Wir stehen vor Ihrer Tür. Wo sind Sie?

Innenminister Schäuble plädiert weiterhin für ein zentrales Melderegister und bedient sich dabei ähnlicher Rhetorik wie die österreichischen Politiker. Bei näherer Betrachtung dieser Argumentation mal wieder ein schönes Beispiel für Rabulistik

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Ein zentrales Melderegister wäre laut Innenminister Dr. Wolfgang Schäuble dringend notwendig. Nur so sei ein effizienterer und wirtschaftlicher Vollzug möglich. Dass nunmehr der Bund für die Meldeangelegenheiten zuständig ist, hat die Föderalismusreform I ermöglicht. Wenn es nach dem Innenminister geht, so sollen mindestens 27 Daten über jede Person gespeichert werden, darunter das Geschlecht, die Religionszugehörigkeit, der Familienstand sowie die Steueridentifikationsnummer die jeder Steuerpflichtige sein Leben lang behält, Pass- und Ausweisdaten (allerdings ohne biometrische Merkmale). Vorbeugend wird schon darauf hingewiesen, dass es zu einem Anwachsen auf ca. 60 Daten kommen kann. Die Liste dieser „möglicherweise auch aufzunehmenden Daten“ ist schon jetzt umfangreich. So sollen neben der elektronischen Bürgeradresse auch Hochzeitstag- und Ort, die gesetzlichen Vertreter samt Doktorgrad, Anschrift, Geburtstag, Geschlecht und Todestag erfasst werden, gleiches gilt für die entsprechenden Daten von Ehegatten, Lebenspartnern (!) und minderjährigen Kindern. Zusätzlich sollen noch Daten für „besondere Zwecke“ Eingang in das Register finden, hier werden exemplarisch das passive und aktive Wahlrecht, abgeleisteter oder noch abzuleistender Wehrdienst, sprengstoffrechtliche Erlaubnisse sowie die Waffenerlaubnis genannt.

Als Begründung wird einerseits eine schnellere Abfragemöglichkeit angeführt, anderseits aber wird das zentrale Melderegister auch mit einem Argument propagiert, das man vom österreichischen Sicherheitsgesetz her kennt: Rettungskräfte und Polizei könnten so schneller den Aufenthalt und die Identität einer Person feststellen.

Österreich: Der beliebte Faktor 1

Als die Novelle zum Sicherheitsgesetz, nicht zuletzt wegen der Art wie sie durchgefochten wurde, in die Kritik geriet, hatte der österreichische Innenminister Plattner (ÖVP) insbesondere hinsichtlich der Handyortungsbefugnisse einen Satz parat, den man schon zur Genüge kennt: Wenn nur ein... Egal ob Internetfilter, neue Sicherheitsbefugnisse, verringerte Kontrollmöglichkeiten der Befugnisse, stets wird die heroische Rettung eines Lebens, eines Kindes, eines Verletzten, eines Opfers emotional in den Vordergrund gestellt, wobei die Verhältnismäßigkeit sich mit einem dezent geseufzten „schade“ verabschiedet. Der Faktor 1 als Totschlagargument. In diesem Fall sagte Plattner: „"Was wir brauchen, sind die Standortdaten." Damit könnten verunglückte Bergsteiger oder Entführungsopfer gerettet werden. "Wenn wir ein Leben allein retten können, durch so eine Maßnahme, ist es richtig und gut" – wobei sich die Frage stellt, wieso, wenn es um die Rettung von Bergsteigern etc. geht, denn nicht im Nachhinein eine richterliche Kontrolle der Abfragen möglich sein soll. Kein Richter würde doch eine Abfrage der Handystandortdaten im Nachhinein als unrechtmäßig ansehen, wenn dadurch tatsächlich der verunglückte Bergsteiger oder das Entführungsopfer gerettet werden kann.

Inwieweit ein IMSI-Catcher überhaupt in solchen Fällen nützlich sein kann (denn auch um dessen Einsatz kreiste das neue Sicherheitsgesetz), ist eine weitere bisher unbeantwortete Frage. Denn beim IMSI-Catcher handelt es sich ja um kein Gerät, das, einmal angewandt, jedes genutzte Handy egal wie weit entfernt orten kann. Die Frage, die der grüne Bundesrat Stefan Schennach stellte, ist denn auch jene, die bisher weiter im Raum stehet: Warum ist die Polizei so interessiert an allem ohne richterliche Kontrolle?

