Warum scheitern viele Offshoring-Projekte?

Wissenschaftler führen die Probleme bei der Verlagerung von Dienstleistungen in Billiglohnländer auf Kommunikationsprobleme, unterschiedliche Wertvorstellungen und fehlendes Controlling

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Es ist noch nicht allzu lange her, da verbanden sich für viele Arbeitgeber hohe Erwartungen mit der Vorstellung, einen Teil ihrer Dienstleistungen in sogenannte Billiglohnländer zu verlagern und damit einem Trend zu folgen, der im Neudeutschen die Bezeichnung "Offshoring" bekam. Branchenführer und Global Player spekulierten auf dramatische Kostensenkungen und phantastische Gewinnsteigerungen, und wer schon mit dem Rücken zur Wand stand, versprach sich vom Schritt über die Grenze wenigstens die Rettung vor der Insolvenz, Zeitgewinn und neue Handlungsspielräume.

Wirtschaftsexperten wie die selbsternannte Top-Management-Beratung A.T. Kearney rechneten noch vor fünf Jahren mit einer Vervierfachung von Offshoring-Projekten in Deutschland. Auch die Gesamtheit der europäischen Finanzdienstleister könne ihre Wettbewerbsposition deutlich verbessern. „Mittel- und langfristig lassen sich Einsparpotenziale von 30 Prozent und mehr erschließen“, prophezeite A.T. Kearney im Jahr 2003. Die Deutsche Bank schätzte das globale Volumen des Offshoring-Marktes im gleichen Jahr auf eine Größenordnung zwischen 10 und 50 Milliarden US-Dollar und erwartete für den gesamten Offshore-Outsourcing-Bereich „zweistellige jährliche Wachstumsraten“.

Für die Gewerkschaften war die Zukunftsvision "Bangalore statt Böblingen" dagegen alles andere als erstrebenswert. Sie befürchteten, dass im Zuge der Verlagerung von Dienstleistungen Arbeitsplätze im Heimatland des Unternehmens verloren gehen und die soziale Ungleichheit in den Gastländern zementiert oder sogar weiter verschärft werden könnte.

Es ist kurzfristig auch nicht wahrscheinlich, dass es zu einer Angleichung des Lohnniveaus kommt. Obwohl z.B. Portugal seit 1984 EU-Mitgliedsland ist, liegen die Löhne immer noch bei 25 Prozent des Niveaus in Deutschland. Der oft beschworene Markt regelt das nicht – jedenfalls nicht in den nächsten 20 Jahren.

Die gesellschaftlichen Folgen in den Industrieländern wie Deutschland sind noch gar nicht absehbar. Millionen von Arbeitnehmern sehen sich plötzlich in ihrer Existenz bedroht, die Zukunft einer hochmodernen, hochindustrialisierten Gesellschaft und die Zukunft künftiger Generationen steht auf dem Spiel.

IG Metall

Die Sorge um die schleichende Entrechtung von Arbeitnehmern und die hemmungslose Ausbeutung der Dritten Welt, die den Industrieländern als Lieferant von wertvollen Rohstoffen und billigen Arbeitskräften dienen muss, ist bis heute so verbreitet, dass der kapitalismuskritische Bestseller No Logo..http://www.naomiklein.org/no-logo, den die kanadische Journalistin Naomi Klein im Jahr 2000 veröffentlichte, noch immer Kultstatus genießt und zahlreiche Nachfolger..http://www.markenfirmen.com findet.

Unter dem Motto „Reclaim the Streets“ existieren mittlerweile aber auch zahlreiche zivile Protestformen, die vom subversiven Guerrilla Gardening bis zu tänzerischen Aneignungen des öffentlichen Raumes reichen.

Enttäuschte Offshorer

Je findiger die Gegner der negativen Auswirkungen werden, welche die Globalisierung mit sich bringt, desto mehr kommen die Protagonisten des Welthandels ins Grübeln. Die Aktivitäten ihrer Gegenspieler sowie ethische oder humanitäre Gründe spielen dabei allerdings kaum eine Rolle. Es sind schlichte betriebswirtschaftliche Überlegungen, welche immer mehr Unternehmen am Sinn des Offshoring zweifeln lassen. Wären weniger aufwendige Maßnahmen nicht vielleicht doch effektiver als die Druckerei nach Osteuropa, die Softwareabteilung nach Bangalore und das Call-Center auf die Philippinen zu verlagern?

