Verhandlungssache Meinungsfreiheit?

Nachdem ein Wasserbettenhersteller gegen einen missgünstigen Kommentar in einem Onlineforum geklagt hat, sollte in zweiter Instanz vor dem OLG Hamm darüber prozessiert werden, was Meinung ist und was nicht

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Ist die Meinungsfreiheit in Deutschland in Gefahr, speziell die Meinungsfreiheit im Internet? Nach den Streitfällen der vergangenen Jahre hatte sich unter Forenbetreibern Unsicherheit breitgemacht (Datenschutzverstoß oder Forenschließung?). Ein aktueller Fall zeigt, wie umkämpft das Thema ist, und wie unterschiedlich die Sichtweisen. Ein Wasserbettenhersteller klagte gegen Äußerungen in einem Onlineforum – und verlangte im selben Zug die Löschung der betreffenden Postings, sowie die Offenlegung von Nutzerdaten. Der Beklagte Forenbetreiber Michael Babilinski sieht darin eine bedenkliche Tendenz: Sollte einem solchen Antrag stattgegeben werden, würde ein für die Meinungsfreiheit fataler Präzendenzfall geschaffen, der dem vieldiskutierten heise-Urteil ebenbürtig sein könnte.

Im August 2007 ließ ein enttäuschter Kunde des Wasserbettenherstellers Reckert Werkstatt Möbel (RM) seiner Enttäuschung freien Lauf. In dem Onlineforum Wassberbetten-News schilderte er, wie sich wichtige Bestandteile seines Bettes unmittelbar nach Ablauf der Garantiezeit aufzulösen begannen, und wie seine Bitte um Kulanz vom Hersteller zurückgewiesen wurde. Er kam zu dem Schluss „Wenn das Bett und der Service des Herstellers jedoch zweitklassig sind hat man gelitten, deshalb gilt für uns: Wasserbetten von Reckert, NIE WIEDER“. Ein weiterer Forenteilnehmer berichtete daraufhin von einem ähnlichen Problem, weitere pflichteten bei und äußerten Verständnis.

Kurz darauf erhielt der Betreiber des Forums, Michael Babilinski, ein Fax von RM, in dem es hieß, der betreffende User sei ein ehemaliger Händler, der noch Schulden bei RM habe. Das war so nicht korrekt, wie sich später herausstellte. „Das ärgert mich, dass da von Anfang an mit Lügen gearbeitet wurde“, sagt Babilinski, der überzeugt ist, dass RM sogar versucht habe, die Forumsdiskussion durch das Einschleusen eines eigenen Mitarbeiters manipuliert zu haben. Beweisen lässt sich das letztendlich nicht, die Taktik der Manipulation von Foren oder gar Kundenrezensionen ist aber keine Seltenheit (Was haben Laura H. und Werner Brand gemeinsam?) und in PR-Kreisen ein weit verbreitetes und als legitim angesehenes Mittel. RM schlug den Rechtsweg ein und versuchte mittels einer Einstweiligen Verfügung und einer Abmahnung gegen den betroffenen User die Löschung der Äußerungen im Forum unter Androhung einer Geld- oder Gefängnisstrafe zu erwirken.

