Der Kopftuchapostel wird 2000

Die katholische Kirche feiert das Paulusjahr

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Das letzte Woche vom Papst eröffnete Paulusjahr soll an den 2000. Geburtstag des Heiligen erinnern, den die taz einmal als "eine Art Lenin des Christentums" bezeichnete. Tatsächlich machte Paulus - verkürzt gesagt - aus einem Toten eine Theologie. Zahlreiche Grundkonzepte der christlichen Kirchen, wie etwa das der Erbsünde, tauchen in den Evangelien nicht auf, sondern wurden erst von ihm entwickelt. Allerdings ist Paulus' Theologie auch eine sehr vielseitige: Manches von ihr ist heute noch wohlbekannt, anderes dagegen praktisch vergessen.

Durch zahlreiche Initiativen hinreichend verbreitet ist etwa seine Aufforderung aus dem ersten Korintherbrief (14:34), wonach die Frau in der Kirche schweigen soll. Weit weniger bekannt ist, dass der berühmte Apostel auch ein strafbewehrtes Kopftuchgebot während des Betens erließ. Während es dem Apostel zufolge für Männer "schändlich" war, mit Kopfbedeckung zu beten, galt für Frauen das Gegenteil:

Ein Weib aber, das da betet oder weissagt (sic!) mit unbedecktem Haupt, die schändet ihr Haupt, denn es ist ebensoviel, als wäre es geschoren. Will sie sich nicht bedecken, so schneide man ihr das Haar ab.

Der Apostel machte diese Unterscheidung keineswegs willkürlich, sondern hatte auch eine Erklärung parat:

Der Mann aber soll das Haupt nicht bedecken, sintemal er ist Gottes Bild und Ehre; das Weib aber ist des Mannes Ehre. Denn der Mann ist nicht vom Weibe, sondern das Weib vom Manne. Und der Mann ist nicht geschaffen um des Weibes willen, sondern das Weib um des Mannes willen. Darum soll das Weib eine Macht auf dem Haupt haben, um der Engel willen.

Mit seinem etwas rätselhaften Verweis auf die Engel regte Paulus zahlreiche spätere Theologien zu Spekulationen an. Tertullianus etwa behauptet in seiner Schrift gegen Marcion (5.8), dass Frauen deshalb nur verschleiert in die Kirche gehen sollen, weil Frauenhaar derart erregend wäre, dass es sogar Engeln die Konzentration rauben könne. Kirchenvater Hieronymus fordert in seinem Brief 93 sogar, dass Frauen sich grundsätzlich den Kopf rasieren sollten, um solche Effekte in Grenzen zu halten.

Darstellung des Heiligen Paulus aus dem frühen 9. Jahrhundert

Clemens von Alexandria enttäuscht in Paedagogus 3.11 die Hoffnungen jener, die in Perücken eine Lösung des Problems sehen: Segnet ein Priester eine Frau mit fremdem Haar, ist seiner Ansicht nach unklar, wer gesegnet wird: Die Trägerin oder die Vorbesitzerin.

Der Theologe beschäftigt sich aber nicht nur ausführlich mit dem Haar von Frauen, sondern auch mit dem von Männern. Wie Paulus ("[…] lehrt euch auch nicht die Natur, dass es einem Manne eine Unehre ist, so er das Haar lang wachsen lässt") ist er der Auffassung, dass der Mann sein Haar kurz tragen soll. Clemens zufolge gibt es ihm "nicht nur ein ernstes Aussehen, sondern macht den Kopf auch gegen Krankheiten abgehärtet, da es daran gewöhnt, sowohl Kälte als Hitze zu ertragen". Außerdem hält es "die von beiden kommenden Schädigungen fern[…], während das lange Haar sie wie ein Schwamm in sich aufnimmt und infolge der Nässe dem Gehirn dauernden Schaden zufügt. Dass der Theologe in den 1960er und 70er Jahren trotzdem nicht massenhaft zur elterlichen Begründung der Notwendigkeit eines Friseurbesuchs herangezogen wurde, könnte daran liegen, dass er darüber hinaus auch eine strenge Bartpflicht einforderte:

Und wenn einer seinen Bart auch etwas schneiden lässt, so soll er ihn doch nicht ganz abrasieren lassen; denn der Anblick ist nicht schön; und verwerflich ist es, den Bart bis auf die Haut abrasieren zu lassen, weil dies an das Ausrupfen der Haare und das Glätten [der Haut] erinnert. So freut sich der Psalmensänger an dem Barthaar, wenn er sagt: "Wie die Salbe, die auf den Bart, auf den Bart Aarons herabfließt." Durch die Wiederholung des Wortes 'Bart' rühmte er das schöne Angesicht und machte es dann mit der Salbe des Herrn glänzend.