Nicht unbedingt, denn die Unternehmensberatung „Deloitte & Touche“ kam bereits 2005 zu der Erkenntnis, dass verwandte Strategien wie Outsourcing, Nearshoring oder Onshoring nicht zwingend bessere Resultate erzielen. Immerhin 70 Prozent der Befragten hätten mit Outsourcing-Projekten sehr negative Erfahrungen gemacht und begegneten dem Konzept heute „mit deutlich mehr Besonnenheit“, teilte „Deloitte & Touche“ seinerzeit mit.

Der Verband der amerikanischen Computerwissenschaftler „Association for Computing Machinery“ entwickelte allerdings auch für den Bereich Offshoring schon vor gut zwei Jahren eine differenzierte Bewertung und korrigierte ausufernde Gewinnerwartungen in der Studie Globalization and Offshoring of Software deutlich nach unten. Im April 2007 musste dann auch A.T. Kearney einsehen, dass die Standortvorteile „der führenden Niedriglohnländer“ im Schwinden begriffen sind. Spürbar enttäuscht stellte die Managementberatung nunmehr fest, dass der Lohnkostenvorteil, der bei einer Verlagerung von IT-Dienstleistungen, Arbeitsprozessen oder Call-Centern zu erzielen ist, nur noch „etwa 20 Jahre“ genutzt werden kann, weil sich Hochlohn- und Niedriglohnstandorte allmählich annähern.

Paul Laudicina, Managing Officer und Chairman of the Board bei A.T. Kearney, führte den Stimmungswandel, der aus dem hauseigenen „Global Services Location Index“ ablesbar war, auf Erfolge in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik zurück, die in einigen wichtigen „Offshore-Destinationen“ erzielt worden seien.

Die erstaunlichste Erkenntnis des diesjährigen Global Services Location Index ist, dass der relative Kostenvorteil der führenden Offshore-Destinationen wie China, Indien oder Malaysia im Vergleich zum Vorjahr fast überall zurückgegangen ist, während die Bewertungen für die Verfügbarkeit hoch qualifizierter Arbeitskräfte und für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in diesen Ländern rapide angestiegen sind.

Paul Laudicina

Offenbar eignen sich diese Länder nun nur noch bedingt, um hier den schnellen Euro oder Dollar zu verdienen.

Für Unternehmen, die über Offshoring nachdenken, empfiehlt es sich, nicht nur auf kurzfristige Kosteneinsparungen zu achten, sondern langfristig die Verfügbarkeit qualifizierter Mitarbeiter und die operativen Gegebenheiten zu berücksichtigen.

Paul Laudicina

Wissenschaftliche Erkenntnisse

Allerdings denken längst nicht mehr nur Unternehmen über das heikle Thema nach. An der Technischen Universität Hamburg-Hamburg läuft ein groß angelegtes Forschungsprojekt, aber auch viele Lehrstühle befassen sich intensiv mit dieser sehr speziellen Folgewirkung globalisierten Wirtschaftens. An der Technischen Universität Dortmund hat Professor Andreas Hoffjan, der die Bereiche Unternehmensrechnung und Controlling vertritt, mit seinem Doktoranten Michael Brandau Firmen aus Deutschland, der Schweiz und Osteuropa nach ihren Erfahrungen mit diversen Offshoring-Projekten befragt.

Nur etwa die Hälfte von ihnen betrachtet das Offshoring rückblickend und vorwärtsschauend als „dauerhaftes strategisches Investment“. Diese Unternehmen gründen im Ausland eigene Tochtergesellschaften oder Joint Ventures und versuchen, die neuen Einheiten zu Profit Centern auszubauen, um „die Erfolgsfaktoren von Offshore-Anbietern zu kopieren“. Doch es gibt – gerade in wirtschaftlicher Hinsicht – keineswegs nur Erfolgsgeschichten.

Die Schwierigkeiten betreffen primär die Kommunikation zwischen den Mitarbeitern am Firmensitz und den Mitarbeitern am Offshore-Standort, weshalb Fehlinterpretationen auftreten und die Leistungsanforderungen von den Offshore-Mitarbeitern nicht verstanden werden. Dies gilt vor allem wenn zur Dienstleistungserstellung komplexe, nicht standardisierte Tätigkeiten notwendig sind. Missverständnisse werden oft nur verspätet kommuniziert und die Mitarbeiter am Offshore-Standort stellen generell weniger Rückfragen oder geben nur zögerlich Feedback. Dies lässt sich auch auf ein anderes Hierarchieverständnis der Offshore-Mitarbeiter in bestimmten Kulturkreisen zurückführen.