Generell seien Abmahnungen ein sinnvolles Rechtsmittel, sagt Babilinski. „Nicht in Ordnung ist es, wenn das Recht missbraucht und versucht wird, gegen freie Meinungsäußerung vorzugehen. 50% aller Abmahnungen sind meiner Meinung nach überflüssig und dienen dazu, dem Gegner Druck zu machen und das Prozessrisiko zu senken.“ Am 17.1.2008 wurde die Einstweilige Verfügung durch das Landgericht Münster aufgehoben. Rechtsanwalt Thorsten Graf sieht in diesem Urteil eine Stärkung der Online-Meinungsfreiheit. RM sah das anders und zog mit einer überarbeiteten Klageschrift vor das OLG Hamm. Da das LG Münster die Forenkommentare als mit dem Artikel 5 des Grundgesetzes geschützte Meinungsäußerung einstufte, argumentierte RM nun, es handele sich nicht um Meinungen, sondern um falsche Tatsachenbehauptungen. Der Ausspruch über den „zweitklassigen Service“ sei keine Meinung. „Verstehen konnte ich es nicht“, sagt Babilinski. „Die Meinungsfreiheit ist im Grundgesetz verankert und auch im gesunden Menschenverstand. Als Geschäftsmann mache ich Abmahnungen eigentlich nicht öffentlich. In diesem konkreten Fall hatte ich den Anlass, dass einer meiner Forenuser, also eine Privatperson, abgemahnt wurde.“

Babilinski bezog in einer Pressemitteilung zur Verhandlung am OLG Hamm Stellung und erläutert seine Perspektive folgendermaßen: „Wenn man als Händler in der freien Wirtschaft aktiv ist, muss man damit rechen, dass auch unzufriedene Kunden einmal ihre Meinung äußern.“

Die Forderung des Klägers, die IP-Adressen der Forenteilnehmer offenzulegen, gemahnt an frühere Konflikte zur Forenhaftung und zeigt eine fatale Geisteshaltung: Wenn es um wirtschaftliche Ziele geht scheinen Datenschutz und verfassungsmäßige Rechte innerhalb eines demokratischen Rechtsstaats als obsolet betrachtet zu werden. Die Ansätze von Innenminister Wolfgang Schäuble zur Überwachung und Durchleuchtung potentieller Opponenten scheinen auch im Kleinen nicht unbeliebt zu sein.

Leider kein Einzelfall, wie Thorsten Graf zu berichten weiß. Es komme nicht selten vor, dass Firmen gegen Meinungsäußerungen klagen. Noch scheint es aber so zu sein, dass die verfassungsmäßigen Rechte schwer angreifbar sind. Am 19. Juni zog RM seinen Antrag vor dem OLG Hamm zurück, nachdem das Gericht dargelegt hatte, weshalb es unmöglich stattgeben könne

„Nachdem das Gericht dargelegt hat, weshalb es dem Antrag nicht stattgeben könne, zog der Kläger seinen Antrag zurück, was für den Beklagten zum Gewinn führt, da der Kläger alle Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Das heißt, dass der Rechtsstreit gelöst wurde, ohne dass eine Verhandlungsentscheidung gefällt werden musste“, erläutert Graf.

Aber wie sieht es generell aus? Laut Graf „besteht die Abgrenzung zwischen einer Tatsache oder einem Werturteil. Geäußerte Tatsachen müssen stimmen, anderenfalls ist eine Unterlassungsklage berechtigt. Bei Werturteilen gilt generell die im Grundgesetz Artikel 5 garantierte Meinungsfreiheit. Um diese anzugreifen, müsste die Grenze zur Schmähkritik überschritten werden, was aber nur sehr selten vorkommt. Wir hatten beispielsweise einen Fall, wo eine Firma klagte, nachdem sie als betrügerisch bezeichnet worden war – das Gericht stufte die Aussage in dem konkreten Fall als Werturteil ein. Und solange es sich um ein Werturteil handelt, haben Klagen kaum eine Chance. Im Fall Reckert Werkstatt Möbel gegen Babilinski sah das Gericht die [im Forum gefallene] Wendung „Zweitklassiger Service“ als Werturteil an.“

Ganz wohl ist Michael Babilinski dennoch nicht. Abmahnung und Klage machen ihm trotz des gewonnenen Streits zu schaffen: „Das alles macht Angst und zeigt, dass das Recht in diesem Land, zumindest beim Thema Abmahnungen, auch etwas mit finanzieller Unabhängigkeit zu tun hat.“

Die Firma Reckert Werkstatt Möbel war für ein Statement bisher nicht zu erreichen.