Pöbeln à la française

Sarkozy wieder einmal mit O-Ton im Off erwischt

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Das deutsche Wort "Pöbeln" stammt aus dem Nachbarland, wo "poble" auf altfranzösisch und in im gegenwärtigen Gebrauch "Peuple", gesprochen "Pöpl" das Volk bezeichnet. Gemeint ist im Deutschen mit Pöbeln ein Mangel an Feingefühl, ein eher grobes Verhalten, das sich mit der sprichwörtlichen Grobschlächtigkeit des Pöbels gemein macht.

Ob nun der Präsident des peuple français am Montagabend vor laufenden Kameras des Fernsehsenders FR3 - allerdings off-the-record vor der Ausstrahlung eines Interviews - einen Techniker "bepöbelt" oder "angeraunzt" hat, um erneut zu "pöbeln", wie schon im Februar auf einer Landwirtschaftsmesse, ist nicht so eindeutig, wie von oben verlinkten deutschen Medien nahegelegt.

Eine Frage der Erziehung..

Sieht man sich das skandalträchtige Video genauer an, erlebt man einen mediengewandten "Kostümkopf" Sarkozy, der ein bisschen seine Contenance verliert, nachdem ihm ein Techniker das "Bonjour" nicht erwidert: Er blickt demonstrativ entrüstet um sich, was die Puppenspieler der Guignols sicher neu inspiriert, und echauffiert sich etwas – "Das ist eine Frage der Erziehung" –, aber eine echte pöbelhafte Entgleisung ist sein Verhalten nicht. Anders als beim Februar-Vorfall (Video) auf der Landwirtschaftsmesse, wo Monsieur le Président einen Mann, der ihm nicht die Hand schütteln wollte, sehr grob, hässlich und vulgär des Feldes verwies – "Casse-toi, pauvre con" (sinngemäß: "Mach dich vom Acker, Depp"), blieb Sarkozy bei dem vorgestrigen Vorfall augenzwinkernd auf einem Niveau, das nicht frei ist von Scherz und Ironie, vielleicht wenig "liebenswürdig", wie die Libération befand, aber ebenso wenig pöbelhaft.

Laut einem Bericht eben dieser Libération, die Sarkozy gewiss nicht wohlgesinnt ist, sind die nachfolgenden Worte "ça va changer" - "Das wird sich ändern" nicht auf eine mögliche Entlassung des Technikers gemünzt, was skandalös gewesen wäre, sondern auf den Zustand des ganzen Landes, den er in einem kurzen Wortwechsel mit einer FR3-Journalistin angesprochen hatte. Wie sich jeder, der sich die Bilder anschaut, überzeugen kann, ist das Verhältnis zwischen Sarkozy und den Journalisten von FR3 beim Vorgespräch zum Interview vielleicht nicht überaus herzlich, aber auch nicht eisig, wie das Internetmagazin Rue89 am Montag befand.

...eine Frage der Empfindlichkeiten...

Aber immerhin: Sarkozy, so weiß die Libération, war offensichtlich etwas geladen, als er beim Sender Demonstranten begegnete, die lautstark gegen seine jüngsten Medienpläne protestierten und ihm T-Shirts präsentierten, auf denen er lesen konnte, wie viel schöner das Leben ohne ihn ist: "Plus belle la vie sans Sarkozy".

In dieser Demonstration und bei der Reaktion auf die Veröffentlichung des Videos durch Rue89 ist aber der wahre Skandal, für den Sarkozy maßgeblich verantwortlich ist, zu suchen. Es geht um seine Medienpolitik. Der Präsident will, dass die öffentlichen TV-Sender in Frankreich, wozu natürlich auch FR3 gehört, künftig keine Werbung mehr senden dürfen, zunächst nur im Abendprogramm, später überhaupt nicht mehr.

Natürlich gäbe es Gründe und Perspektiven, dies nicht nur im schlechten Licht zu sehen. Wer mag schon Werbesendungen...Und vielleicht könnte man in der staatlich geschützten Nische Neues probieren und erfinden, dem Fernsehen könnte das gut tun. Das große Problem, das bei Protesten gegen die Medienreform zur Sprache gebracht wird, ist aber andererseits, dass den Sendern mit der Werbung eine beträchtliche Einnahmequelle genommen wird und mit ihr keine kleine Portion Freiheit und Unabhängigkeit, da sie nämlich so, wenn man es böse auf den Punkt bringen will, auf dem Weg zum abhängigen Staatsfernsehen sind, zumal der Präsident auch den Chef der Anstalten benennt.

..oder eine Frage der Macht

Und die Reaktion von FR3 auf die Verbreitung des Videos durch Rue89 bestärkt genau diese Ängste vor einem staatlich kontrollierten öffentlichen Fernsehen. FR3 droht Rue89 nämlich jetzt mit juristischen Schritten, sollte das Internetmagazin nicht die Quellen nennen, durch die es an das Video gekommen ist. Zudem verlangt der Fernsehsender von Rue89, dass es das in Frankreich ziemlich populäre Video zerstören soll.

Rue89 zeigt sich schockiert. Normalerweise würden solche Drohungen und Forderungen gegenüber Medien, die auch FR3 in der Vergangenheit erfahren habe, vom Staat kommen, es sei eine Premiere, das nun ein Medium auf das andere mit solchen "inquisitorischen Schritten" zugehe. Man könne im Kontext der Affäre aber klar erkennen, dass FR3 unter großem Druck aus dem Präsidentenpalast und der Mehrheitspartei stehe. France3 würde diesen Druck direkt an Rue89 weitergeben.

Letztlich also doch eine pöbelhafte Aktion des Präsidenten, der ohne jedes Feingefühl gegenüber der "Grande Nation" die Macht über das Fernsehen zugunsten seiner persönlichen Empfindlichkeiten missbraucht? Durchaus möglich. Wie eben auch andere Reaktionen auf missgelaunte Menschen aus dem Volk möglich sind. So hatte der Vorgänger Sarkozys, Jaques Chirac, konfrontiert mit einem derben Mann, der ihm ein "Salut, vieux con" (etwa "Hallo, alter Depp") als Gruß entbot, elegant präsidial zu entgegnen gewusst:
"Enchanté!" ("Erfreut")