"Das Bild einer Welt in der Krise"

Der IWF spricht von einer weltweiten Krise, während die EZB wegen der hohen Inflation die Zinsen anhebt und damit vermutlich die Wirtschaft weiter belastet

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Die schlechten Wirtschaftsdaten halten an und nun spricht auch der Internationale Währungsfond (IWF) offen von einer weltweiten Krise wegen steigender Öl- und Nahrungsmittelpreise. Einige Länder "stehen auf der Kippe", sagte der IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn bei der Vorlage einer umfassenden Studie über die Auswirkungen der Preisexplosion. Wegen der hohen Inflationsrate, die in der Eurozone mindestens 4 % erreicht hat, musste die Europäische Zentralbank (EZB) nun doch die Leitzinsen anheben. Doch die Anhebung um 0,25 % ist symbolisch und wird keine Änderung bringen. Die EZB ist weiter mitverantwortlich für die steigende Inflation und ihr spätes und zaghaftes Agieren wird die Volkswirtschaften genau dann belasten, wenn sich im noch stabilen Deutschland der Abschwung andeutet. Spanien driftet erwartungsgemäß in eine tiefe Krise ab, das bei der Arbeitslosigkeit auf den letzten Platz in der EU klettern wird und dort droht eine Rezession.

Mehrfach hatte der EZB-Chef in den letzten Wochen angekündigt, dass die Zentralbank wegen der hohen Inflation die Leitzinsen anheben werde. Zuletzt sagte das Jean-Claude Trichet kürzlich vor dem Europaparlament - und da kannte Trichet wohl schon die Daten der Europäischen Statistikbehörde (Eurostat) für den Juni. Und als die am 30. Juni ihre Vorausschätzung bekannt gab, hatten sie eine Hiobsbotschaft parat. Die Inflationsrate ist im Euroraum auf mindestens 4 % gestiegen.

Sie liegt also mindestens doppelt so hoch, als die EZB sich selbst als Zielmarke setzt, um ihrer Aufgabe nachzukommen, für die Geldwertstabilität zu sorgen. Deshalb hätte die EZB schon viel früher eingreifen müssen. Ohnehin darf davon ausgegangen werden, dass die Inflation real höher ausfällt. In den vergangenen Monaten hatte Eurostat fast immer bei der Vorrausschätzung um 0,1 % zu niedrig gelegen. Die Inflation ist zudem deutlich stärker angestiegen, als allgemein erwartet wurde, und hat dabei einen neuen Rekordwert für die Zeit seit Gründung der Währungsunion im Jahr 1999 verzeichnet. In Deutschland waren die Verbraucherpreise im Jahresvergleich um 3,3% gestiegen, so stark wie seit Dezember 1993 nicht mehr. Auch in Ländern wie Italien, Belgien und Spanien wurden neue Rekorde erreicht. Bei den Iberern liegt die Inflation schon bei 5,1 %.

Angesichts dieser Situation war die Leitzinserhöhung eigentlich schon eine beschlossene Sache. Fraglich war nur, ob es vielleicht 0,5 % werden würden. Eine Eindämmung der Inflation wäre auch damit aber nicht in Sicht. Dass der Preisdruck von Dauer sein werde, habe die EZB im Winter angeblich noch nicht erkennen können, weshalb Trichet im Winter von einem kurzfristigen "Inflationsbuckel" sprach. Wie er zu Prognose kam, war schon damals rätselhaft und wohl der Tatsache geschuldet, das auch er vor der Politik eingeknickte und in den Chor der Politiker einstimmte, die die massive Krise mit Psychologie bekämpfen wollten (Psychologie der Krise).

Dabei sprach alles für weiter steigende Preise für Energie und Nahrungsmittel. Dafür gibt es diverse Gründe: Dazu gehören die Politik der OPEC, deren Mitglieder an den Rekordpreisen von derzeit fast 150 Dollar pro Barrel gut verdienen, zum Teil auch die Spekulation und natürlich der Preisschub bei Nahrungsmitteln, weil ein Teil davon in so genannten Biosprit verwandelt wird und das Angebot verknappt. Da sich steigende Energiekosten erst mit einer zeitlichen Verzögerung in den Preisen niederschlagen, ist eine weitere hohe Inflationsrate gesichert, so lange die Treibstoffpreise weiter steigen. Man darf gespannt sein, welcher Preisschub bei Nahrungsmitteln ermittelt wird. Als die Inflation im April noch bei 3,3 % lag, hatten die Statistiker schon einen Anstieg der Nahrungsmittelpreise in der EU bei 7,1 % festgestellt.

Kein Grund, auf fallende Preise zu hoffen

Mit der knappen Anhebung der Leitzinsen handelt die EZB jetzt symbolisch, weil sie vor allem gefährlichen Zweitrundeneffekten begegnen will, eine kurze Inflationsdämpfung kann, auch wegen der knappen Anhebung der Zinsen, nicht erwartet werden. Die Politik dient dazu, die Arbeitnehmer ruhig zu stellen, welche die Zeche für die Finanzkrise zahlen sollen (EU-Arbeitnehmer sollen die Zeche für die Finanzkrise zahlen), denn kann können die Gewinner unangetastet bleiben (Die Zocker sind im globalen Kasino die großen Gewinner). Die Arbeitnehmer sollen davon abgehalten werden, die seit Jahre anhaltenden Reallohnverluste durch höhere Lohnforderungen auszugleichen.