Melderegisterauskünfte – Schutz für Suizidale und Co.?

Einer ähnlichen Argumentation bedient sich nun Innenminister Schäuble beim Thema Melderegister. Denn das zentrale Bundesregister soll nicht nur als zentrales Melderegister, sondern vielmehr auch als zentrale Anlaufstelle fungieren. Feuerwehr und Hilfsdienste seien bei Rettungseinsätzen auf zuverlässige Informationen über Identität und Aufenthaltsort einer Person angewiesen.

Was sich hier im ersten Moment anhört, als seien die Polizei sowie der Rettungsdienst in der letzten Zeit permanent durch falsche Melderegisterauskünfte in ihren Aufgaben behindert worden, wird bei näherer Betrachtung abwegig.

Im Wesentlichen wird bei einem Anruf bei Rettungsdienst/Polizei die Identität weniger eine Rolle spielen als der Aufenthaltsort einer Person sowie die derzeitige Situation/Gefahrenlage. Banal ausgedrückt: ob Friedel Fischer, Hans-Joachim Hansen oder Susi Sorglos in Not sind, dürfte beiden Diensten egal sein. Gerade der Aufenthaltsort ist aber in vielen Fällen kaum der Ort, der sich in der Melderegisterauskunft wiederfindet. Nimmt man hier einmal die österreichische Begründung für die nicht richterlich kontrollierte Handyortung hinzu (die im Gegensatz zu Schäubles Argumentation wenigstens entfernt einen Sinn ergibt), so lässt sich die ganze Absurdität der Angelegenheit in einen Satz zusammenfassen: Welchen Sinn ergibt die Auskunft darüber, wo Ben Bergsteiger wohnt, wenn dieser gerade beim Skitrip verunglückt ist und im Schnee liegend und blutend um Hilfe ruft?

Bei Suizidalen verhält es sich ähnlich: Meist wird vor der Polizei die Seelsorge oder eine ähnlicher Stelle angerufen. Diese versucht dann, den Anrufer zum Sprechen zu bewegen (nicht zuletzt auch damit er wach bleibt, wenn er beispielsweise Tabletten geschluckt hat) und so den Aufenthaltsort, also die Adresse, zu ermitteln. Verläuft dies erfolglos, so wird meist versucht, denjenigen anzuweisen, die Notfallrufnummern anzurufen. Eine Zusammenfassung eines solchen Szenarios (in diesem Fall nicht bei einem Suizidalen sondern bei einem Fall der Atemnot) findet sich bei der Feuerwehr Stuttgart. Auch ist im Falle einer akuten Selbsttötungsabsicht für die Dienststellen das Zeitfenster zu knapp, als dass sie noch in einem Melderegister Informationen abrufen könnten. Wichtig ist, möglichst schnell den tatsächlichen Aufenthaltsort herauszufinden und Hilfe zu leisten. Denn (analog zum Bergsteigerbeispiel): ob der Suizidversuch in der eigenen Wohnung, auf der nächsten Brücke, beim Freund, der einem gerade verließ... stattgefunden hat/stattfindet ist durch das Melderegister gar nicht erkennbar. Wie sollte es das auch sein da es ja lediglich gemeldete Daten weitergibt, nicht jedoch momentane Aufenthaltsdaten?

Endgültig den Boden der Tatsachen verliert die Argumentation, wenn die „zentrale Anlaufstelle“ als Effizienzsteigerung dargestellt wird. Gerade die Zentralisierung von Leitstellen, Notrufen und dergleichen hat in der Vergangenheit zu Problemen geführt, da wertvolle Zeit dadurch verloren geht, dass die Mitarbeiter der zentralen Stelle nicht mit den diversen Strukturen der Helfer vor Ort vertraut sind und über keinerlei Ortskenntnis verfügen. Eine Kritik, die zum Beispiel vor Einführung der integrierten Leitstelle in München von (u.a.) der Feuerwehr Unterschleißheim hinreichend formuliert wurde. Abgesehen von der Effizientargumentation lässt sich also das, was Schäuble und Co. als Begründung für das Melderegister heranziehen, auf einen Satz reduzieren, der demzufolge auch als Titel dient: Wir stehen vor der Tür, wo sind Sie? Inwiefern dies hilfreich sein soll, wird wohl weiter ein Geheimnis bleiben.