Technische Universität Dortmund

Über die Frage, was es mit dem Hierarchieverständnis in bestimmten Kulturkreisen genau auf sich hat, könnte trefflich gestritten werden, doch die Dortmunder Wirtschaftswissenschaftler finden schnell wieder auf sicheres Terrain und bemängeln insbesondere die schlechte Vorbereitung der Auslandsgeschäfte, die einseitig darauf konzentriert waren, die Vorteile niedriger Kosten bei der Dienstleistungserstellung zu nutzen.

Die „Probleme und Risiken“, die mit langen Kommunikationswegen, unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, differierenden Vorstellungen über einzelne Arbeitsabläufe oder Arbeitserlaubnissen und Visa verbunden sind, seien von vielen Unternehmen schon bei der Projektplanung „erheblich unterschätzt“ worden. Die Meinung der beiden Wissenschaftler deckt sich mit der Erkenntnis des Kölner Unternehmensberaters Ralf Maier, der einem Fachmagazin Ende Mai anvertraute, er habe manchmal den Eindruck, „dass viele Mittelständler Indien nur aus dem Dschungelbuch kennen“. Das ist umso erstaunlicher, als schon seit Jahren umfangreiche Handbücher vorliegen, etwa das des Bundesverbandes Informationswirtschaft Telekommunikation und neue Medien e.V., welche die Orientierung erleichtern sollten.

Da das offenbar nur selten gelingt, fallen häufig nicht nur aufwendige Nacharbeiten, sondern auch zusätzliche Steuerungs- und Kommunikationskosten an. Ein klarer Fall für die Controlling-Abteilung, die Hoffjan und Brandau zu ihrer Überraschung allerdings nur selten dabei antreffen, effiziente Lösungsstrategien zu entwickeln.

In einigen Unternehmen beschäftigt sich das Controlling aktuell jedoch gar nicht mit dem Offshoring. Mitunter wird dem Controlling nicht die notwendige Kompetenz zugesprochen, spezielle Projekte mit technischem, entwicklungsbasierten Charakter, wie z.B. die Programmierung von Software, überprüfen zu können. Folglich werden auftretende Probleme erst mitten in den Projekten bzw. nach Beginn des Offshoring bemerkt.

Technische Universität Dortmund

Ohne entsprechende Strukturen lässt sich dann kaum noch feststellen, ob und in welchem Umfang die vermeintlich eingesparten Gelder schon wieder verloren sind. Knappes Fazit aus Dortmund:

Von den niedrigen Lohnkosten im Ausland euphorisiert, scheinen einige Unternehmen die kaufmännische Vorsicht zu vernachlässigen.

Technische Universität Dortmund

Neue Offshore-Standorte?

Wohin sich die Globalisierung in den nächsten Jahren bewegen wird, ist derzeit schwer vorherzusagen. Länder wie Indien oder China, die noch vor kurzem zu beliebten Offshore-Standorten zählten, scheinen sich aus der Umklammerung der reichen Industrienationen befreien zu können und drängen selbst mit Macht auf den Weltmarkt. Branchenberichten zufolge konnten allein die drei größten IT-Dienstleister Indiens - Tata Consultancy Services, Infosys Technologies und Wipro – mittlerweile einen Anteil von 46,4 Prozent am indischen IT-Servicemarkt erobern.

Doch das „Everest Research Institute“, das Ende letzter Woche die erste Ausgabe eines neuen Quartalsberichtes über Geschäftsprozesse und Markttrends im weltweiten Outsourcing und Offshoring veröffentlichte, hat bereits Alternativen ausgemacht. Demnach bieten sich künftig Länder wie Thailand, El Salvador, Paraguay, Uruguay, Honduras oder die Dominikanische Republik zunehmend für die Auslagerung von Dienstleistungen deutscher und europäischer Unternehmen an.

Der Spätkapitalismus verspeist sich selbst also immer nur bis zu einer gewissen Grenze. Alles Unverträgliche wird ausgespuckt, und dann geht es am anderen Ende der Welt wieder von vorne los.