Daraus hat Trichet nie einen Hehl gemacht. Kein Wunder also, dass ausgerechnet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) schon im Vorfeld die erwartet Zinserhöhung befürwortete, obwohl seine Mitglieder davon belastet werden. Die Inflation habe "ein Niveau erreicht", bei dem es gelte, "die Erwartungen der Unternehmen und der Arbeitnehmer an die Preisentwicklung zu stabilisieren oder sogar zu dämpfen", sagte deren Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Das würde kräftige Lohnerhöhungen nach sich ziehen würde und müsse verhindert werden.

Wie schon ausgeführt, gibt es derzeit keinen Grund, auf fallende Energie- und Nahrungsmittelpreise zu hoffen. So wirkt sich das Verhalten der EZB nun doppelt problematisch aus. Sie griff bei der steigenden Inflation nicht sofort ein, um das Wachstum nicht zu gefährden. Nun muss sie in dem Moment handeln, in dem die Krise viele Länder schon fest im Griff hat und bei noch stabilen Ländern wie Deutschland ein Abschwung ansteht (Auch Deutschland steht der Abschwung bevor). Statt einem abgeschwächten Wachstum wird mit der Zinsentscheidung der erwartete starke Abschwung in Deutschland noch verstärkt werden. Die ehemaligen Boomländer Irland und Spanien droht längst eine Rezession, wobei es in Spanien besonders drastisch ausfallen wird.

Der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero wollte, als er gestern wegen der Wirtschaftkrise vor dem Parlament Rede und Antwort stehen musste, von einer Rezession nichts wissen. Doch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erwartet, dass Spanien zum Schlusslicht bei der Arbeitslosigkeit wird. Mit knapp 11 % werde die Arbeitslosigkeit dort fast doppelt so hoch ausfallen, wie der Durchschnitt der 30 Mitgliedsstaaten.

Tatsächlich hat Eurostat für die Arbeitslosigkeit in Spanien einen deutlichen Anstieg auf 9,9 % festgestellt. In Irland ist zwar auch ein starkes Wachstum der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen, allerdings liegt es dort bei 6 %. Spanien werde dagegen bald die Slowakei überholen, das derzeit mit 10,5 % auf dem letzten Rang liegt, meint die OECD. Tatsächlich sprechen die neuesten Zahlen aus Madrid eine deutliche Sprache. Erstmals seit 1996 ist die Arbeitslosigkeit im Juni gestiegen, mit Ausnahme des Baskenlands, wo sie weiter gefallen ist und weit unter vier Prozent liegt.

Insgesamt gab es im spanischen Staat im Juni 35.000 neue Arbeitslose. Das scheint nicht viel, hat aber mit fantasievollen statistischen Methoden zu tun. Tatsächlich sind fast 200.000 Menschen aus der Sozialversicherung heraus gefallen. Vor allem speist sich die Arbeitslosigkeit aus dem zusammenbrechenden Baugewerbe. Auch nimmt die Säumigkeit bei der Kreditrückzahlung stark zu. Der Ibex verlor allein am Montag fast 2,3 %. Damit steigt er schlecht in das neue Halbjahr ein. Das erste Semester wurde mit einem Rekordverlust abgeschlossen. Er hat das schlechteste Halbjahr seit seiner Schaffung 1993 verzeichnet. Die Verluste haben mehr als 20 % ausgemacht. Nur das Platzen der Börsenblase am neuen Markt 2000 bescherten ihm mit knapp 15 % noch geringere Verluste. Trotz allem wollte Zapatero vor dem Parlament das Wort Krise nicht über die Lippen kommen, für das er zahllose Synonyme verwendete.

Turbulenzen an den Finanzmärkten, Probleme der Immobilienmärkte und steigende Preise

Der IWF findet nun allerdings auch deutliche Worte: "The picture is a picture of a world in crisis", sagte Strauss-Kahn Die Industrieländern seien noch immer in die Finanzkrise verstrickt, die über die Krise am Subprime-Markt in den USA ausgelöst wurde. Damit unterstützt der IWF die Analyse der OECD, wonach die industrialisierte Welt von einem dreifachen Schock getroffen wird: Turbulenzen an den Finanzmärkten, Probleme der Immobilienmärkte und steigende Preise. Der rasante Preisanstieg bei Nahrungsmitteln und Energie setze vor allem den armen Ländern heftig zu, heißt es in der neuen IWF-Studie über die Auswirkungen der Preisexplosion, die am Dienstag in Washington veröffentlicht wurde.

Das Wachstum der Weltwirtschaft habe, so die Studie, seit fünf Jahren die Nachfrage nach Öl, Stahl und Nahrungsmitteln stark beschleunigt. Das Angebot habe damit nicht wirklich Schritt halten können. Zudem hätten das Interesse an so genanntem Biosprit und Handelsbeschränkungen die Preise für Nahrungsmittel weiter befördert, heißt es in der Studie. Die Preise für Öl und Lebensmittel hätten sich in den Schwellen- und Entwicklungsländern seit 2006 verdoppelt.

Einer Gruppe von 33 unterentwickelten Ländern, die Netto-Importeure sind, hätte diese Entwicklung bislang 1,46 Milliarden Euro gekostet, das seien 0,5 Prozent ihres jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Eine weitere Gruppe von 59 armen Netto-Ölimporteuren hätte dies schon 22,7 Milliarden Euro gekostet, das sind sogar 2,2 Prozent ihrer BIPs. "Einige Länder stehen auf der Kippe", drohte der IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn. Sie seien schon jetzt in eine Schieflage geraten und zudem setze die hohe Inflation die Staatsbudgets unter Druck. Besonders die armen Bevölkerungsgruppen hätten unter der Situation zu leiden.

“If food prices rise further and oil prices just stay the same, then some governments will be unable to feed people and at the same time to maintain the stability of their economy”, sagte Dominique Strauss-Kahn, wobei er sein Warnungen vor neuen und heftigen Brotrevolten verstärkt.