Mann mit Mikrofon fordert darin eine ihm offenbar fremde Frau zum "Spontanjodeln" auf. Diese hatte vorher ihrer "Spontaneität" bei zehn möglichen Punkten die Werte neun oder zehn gegeben. Danach versteht sie offenbar das vom Gebührenverbrenner geäußerte "drei, vier, …" nicht als Signal, mit dem von ihm geforderten "Spontanjodeln" zu beginnen, sondern als erneute Einstufungsaufforderung und antwortet darauf mit "drei".

Die auf die erneute Ausstrahlung bei Raab folgende Klage der Verwertungsgesellschaft des HR gründete sich nicht auf Persönlichkeitsrechte der im Clip gezeigten Frau, sondern auf Urheberrechte des Senders und seiner Mitarbeiter. Der BGH verneinte in seiner Entscheidung, dass Raab aus der Sequenz ein "selbständiges Werk" schuf. Erkenntlich sei dies unter anderem am mangelnden Kritik-, Parodie- oder Karikaturaufwand. Auch die Einstufung des HR-Clips als "aktuelles Tagesereignis" und dessen Verwendung als "Berichterstattung" lehnte das Gericht ab.

Das sich für Raab aus dem Urteil ergebende Hauptproblem dürfte jedoch nicht die verhältnismäßig geringe Lizenzgebühr in Höhe von 1278,23 Euro sein, zu deren Zahlung seine Produktionsfirma verurteilt wurde, sondern die Klagewelle, die wahrscheinlich auf die BGH-Entscheidung folgt: Das Sendekonzept des ehemaligen Metzgers bestand darin, peinliche Auftritte aus anderen Programmen zu sammeln und mit meist wenig mehr als einer Standardansage wie vom billigen Jakob ("Seh'n Sie sich das an, meine Damen und Herren!") oder ein paar "komischen" elektronisch erzeugten Geräuschen ein- oder mehrmals abzuspielen. Alles in Allem war sein Verfahren meist nur wenig aufwändiger als das schadenfreudige "Ha-Ha" des Simpsons-Fingerzeigerbullys Nelson Muntz.

Deshalb werden wahrscheinlich auch zahlreiche andere Produzenten und Sender das Urteil nutzen, um eigene Ansprüche geltend zu machen, deren Chancen nun in sehr vielen Fällen nicht schlecht stehen. Selbst das Sendekonzept ist nach der BGH-Begründung möglicherweise nicht mehr haltbar: Raab selbst ließ es bereits seit geraumer Zeit in Richtung 70er Jahre Showunterhaltung und Spiel ohne Grenzen verändern.

Kaum Probleme dürfte dagegen Raabs Konkurrent Oliver Kalkofe bekommen: Er analysiert die von ihm verwendeten Clips meist mit einer Detailfreude, wie sie sonst nur in Sendungen wie "1000 Meisterwerke aus den großen Museen der Kunst" zu finden ist – zudem nutzt er sie meist auch noch dazu, Szenen verkleidet nach- oder weiterzuspielen.

Interessant wird das BGH-Urteil über die Raab-Show aber auch dann, wenn man es zusammen mit einem am Mittwoch bekannt gewordenen Urteil des Landgerichts München I liest: Darin hatten die Richter die Eltern eines Teenagers in Störerhaftung genommen, weil das Mädchen für einen selbst gebastelten Film urheberrechtlich geschützte Fotos aus dem Internet verwendet hatte. Das Landgericht hatte in seinem Urteil eine Aufklärungs- und Überwachungspflicht der Eltern konstatiert, die sich dem Sachverhalt zufolge nicht nur auf mit einiger Wahrscheinlichkeit urheberrechtlich gesehen gefährliche Handlungen wie das Herunterladen von Chartsalben oder aktuellen Kinofilmen in Tauschbörsen erstreckt, sondern auch auf das schöpferische Handeln von Kindern.

Inwieweit solch ein Aufsichtsmaß "verständigen Eltern" noch zumutbar sein kann, ist allerdings aus der Natur der Sache heraus fraglich: Denn wie gerade das Raab-Urteil zeigt, überfordert die Entscheidung, ob, wann, wie und in welcher Weise vorhandenes Material als Zutat für eigene Werke verwendet werden kann, nicht nur Kinder, sondern auch die meisten Erwachsenen. In jährlich Tausenden von Zivilverfahren, in denen sich Künstler und Medienkonzerne gegenseitig verklagen, wird gerichtlich in teils jahrelanger Abwägung und mittels aufwändiger Expertengutachten im Einzelfall entschieden, was in solchen Fällen erlaubt ist und was nicht. Vorwürfe wegen angeblicher Verstöße gegen das Urheberrecht bei der Schöpfung eigener Werke gab es in den letzten Jahren unter anderem gegen Peter Scholl-Latour, die Tannöd-Autorin Andrea Maria Schenkel, Dieter Bohlen, Dan Brown, die CSU und einen Münchner Mathematikprofessor.

Eine Konsequenz aus der aktuellen Rechtsprechung des Landgerichts München I wäre deshalb, dass Eltern jedes kreative Handeln ihrer Kinder im Zusammenhang mit dem Einstellen in das Internet verbieten müssten - denn auch bei gezeichneten Figuren oder Geschichten können sehr leicht Verletzungen von Immaterialgüterrechten geltend gemacht werden.